Sprechstunde – die Sprachkolumne
Streit um Sprache
Welche Ideen und Werte zeichnen eine Gesellschaft aus? Und was haben Debatten um die Rolle und den Gebrauch der Sprache damit zu tun? Unser neuer Kolumnist Henning Lobin, Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache, widmet sich leidenschaftlich diskutierten sprachpolitischen Themen – und zeigt daran, wie wichtig Sprache für das gesellschaftliche Selbstverständnis ist.
Von Henning Lobin
Es ist schön, sich mit einer Sprache zu befassen. Es macht Spaß, sie zu erlernen, man erfährt etwas über Land und Leute, und man kann bei Reisen in das Sprachgebiet mit den Menschen reden. Aber Sprache kann auch Anlass für Auseinandersetzungen sein, für Kontroversen, sogar für gewaltsame Aktionen. Dies betrifft nicht nur den Gebrauch von Sprache, denn es ist ja klar, dass etwa eine Beleidigung zu heftigen Reaktionen führen kann. In der Politik ist der Sprachgebrauch auf direktem Weg mit politischen Inhalten verbunden und bildet mit „Fahnenwörtern“ Orientierungspunkte in einer Debatte.
Hochkonjunktur für Sprachpolitik
Aber auch über die Rolle und Funktion von Sprache selbst wird immer wieder heftig gestritten – ob es nun um die Sprache von Minderheiten geht, um Fragen der Normierung, um den Gebrauch von Sprache in der Öffentlichkeit und den Medien, in Behörden und Schulen oder in nationalen oder internationalen staatlichen Organisationen. All dies läuft im weitesten Sinne unter der Überschrift „Sprachpolitik“.Sprachpolitische Themen bezüglich der deutschen Sprache haben derzeit ganz besonders Konjunktur. Einige von ihnen wurden schon in der Vergangenheit heftig diskutiert und blitzen heute wieder auf. Andere sind ganz neu hinzugekommen und spiegeln die Veränderungen in der Gesellschaft wider. In den fünf Beiträgen, die ich in den nächsten Wochen für Sie schreiben werde, möchte ich einige Aspekte genauer darstellen. Ich möchte zeigen, was man über das Land, seine Gesellschaft und seine Geschichte erfahren kann, wenn man sich mit seiner Sprache befasst.
Aufregung pur: die Rechtschreibreform
Zuerst werde ich mich der Rechtschreibung widmen, oder besser gesagt: der Reform der deutschen Rechtschreibung. Sie hat in den 1990er-Jahren zu einer besonders heftigen Auseinandersetzung geführt hat, die bis heute nachklingt. Warum das so ist, ist nicht ganz einfach zu verstehen – in kaum einer anderen Sprache führt dieses Thema zu derartigen Emotionsausschlägen wie im deutschsprachigen Raum.Mein zweites Thema ist der Gebrauch von Fremdwörtern im Deutschen, in jüngerer Zeit vor allem aus dem Englischen – die sogenannten Anglizismen. Der Kampf gegen Fremdwörter begann bereits im 17. Jahrhundert, als es darum ging, die vielen Übernahmen aus dem Lateinischen zurückzudrängen. Im 19. Jahrhundert waren es dann die Übernahmen aus dem Französischen, die man auf den Index setzte. Heute nun kämpfen Sprachvereine gegen die Übernahmen aus dem Englischen und verbinden damit eine Kritik an der gesellschaftlichen Entwicklung überhaupt.
Zwei weitere Themen stehen in enger Verbindung zueinander, sollen aber einzeln behandelt werden: der geschlechtergerechte Gebrauch des Deutschen zum einen, gendergerechte Sprache zum anderen. Bei Ersterem geht es um die sprachliche Kennzeichnung von Frauen, beim zweiten Punkt um die der geschlechtlichen Vielfalt überhaupt. Über beides wird bekanntlich gerade in der deutschen Öffentlichkeit mit großer Heftigkeit gestritten.
Abschließend will ich mich mit der offiziellen Rolle des Deutschen in Deutschland und in Europa befassen. Warum steht im deutschen Grundgesetz nicht, dass das Deutsche Staatssprache ist? Und welche Bedeutung hat das Deutsche in den Institutionen der Europäischen Union? Auch hier geht es für viele darum, dem Deutschen einen größeren Rang zuzumessen und die entsprechenden Gesetze zu ändern.
Symbolische Kämpfe
Dass all diese Themen heute diskutiert werden, zeigt vor allem eines: Sprache wird als ein wichtiges, wenn nicht gar wesentliches Element der staatlichen Gemeinschaft angesehen. Welche Rolle das Deutsche dabei im Einzelnen spielen soll, ist allerdings sehr umstritten. Debatten um Rang und Gebrauch der deutschen Sprache können deshalb durchaus als ein symbolischer Kampf darüber verstanden werden, welche Ideen, Werte und Auffassungen in der Gesellschaft generell Gültigkeit haben sollen.Sprechstunde – die Sprachkolumne
In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.
Kommentare
Kommentieren