Regionalprojekt Media Incubator Südosteuropa 2021-2022
Der „Media Incubator“ ist ein Fortbildungsprogramm für Studierende und angehende Journalisten*, die über Diskriminierung, gesellschaftliche Ungleichheit und Vorurteile gegenüber Minderheiten berichten wollen. Die Medien, ob Print, audiovisuell oder online, beeinflussen die Meinungsbildung der Mehrheit maßgeblich. "Gute, nicht reißerische, aber doch interessante und aufklärerische Sozialreportagen kommen in den Medien unserer Gastländer kaum vor," bestätigt das Medienprogramm Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Das Projekt der Goethe-Institute in Bulgarien, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien, Kroatien und Rumänien will dazu beitragen, dass mehr Geschichten über Menschen jenseits von Etiketten öffentlich erzählt werden. In allen genannten Ländern haben die Institute gemeinsam mit ihren Partnern Workshops und Trainings veranstaltet, die den Teilnehmenden nützliche Werkzeuge für ihre Arbeit an die Hand gegeben haben.
So gründete eine Gruppe von Journalistenen aus verschiedenen Medien und verschiedenen Teilen Kroatiens unter der Leitung ihrer Hauptmentorin, der freiberuflichen Journalistin Barbara Matejčić, eine gemeinsame Redaktion. Die Teilnehmer hatten das dringende Bedürfnis, sich über Themen der gesellschaftlichen Marginalisierung auszutauschen. Das Themenspektrum reichte von Armut und sozialer Ausgrenzung älterer Menschen über geografisch bedingte Entwicklungsunterschiede in Kroatien bis hin zur Benachteiligung ärmerer Frauen beim Kauf von Hygieneartikeln. In fünf Workshops wurde den Teilnehmern sozioökonomische, juristische und psychologische Hintergrundinformationen vermittelt, aber auch der Erfahrungsaustausch mit erfahrenen Journalisten zum Beispiel zu ethischen Fragen war wichtig.
Wie kann man Sensationslust vermeiden und gleichzeitig kritisch über Armut berichten? Was zeichnet eine gute Medienredaktion aus? Was macht eine gute Journalistin oder Redakteurin aus? Ist es die Aufgabe der Journalisten, eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen? Dies waren einige der Fragen, die im Laufe des Trainings diskutiert wurden. Vor allem aber war der kroatische Medien Incubator „ein Ort, an dem man sich weiterentwickelt, lernt zu kämpfen, sowohl für sich selbst als auch für die Arbeit, ein Ort, an dem man Schutz findet“, so die Mentorin Barbara Matejčić.
Während die Teilnehmenden in Kroatien Journalisten mit Berufserfahrung waren, haben sich die Workshops in allen anderen Ländern eher an Studierende und Berufsanfänger gerichtet. Die Teilnehmer wurden durch öffentliche Ausschreibungen und ein Bewerbungsverfahren ausgewählt. In Nordmazedonien sind mit dem Projektpartner Balkan Institute for Regional Cooperation – BIRC zehn Bewerber aus verschiedenen Landesteilen für einen viertägigen Workshop ausgewählt worden. Das Programm mit Fokus auf Sozialreportage und Qualitätsjournalismus, das wegen Corona nur online durchgeführt werden konnte, bestand aus vier Modulen, die jeweils von einem erfahrenen Journalisten geleitet wurden. Im Anschluss erhielten die Teilnehmenden die Möglichkeit, einen Monat lang in einem unabhängigen Medium in Nordmazedonien erste praktische Erfahrungen zu sammeln. Ein weiterer eintägiger Workshop, der in Präsenzform an der Südosteuropäischen Universität in Tetovo stattfand, führte die Teilnehmer in die neuen Medien ein.
In Bosnien-Herzegowina hat das Goethe-Institut mit dem Lehrstuhl für Kommunikations-wissenschaften und Journalistik der Universität Sarajevo zusammengearbeitet und die Studierenden in vier Workshops für die Themen Migration, Diskriminierung von Minderheiten und Armutsbekämpfung sensibilisiert. 74 Studierende haben anschließend an einem Wettbewerb teilgenommen und Sozialreportagen und Nachrichtenbeiträge zu vorgegebenen Themen verfasst. Aus diesen Beiträgen hat eine Fachjury die sieben besten ausgewählt, die in den folgenden drei Monaten von den Studierenden weiterentwickelt wurden. Zusätzlich wurde den Teilnehmenden die Aufgabe gestellt, den Begriff „sozial verantwortlicher Journalismus“ in einem kurzen Videoclip zu erklären. In der Endrunde des Wettbewerbs wählte die Jury die besten drei aus den sieben Nachrichtenbeiträgen und das beste der insgesamt sechs Erklärvideos aus. Zum Abschluss des diesjährigen Media Incubators veranstaltete das Goethe-Institut in Sarajevo eine öffentliche Paneldiskussion mit vier etablierten Journalisten und Journalistinnen aus Deutschland und Bosnien-Herzegowina, bei dem die Bedeutung der Berichterstattung zu sozialen Themen und die Folgen von Desinformation in den Medien diskutiert wurde.
