Neuer Berliner Kunstverein
Ferntreffen mit Marius Babias
In Bulgarien und Europa angekommen, traf die Coronavirus-Pandemie unser Kulturprogramm hart und somit eine Reihe von Veranstaltungen, bei denen wir euch interessante Themen und Persönlichkeiten aus der Kunstwelt vorgestellt hätten. Selbst wenn das öffentliche Leben zurzeit stillgelegt ist, besteht immer noch die Möglichkeit, euch diese Personen vorzustellen und über Kunst zu reden. Hier werden wir euch mit den Kuratoren und Autoren bekanntmachen, mit denen wir momentan arbeiten – zurzeit nur online und hoffentlich in naher Zukunft live.
Unser nächstes „Ferntreffen“ ist mit Marius Babias – Kurator und Direktor des Neuen Berliner Kunstvereins. Ende März sollte er auf Einladung der Sariev Contemporary Gallery und des Goethe-Instituts Bulgarien einen Arbeitsbesuch in Bulgarien durchführen und einen öffentlichen Vortrag über die Praxis und Erfahrung der Verwaltung eines der wichtigsten Räume für zeitgenössische Kunst in Berlin halten.
Von Stefka Tsaneva
Seit 2008 leiten Sie den Neuen Berliner Kunstverein. Welche sind die Schwerpunkte des Programms des n.b.k.? Erzählen Sie uns bitte über Ihre Strategie, den Kunstverein als einen Ort für zeitgenössische Kunst- und Diskursproduktion sowie für ästhetische Erfahrungen zu etablieren.
Ich verstehe den n.b.k. als Bildungsinstitution. Mir geht es um einen Kunstbegriff, der kritisch auf die Welt schaut und aktiv eingreift. Dahinter steht die Idee der geistigen Teilhabe an kulturellen Prozessen, die sich gegen die Vorstellung richtet, Kultur sei ein Konsumartikel. Unsere Besucher*innen kommen nicht auf einen schnellen symbolischen Tauschhandel im n.b.k. vorbei. Sie kommen mit dem Wunsch, ein Gespräch zu führen, ein Kunstwerk auszuleihen, Videos zu sichten, sich weiterzubilden und geistig teilzuhaben. Das ist eine ganz besondere Form von Ko-Produktion zwischen Institution und Publikum, die der n.b.k. anbietet und immer aufs Neue hervorbringt. Hier genau, im Hervorbringen und Zurückspielen von Inhalten zwischen der Institution und der Öffentlichkeit liegt unser Bildungsansatz. Letztlich prägen Bildungsinstitutionen das kulturelle Selbstbild, das die Gesellschaft von sich hat, und stärken somit die Demokratie, in deren Auftrag sie agieren.
Wie positioniert sich der n.b.k. in der Kunstszene Berlins?
Wichtig für Berlin als Kulturmetropole ist sicherlich die „Berlin Art Week“, die vom n.b.k. sowie anderen Institutionen im Jahr 2012 ins Leben gerufen wurde und die jeweils im Septermber zur Saisoneröffnung stattfindet. In diesem Rahmen werden in konzertierter Form sowohl die Kunstinstitutionen in den Vordergrund gerückt als auch die Bandbreite an künstlerischen Positionen gezeigt, die Berlin zu bieten hat. Eine wichtige Frage, der wir uns stellen müssen, wenn wir über Berlin sprechen, betrifft jenen Anteil, den der Kunstbetrieb an Gentrifizierungsprozessen hat – dieses große Thema haben wir in Kooperation mit der Architekturzeitschrift ARCH+ in der Ausstellung 1989-2019: Politics of Space in the New Berlin aufbereitet. Der Bezirk Mitte beispielsweise, der nach dem Mauerfall praktisch entmietet war bzw. von DDR-renitenten und verarmten Mieter*innenschichten bereinigt worden war, wurde dann zunächst von Künstler*innen und dem alternativen Kulturbetrieb erobert und hat mittlerweile eine soziale Homogenisierung und Kommerzialisierung erfahren. Mitte ist eine hedonistische Konsuminsel geworden, umgeben von „überschüssigen“ Bevölkerungsgruppen – Armen, Kranken, Geflüchteten, Alten etc. – die durch die Stadt vagabundieren und mit einer Reihe von sozialpolitischen Maßnahmen verwaltet und kontrolliert werden.
Der Kunstverein ist eine typisch deutsche Form, die in Bulgarien kaum bekannt ist. Wie funktioniert ein Kunstverein zwischen dem Kunstmarkt und den großen Museumsinstitutionen? Die Kunstvereine entstehen im 19. Jahrhundert, wie hat sich ihre Rolle in der Gesellschaft heute geändert? Wie gehen Sie an das Publikum heran? Welche Programme für Kunstvermittlung haben Sie im n.b.k.?
