Sprechstunde – die Sprachkolumne
Wortschatz im Wandel
Unsere Sprache erweitert sich stetig, aber der Duden bleibt ein einbändiges Werk – weil immer wieder Wörter aus dem Duden gestrichen werden. Welche das sind, und warum es sich doch lohnt, diese nicht ganz zu vergessen, erklärt Kathrin Kunkel-Razum in ihrem letzten Beitrag zu unserer Sprachkolumne.
Von Kathrin Kunkel-Razum
Noch immer bestimmt das Coronavirus unser tägliches Leben, und auch wir in der Dudenredaktion versuchen, den „Normalbetrieb“ unter schwierigen Umständen aufrecht zu erhalten. Im Augenblick beschäftigen wir uns nicht nur mit Wörtern, die neu in eine zukünftige Dudenauflage aufgenommen oder für Duden online angelegt werden sollen, wie etwa Covid-19 oder Coronaparty. Unser Blick fällt auch auf solche Wörter, die aus dem Duden gestrichen werden könnten. Und weil ich mit diesem Beitrag Abschied von Ihnen nehme, widme ich ihn den Wörtern, die wir bereits aus dem Duden verabschiedet haben oder eines Tages wahrscheinlich verabschieden werden.
Wo sind all die Wörter hin?
Als 2017 die 27. Auflage des Rechtschreibdudens erschien, fragte man uns nicht nur nach den neu aufgenommenen Wörtern, sondern auch nach denen, die wir gestrichen hatten. Sehr viele waren das gar nicht – wir hatten zwar einige Schreibvarianten wie Ketschup und Majonäse herausgenommen, gemäß den Festlegungen des Rats für deutsche Rechtschreibung in seinem Bericht von 2016, aber damit blieben die Wörter Ketchup und Mayonnaise dennoch erhalten. Und andere Streichungen gab es nicht.Die Journalistenfragen ließen uns aber keine Ruhe. So beschlossen wir, ein eigenes Buch den Wörtern zu widmen, die im Laufe der Geschichte aus dem Duden „gefallen“ sind. Es begann eine intensive Forschungsarbeit, weil leider keine systematischen Aufzeichnungen zu diesem Thema existieren, geschweige denn ganze Listen der von Auflage zu Auflage gestrichenen Wörter. Und elektronisch durchsuchbar sind auch nur die letzten Auflagen. Also holten wir viele Studierende ins Haus, die (wissenschaftliche) Veröffentlichungen zu diesem Thema ausgewertet haben und sich dann tatsächlich dranmachten, die alten Auflagen durchzusehen und zu vergleichen. So entstanden lange, aber keinesfalls vollständige Listen, die wir Peter Graf, einem Autor und Verleger, anvertrauten. Wir baten ihn, das Material zu sichten, sich Wörter auszusuchen und Essays dazu zu schreiben. Das Ergebnis ist eine interessante und wunderschöne kleine Sprach- und Kulturgeschichte, aus der auch wir alle, die wir in der Redaktion arbeiten, viel gelernt haben. Die Illustrationen in diesem Buch entstammen übrigens alle dem Duden-Bildwörterbuch in seiner 2. Auflage von 1958.
Früher in aller Munde, heute vergessen
Natürlich hat Peter Graf thematische Gruppen von Wörtern gebildet, und so gibt es z.B. Kapitel zum Wortschatz des Sports (Falkade, Nennungsgeld, Lawn-tennis-Spieler), der Mode (Schwitzer, Nörz, Autocoat), zur Kulinarik (Hotschpott, Potage, Zugemüse), natürlich zu Familie und Alltag (Nasenquetscher, Nestküchlein, älteln), zu Naturwissenschaften und Medizin (Nebelbild, Nervenfieber, Saurolith), aber auch zu Diminutiven (Onkelchen, Pünschchen, Nönnlein), Schimpfwörtern (Buschklepper, Sappermenter, Zärtling) oder zu „schönen Wörtern“ (naszieren, Flugmaschine, Hutgerechtigkeit). Und er stellte einen Abschnitt zu Wörtern zusammen, die erst gestrichen und später wieder aufgenommen wurden (Automatenrestaurant, Filmdiva, Eierpunsch).Ich bin mir übrigens sicher, dass alle, die dieses Buch lesen, mindestens ein Lieblingswort finden. Zum Schluss verrate ich Ihnen meines – es ist der Überschwupper. So hieß früher der Pullover.
Dankbarlich für Ihre Aufmerksamkeit wünsche ich Ihnen Gesundheit, alles Gute und grüße Sie herzlich
Kathrin Kunkel-Razum
Was nicht mehr im Duden steht. Eine Sprach- und Kulturgeschichte
Mannheim: Dudenverlag 2018, 224 S.
ISBN 9783411703845
Sprechstunde – die Sprachkolumne
In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.
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