Sprechstunde – die Sprachkolumne
Der große Streit um den kleinen Stern
Das Gendersternchen als Zankapfel – auch Henning Lobin nimmt Stellung zu dieser emotional ausgefochtenen Debatte. Für ihn ist klar: Wir brauchen dringend verbale Abrüstung und eine Versachlichung der Diskussion über das Gendern.
Von Henning Lobin
Ein Thema bezogen auf die Sprache bewegt die deutsche Öffentlichkeit derzeit wie kein zweites: das Gendern. Damit ist ganz neutral das gemeint, was als „gendergerechtes“ oder „gendersensibles“ Deutsch bezeichnet wird. Häufig hört man aber auch Begriffe wie „Genderei“, „Genderwahn“ oder Schlimmeres. Es handelt sich um eine sprachliche Kontroverse wie aus dem Lehrbuch: Ein sprachliches Anliegen erregt Widerstand, die Debatte wird schärfer und immer politischer, und irgendwann sind die Positionen zum Thema zu Symbolen für eine ganze Weltsicht geworden. Gegenwärtig finden sich jeden Tag die unterschiedlichsten Meinungsäußerungen dazu in den Medien. Kommen wir da je wieder heraus?
Verflochtene Themen
Was diese Kontroverse besonders schwierig macht, ist, dass es sich eigentlich um zwei verschiedene, aber miteinander verflochtene Themen handelt. Da ist zum einen die Forderung nach einer verstärkten Sichtbarkeit von Frauen in der Sprache, zum Beispiel durch Paarformeln wie „die Wählerinnen und Wähler“ statt nur „die Wähler“. Diese Forderung wird seit mittlerweile 50 Jahren erhoben und hat seitdem einigen Erfolg zu verzeichnen. Paarformeln werden heute im öffentlichen Sprachgebrauch viel häufiger eingesetzt als früher und haben das verallgemeinert gemeinte, „generische“ Maskulinum anteilig zurückgedrängt. Dieses Anliegen lässt sich im Deutschen mit sprachlichen Mitteln gut umsetzen, es wird oft auch als „geschlechtergerechte“ Sprache bezeichnet.Zum anderen existiert die Forderung, neben den Geschlechtern Männlich und Weiblich zusätzlich solche Menschen zu berücksichtigen, die sich keinem davon zuordnen können oder wollen. Es geht also um die geschlechtliche Vielfalt jenseits des Männlichen und des Weiblichen, das, was häufig mit dem englischen Ausdruck „Gender“ bezeichnet wird - in sprachlicher Hinsicht eine weitaus neuere Thematik.
Dazu gibt es im Deutschen deutlich weniger sprachliche Möglichkeiten der Umsetzung: Statt „Dozentinnen und Dozenten“ kann man etwa von „Dozierenden“ sprechen, da in dieser Partizipialform sämtliche grammatischen Geschlechter zusammenfallen. Aber schon bei „Professorinnen und Professoren“ funktioniert das nicht mehr. Deshalb wird seit einiger Zeit der Stern eingesetzt, um bei Wörtern, die sowohl im Maskulinum als auch im Femininum gebildet werden können, zusätzlich die geschlechtliche Vielfalt zu markieren: „Professor*innen“. Auch Doppelpunkte, Unterstriche und einiges Andere ist dafür im Gebrauch.
Pro und Contra
Mittlerweile ist der Genderstern zu einem Symbol für die gesamte Auseinandersetzung geworden, und notwendige Differenzierungen gehen dabei zuweilen verloren. Der Genderstern ist in der Tat ein Fremdkörper in der Schriftsprache, was häufig kritisiert wird. Als einziges Zeichen weist er über die sprachliche Struktur hinaus und will einen gesellschaftlichen Sachverhalt symbolisieren. Auch in der amtlichen Rechtschreibung ist er nicht vorgesehen. Seine Verwendung ist allenfalls in einem eingeschränkten Maß sinnvoll, weil sich Artikel, Adjektive und Pronomina in dieser Weise nur schlecht oder gar nicht verallgemeinern lassen.Aber er steht eben auch für eine gesellschaftliche Entwicklung, die in der Sprache andernfalls nicht abgebildet wird. Er ist der Versuch, das Faktum, dass es Menschen gibt, die sich nicht dem einen oder anderen Geschlecht zuordnen lassen, eine sprachliche Repräsentanz zu geben. In rechtlicher Hinsicht ist dies aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts längst umgesetzt, viele Stadtverwaltungen beispielsweise suchen nun nach einer Möglichkeit, diese Personengruppe konkret mit ansprechen zu können.
Auf der Gegenseite wird das generische Maskulinum als Allheilmittel propagiert. Es sei tief in der Sprachstruktur verankert. Wie es sich auch bei den Zeitformen mit dem Präsens oder beim Numerus mit dem Singular verhalte, so sei beim grammatischen Geschlecht nun einmal das Maskulinum die „unmarkierte“ Form, mit der man beliebige Geschlechter bezeichnen könne.
Andere wiederum ziehen das in Zweifel: Die „Markiertheit“ folge der Gebrauchshäufigkeit, sei also keineswegs im System angelegt und könne deshalb im Sprachgebrauch verändert werden. Zudem sei bei Personenbezeichnungen die geschlechtliche Bedeutung die grundlegende, aus der die generische nur abgeleitet sei.
Feldzeichen der Kontroverse
Genderstern und generisches Maskulinum werden inzwischen wie Feldzeichen genutzt, hinter denen sich die jeweilige Anhängerschaft sammelt. Und zu Konfrontationen kommt es ständig: mit Meinungsbeiträgen in den Tageszeitungen, groben Stellungnahmen in den „sozialen“ Medien, mit Gesetzesanträgen zur „Abschaffung der Gendersprache“ von rechten Parteien in Parlamenten und mit Regelungen zum gendergerechten Sprachgebrauch in Schulen, Universitäten, Behörden und Firmen, die einige unbedingt durchsetzen, andere um jeden Preis verhindern wollen.Selbst in die bevorstehende Bundestagswahl hat die Auseinandersetzung ihren Weg gefunden. Fast alle Parteien äußern sich in der einen oder anderen Weise zu diesem Thema, und kürzlich ist sogar die Forderung nach einem Sprachgesetz aufgekommen. Doch mit welchen Mitteln sollten Sprachregeln durchgesetzt werden? In Deutschland darf jeder sagen und schreiben, was und wie er es will. Nur wie mit dem Thema Gendern in Institutionen umgegangen werden soll, ist eine offene Frage, die wohl vermehrt die Gerichte beschäftigen wird. Ich glaube nicht, dass man hier mit Verboten zu einer Lösung kommt, sondern nur mit sachlichen Diskussionen zum Für und Wider des Genderns. Leider sind wir davon derzeit sehr weit entfernt.
Sprechstunde – die Sprachkolumne
In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.
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