Der Neue Berliner Kunstverein wurde 1969 gegründet, in der Nachwirkung der gesellschaftlichen Umbrüche von 1968. Seit seiner Gründung steht er für einen dynamischen Ansatz, der die Bereiche von Kunstproduktion und Kunstvermittlung miteinander verbindet und ist im öffentlichen Leben Berlins fest verankert. Das Hauptanliegen war und ist, aktive Öffentlichkeiten und immer neue Publikumsschichten für die Kunst zu gewinnen. Programmatisch tritt der n.b.k. dafür ein, Themen der Zeit zu erschließen und Diskurse zu setzen, die zu einem strengen inhaltlichen Profil und zur internationalen Vernetzung beitragen. Der n.b.k. ist ein Ort der ästhetischen Erfahrung, der Auseinandersetzung und der Diskussion, eine öffentliche Bühne für den Dialog zwischen Künstler*innen und Bürger*innen. Ich sehe den n.b.k. als eine Werkstatt neuer Ideen mit dem Ziel, Kunst als existenziellen Teil unseres Lebens zu begreifen. Bei den Projekten, die wir verfolgen, interessieren uns Aspekte der Dringlichkeit und Relevanz – bezogen auf gesellschaftspolitische, aber auch ästhetische Fragestellungen. In Begleitung zum Ausstellungsprogramm erscheinen regelmäßig Publikationen in den Buchreihen „n.b.k. Ausstellungen“, „n.b.k. Diskurs“ und „n.b.k. Berlin“ in Zusammenarbeit mit dem Verlag der Buchhandlung Walther König. Die filmische Reihe „n.b.k. Konzert“ dokumentiert Musik- und Diskursveranstaltungen ebenso wie Performances, die im Neuen Berliner Kunstverein stattfinden.
Erzählen Sie uns bitte etwas über die Artothek, die eine der ersten in Deutschland war. Video- und Medienkunst ist in Ihrer Arbeit am n.b.k. stark vertreten. Wie funktioniert das Video-Forum? Wie hat es sich in den letzten Jahren als Genre entwickelt und welche sind die größten Herausforderungen des Präsentierens, Sammelns und Aufbewahrens von Videokunst?
Der n.b.k. erfüllt mit seinen beiden Sammlungen Artothek und Video-Forum museale Aufgaben. Die seit 1970 vom n.b.k. betriebene Artothek ist mit über 4.000 ausleihbaren Kunstwerken die größte Artothek in Deutschland. Alle Interessierten können Kunstwerke mit nach Hause nehmen, die Leihgebühr beträgt 3 Euro je Kunstwerk – weniger als ein Glas Wein im Restaurant. Die Idee der Artothek besteht darin, Bildung zu demokratisieren und Kunst einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Mittlerweile verzeichnen wir über 11.000 Entleihungen jährlich. Darüber hinaus stellen wir für andere Institutionen Ausstellungen zusammen und bieten Vermittlungsprogramme in Kindergärten, Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen an.
Das 1971 gegründete Video-Forum ist eine Sammlung internationaler Videokunst, die mehr als 1.700 Werke umfasst. Das Video-Forum mit seinen zahlreichen Veranstaltungen und regelmäßigen Screenings in Kunstinstitutionen, Hochschulen und auf Filmfestivals im In und Ausland hat den n.b.k. zu einem international bekannten Ort der Produktion, Archivierung und Vermittlung von Videokunst gemacht. Der Bestand kann vor Ort gesichtet werden, zudem finden hier Seminare, Screenings und Workshops statt. Zugleich ko-produziert das Video-Forum regelmäßig Video-Arbeiten und vermittelt aktuelle Entwicklungen der internationalen Videokunst. In wissenschaftlichen Kooperationen wird die Sammlung kunst- und filmhistorisch aufbereitet. Das Video-Forum ist auf Expansionskurs und ein international gefragter Leihgeber geworden. Zusätzlich betreibt der n.b.k. ein Residency-Programm mit Atelierwohnung, um Künstler*innen und Theoretiker*innen die Möglichkeit zu bieten, in Berlin zu forschen und Projekte zu entwickeln.
Sie kennen bestimmt Künstler*innen, Galerien oder Institutionen in Bulgarien. Was würden Sie sich erwarten bzw. was wäre hier für Sie vom Interesse?
Ich war bereits in Bulgarien zu Besuch, um für diverse Ausstellungsprojekte zu recherchieren, so u. a. für das von René Block 2003 in der Kunsthalle Fridericianum kuratierte Großprojekt In den Schluchten des Balkans. 2006 luden ich und Angelika Nollert als Kuratoren der Periferic Biennale in Iasi Luchezar Boyadjiev ein. 2007 realisierte ich im Centre Culturel Suisse in Paris eine Ausstellung mit dem Titel L’Europe en devenir, zu der ich Pravdiolub Ivanov einlud. Ich kenne und schätze Nedko Solakov, Iara Boubnova sowie das ICA Sofia. Mein wichtigster Kontakt in Bulgarien heute ist Vesselina Sarieva, die außerodentliche Arbeit leistet und eine wichtige Brücke zwischen Süd-Ost und West gebaut hat.
Das Thema Venedig Biennale ist in Bulgarien sehr kontrovers, weil das Land seit Jahren daran nicht teilgenommen hatte. 2005 waren Sie Kurator des Rumänischen Pavillons auf der Venedig Biennale. Warum ist die Teilnahme an der Biennale für kleinere Kunstszenen wichtig? Und wie sollte so eine nationale Vertretung aussehen?
2005 kuratierte ich den Rumänischen Pavillon auf der Venedig Biennale, wo Daniel Knorr seine aufsehenerregende Arbeit European Influenza gezeigt hat. Retrospektiv betrachtet, hat diese Ausstellung nachfolgenden Kurator*innen und Künstler*innen Mut gemacht, vorgegebene kulturelle und bürokratische Muster zu durchbrechen und mutige Präsentationen zu realisieren, die den Begriff der Nation überwinden helfen. Kleinere Kunstszenen, da unabhängiger von Interessen, können Modelle, ästhetisch und politisch, entwickeln, die über die Zeit diffundieren.