Interview
Die Wolke als Träger des Wandels
Die Künstlerin Lyoudmila Milanova beschäftigt sich seit Jahren mit Naturphänomenen und natürlicher Materie sowie mit deren Manipulation durch neue smart Technologien. Digitaler Konsum, der (un)sichtbare menschliche Abdruck auf die Umwelt und die Wolke als natürliches/digitales Phänomen sind die Schwerpunkte der Ausstellung How to Disappear, die in den Galerieräumen des Goethe-Instituts zu sehen ist. In diesem kurzen Gespräch erzählt Milanova mehr über ihre kommende Ausstellung und die Themen, die sie in letzter Zeit beschäftigt haben.
Von Miroslav Hristov
Lyoudmila, Ihre Arbeit konzentriert sich auf die technische Reproduktion von Naturphänomenen. Steht Ihre künstlerische Denkweise in direktem Zusammenhang mit der aktuellen Klimaproblematik oder der Verbreitung künstlicher Intelligenz? Oder haben Sie Ihre eigene Interpretation für die Beziehung zwischen Technik und Natur?
Nein, meine Arbeit entwickelt sich nicht aus dem Gedanken an den Klimawandel oder an die Verbreitung von KI. Viel mehr ist es ein formales Interesse an ästhetischen Konflikten wie künstlich vs. natürlich, statisch vs beweglich, immateriell vs materiell etc. Dabei sind Prozesse und Phänomene aus der natürlichen Welt der Ausgangspunkt, die im nächsten Schritt verfremdet, manipuliert oder etwas entgegengesetzt werden. Das erzeugt natürlich zwangsläufig Deutungsebenen wie Mensch vs Natur, Technologie vs Natur, was von mir aus mitschweben darf, aber nicht primär mein Interesse ist.
Sind Sie eine Pessimistin oder eine Optimistin was den technischen Fortschritt und die Rolle des Menschen bei der Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts angeht?
Ich bin mir ehrlich gesagt gerade überhaupt nicht sicher, ob wir irgendeine Chance auf die Rückgewinnung des ökologischen Gleichgewichts haben. Mit oder ohne Technologie. Dafür sind wir zu langsam und uns zu uneinig. Aber Konzepte wie Geoengineering oder Climate Engineering machen einem eher Angst, wenn man hört, welcher gigantischer Eingriff in das Erdsystem das bedeutet und zwar ohne die Folgen absehen zu können. Statt zu überlegen, wie wir uns verändern können, denken wir lieber dran, wie wir die Erde ändern, um unseren Lebensstandard nicht zu verlieren. Also ich würde sagen, das klingt doch alles sehr fatalistisch.
Was kann das Publikum von der kommenden Ausstellung in der Galerie des Goethe-Instituts erwarten, die am 8. September eröffnet wird?
Ich arbeite da mit dem Motiv der Wolke und ihrer metaphorischen Bedeutung: die Cloud als Sammelbegriff für die vernetzte Technologie. Es hat mich immer fasziniert, wie das kindlich naive Bild von einem Wölkchen stellvertretend für den unermesslichen technischen Aufwand hinter der Internettechnologie steht und von uns Nutzern so problemlos angenommen wird. Die Cloud ist etwas im Hintergrund, etwas zugleich Unbedeutendes, etwas, über das wir uns keine Gedanken und noch weniger Sorgen machen müssen..gleichzeitig hat sich auch die Wahrnehmung der echten Wolke am echten Himmel auch verändert.. das sind einige der Themen, die in der Ausstellung durchsickern..
Ich habe erfahren, dass die Finissage der Ausstellung sich ein wenig von der Tradition löst. Es wird so etwas wie eine Vortragsrunde geben. Wer wird teilnehmen und wie kam es zu dieser Idee?
Ursprünglich sollte ich für die Ausstellung mit einem Klimatologen enger zusammenarbeiten und so die einzelnen Werke entwickeln. So kam es aber am Ende doch nicht. Ich hatte zum einen schon konkrete Ideen für Arbeiten im Kopf und zum anderen habe ich festgestellt, dass dieses Wolkenthema so vielschichtig ist, dass ich am liebsten möglichst viele Perspektiven in die Ausstellung einfließen lassen möchte. So kam die Idee, dass man Gäste einlädt, die aus komplett verschiedenen Fachrichtung kommen und aus den verschiedensten Perspektiven zu dem Ausstellungsthema was erzählen können: zB. aus der technisch-ökologischen Perspektive, der philosophisch-kunsthistorischen und nicht zuletzt aus der Perspektive der künstlerischen Produktion mit digitalen Medien, also die Digitalität als Material im Fokus zu setzen. Noch kann ich keine konkreten Namen verraten, da wir noch am Programm arbeiten und nicht alle Zusagen vorliegen.
Sie arbeiten an einer Idee für ein Residenzprogramm in Bulgarien. Möchten Sie mehr dazu sagen?
Es liegt in einem ländlichen Gebiet im Südwesten Bulgariens, im Dreiländereck zusammen mit Griechenland und Nordmazedonien. Dort sind wir gerade dabei, ein Haus und das Land drumherum in einen Ort zu verwandeln, der offen für alle möglichen kulturellen Veranstaltungen ist. Aufenthalte von KünstlerInnen, die dort arbeiten, sind ein Teil davon. Wir haben inzwischen schon an einem EU-Programm für die Verbreitung von Permakultur teilgenommen. Nächstes Jahr kommen Architekturstudenten aus Köln und lernen dort Lehmbau. Nachhaltigkeit ist auf dem Land ein viel präsenteres Thema als hier in der Großstadt, daher neben Kunst und Kultur ein weiterer Schwerpunkt in unserem Programm.
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Die Ausstellung HOW TO DISAPPEAR ist vom 8. September bis 7. Oktober 2022 in den Galerieräumen des Goethe-Instituts Bulgarien zu sehen.
mehr über die Künstlerin
In ihrer künstlerischen Praxis befasst sich Lyoudmila Milanova mit Naturphänomenen, natürlicher Materie und deren Manipulation durch Technologie. Sie arbeitet oft mit ephemeren Materialien wie Nebel, Wolken, Licht oder den physikalischen Gesetzen der Dinge und stellt diese den von Menschenhand geschaffenen Formen und Konstruktionen gegenüber. Ihr Werk umfasst Videoinstallationen, kinetische Objekte, Fotografie sowie Bühnenbild und Choreografie für Tanzperformances.
Einige ihrer letzten Ausstellungen sind: “Welt in der Schwebe”, Kunstmuseum Bonn, 2022; “Inszenierung des Zeigens”, Kunsthaus NRW, Kornelimünster, 2021; “Wie Augen, wie Mund, wie Vögel, wie Sonne”, Stadtgalerie Varna 2021; “Moments of Brief Balance”, Little Bird Gallery, Sofia, 2021; “Wir müssen lernen, uns im Kreis zu drehen”, Artothek Köln, 2021; “And Inside There Is Nothing But A Heart”, Arko Art Center, Seoul, 2020; “Goldstücke”, Kunstmuseum Gelsenkirchen, 2019.