Um die Rolle und den Status von Journalisten – und speziell Journalistinnen – ging es auch in Rumänien. Für die Teilnahme an dem viertägigen Workshop-Programm in Bukarest sind aus den Bewerbungen, die aus dem ganzen Land kamen, zehn Studierende ausgewählt worden - nicht nur Journalismus-Studenten, sondern auch Mathematik- oder Fremdsprachenstudenten mit einer Leidenschaft für Schreiben und Investigation. Dies zeigt, dass es in unserer Region ein großes Interesse an dem Thema gibt, aber auch einen Bedarf an solchen Fortbildungsangeboten. Das Workshop-Programm umfasste Vorträge über Themen wie die Rolle von Journalistinnen im Kulturbereich, aber auch praktische Übungen, bei denen die Teilnehmer lernten, wie man gute Quellen findet oder wie man Politikern Fragen stellt. Anschließend hatten die Teilnehmer die Gelegenheit, das Erlernte praktisch umzusetzen und selbst Artikel zu verfassen. Die Zusammenarbeit mit dem Projektpartner „Cultura la duba“ und seiner Gründerin, Alexandra Tanasescu, erwies sich als sehr fruchtbar.
Einen besonderen Fokus hatte der Media Incubator des federführenden Goethe-Instituts Bulgarien. Wie auch bereits 2020, als der Media Incubator in Sofia initiiert worden war, stand auch in diesem Jahr die Ausgrenzung und Diskriminierung der Roma, der größten ethnischen Minderheit auf dem Balkan, im Mittelpunkt. Ziel war es diesmal, das Bewusstsein der Teilnehmenden für die Kontinuität antiziganistischer Stereotypen in den audiovisuellen Medien zu schärfen. Im Zentrum des Programms stand die Forschungsarbeit von Radmila Mladenova, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsstelle Antiziganismus der Universität Heidelberg. Sie hat 120 Spielfilme und 35 Dokumentarfilme von der Stummfilmära bis zu aktuellen Fernsehreportagen auf antiziganistische Bilder und Denkmuster untersucht. Mladenova gab den zehn Workshop-Teilnehmern auch praktische Leitlinien an die Hand, wie Minderheiten in audiovisuellen Medien visuell dargestellt werden sollten und welche Fragen sich die Autoren stellen sollten, bevor sie ihre Fernsehbeiträge oder Filme konzipieren. Der viertägige Workshop umfasste Vorträge von erfahrenen Journalisten und Experten wie auch Diskussionen mit Filmemachern aus Deutschland und Bulgarien. Peter Nestler und Ljudmila Zhivkova, die erste Roma-Filmemacherin des Landes, diskutierten mit den Teilnehmern und ihre Filme waren Teil des Filmprogramms „CineRoma“, das das Goethe-Institut Bulgarien parallel zum Workshop im nahegelegenen Programmkino zeigte. Dem Wunsch der Teilnehmer*innen, das im Workshop Erfahrene in die Praxis umzusetzen, kam das Goethe-Institut Bulgarien entgegen und sagte eine Förderung zu für Projekte zum Thema "How To Overcome Labels". Die Teilnehmer*innen haben Ideen für Podcasts, Radiosendungen, interaktive Kunstinstallationen, Ausstellungen und audiovisuelle Shows entwickelt. Fünf dieser Projekte werden im nächsten halben Jahr gefördert und am Ende veröffentlicht.
Media Incubator 2022 - Wie geht es weiter?
Der Kampf gegen Diskriminierung und soziale Ungleichheit ist ein Marathon und kein Kurzstreckenlauf, sagte einer der Workshop-Teilnehmer in Sofia. Einerseits sind alle fünf Goethe-Institute überzeugt, dass das Training in den einzelnen Ländern mit den Projektpartnern auf nationaler Ebene fortgesetzt werden muss, andererseits wünscht man sich auch eine regionale Vernetzung.
Mit dem Medienpartner Deutsche Welle wollen wir diese Vernetzung durch verstärkte Berichterstattung in den südosteuropäischen Ländern über ihre Nachbarn erreichen. Die bulgarische Bevölkerung weiß wenig über die Situation in Kroatien und die Medien in Bulgarien berichten meist einseitig oder tendenziös über Nordmazedonien und umgekehrt. Gleichzeitig wollen wir die Teilnehmer am Regionalprojekt Media Incubator durch Surplace-Stipendien untereinander vernetzen. Das Ziel ist ein grenzüberschreitender Erfahrungsaustausch und die Bildung eines Netzwerks von engagierten Journalisten, die sich für sozial verantwortlichen Journalismus einsetzen. Dieses Netzwerk soll das sein, was Barbara Matejčić für die Redaktion beschrieben hat: „ein Ort, an dem man Unterstützung und Ermutigung bekommt“.
Kooperationen auch mit Journalisten und Medien in Deutschland wollen wir durch eine Besucherreise für die Mentoren des Media Incubators anregen. Wie divers sind Redaktionen in Deutschland und wie wird Diversität gefördert? Wie setzen sich Medien in Deutschland mit Diskriminierung von Minderheiten auseinander? Spielt das Thema bei der Journalistenausbildung eine Rolle? Welchen Einfluss haben Medienschaffende mit Einwanderungsgeschichte auf die öffentliche Meinung in Deutschland? Die Besucherreise soll den Journalisten aus Südosteuropa die Gelegenheit geben, mit ihren Kollegen in Deutschland über diese und andere Fragen zu diskutieren. Gleichzeitig gibt sie den deutschen Medienvertretern einen Einblick in den journalistischen Berufsalltag in Südosteuropa.
*Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.