Elbphilharmonie
Wahrzeichen mit Auftrag
Die Elbphilharmonie in Hamburg ist eröffnet – und von den einstigen Kritikern ist nur noch wenig zu hören. Zu stark ist die Wirkung des Baus. Doch es muss sich noch zeigen, ob das Haus auch einlösen kann, was seine Verfechter all die Jahre hindurch versprochen haben.
Die Dramaturgie ist gelungen. Über Monate hinweg haben die Verantwortlichen auf dem Weg zur Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie immer nur Häppchen preisgegeben: hier eine Pressekonferenz (im Parkhaus), da eine Multimediainstallation (im Musikvermittlungsbereich); im November wurde die öffentliche Plaza eröffnet, von der aus man das Konzerthaus betritt, und Anfang Januar 2017 erkundeten die Tänzer von Sasha Waltz & Guests das Haus. Nur in den beiden Konzertsälen durfte der erste öffentliche Ton wirklich erst am 11. Januar 2017 erklingen. Das ist Spannungserzeugung wie aus dem Lehrbuch.
Euphorie in der Stadt
Wer die herrschende Stimmung in der Stadt beschreiben soll, kommt an dem Wort „Euphorie“ kaum vorbei. Die Elbphilharmonie im Hamburger Hafen ist in aller Munde. Jeder will hin, und wenn schon nicht ins Konzert – die Eröffnungssaison ist bereits ausverkauft –, dann wenigstens so nah dran wie möglich. Allein um auf die Plaza zu gelangen, mit ihrem Rundumblick aus 37 Metern Höhe über Hafen, Elbe und Stadtsilhouette, stehen die Menschen an Wochenenden Schlange vor dem Eingang zur gebogenen Rolltreppe, „Tube“ genannt.Klingt nach einem Kulturmärchen samt Happy End. Danach sah es freilich nicht immer aus. Die Geschichte der Elbphilharmonie handelt von Gier und Großmannssucht, von Naivität und Überforderung. Rückblickend ist es kaum zu glauben, wie begeistert sich die Stadtväter 2003 auf den futuristischen Entwurf der Basler Architekten Herzog & de Meuron stürzten. Ein Musentempel für Hamburg, bis dato eher als Stadt der Pfeffersäcke bekannt? Aber ja! Ein neues Wahrzeichen! Einer der besten Konzertsäle der Welt! Jahrhundertarchitektur! Und das Schönste: All das sollte es umsonst geben.
Eine wechselhafte Geschichte
Nur das Grundstück sollte die Stadt beisteuern, die Kosten sollten über privatwirtschaftlich vermarktete Gebäudebereiche refinanziert werden, so der Plan. Doch die Begehrlichkeiten wuchsen, und als die Bürgerschaft das Projekt 2007 verabschiedete, war der öffentliche Kostenanteil auf rund 114 Millionen Euro gestiegen. Ende 2008 gab die Stadt eine Erhöhung der Kosten auf 323 Millionen Euro bekannt – und einen neuen Eröffnungstermin. So ging es weiter. Die Kosten stiegen, die Eröffnung verschob sich, zwischendurch stellte der Generalunternehmer Hochtief die Bauarbeiten gleich ganz ein. Den Vergleich mit Großbaustellen wie Stuttgart 21 oder dem Berliner Flughafen ließ sich kein Kommentator entgehen, und sogar der geplagte Intendant des Hauses, Christoph Lieben-Seutter, sprach öffentlich von einer „Lachnummer“.Die Akzeptanz des Vorhabens in der Stadt war streckenweise mehr als durchwachsen. Auch aus Künstlerkreisen bekam das Projekt Gegenwind. Während die Bürgerschaft eine Budgeterhöhung nach der anderen durchwinkte, fürchtete die freie Szene um ihre schmalen Zuschüsse und kritisierte die Elbphilharmonie als reines Prestigeprojekt. Erst Barbara Kisseler, die Bürgermeister Olaf Scholz 2011 als Kultursenatorin nach Hamburg geholt hatte, gelang die Wende. Kisseler setzte eine vertragliche Neuordnung durch, die Bestand hatte. Bei dem dort geregelten „Globalpauschalfestpreis“ von 789 Millionen ist es geblieben. Es spricht für das Ansehen der im Oktober 2016 verstorbenen Kisseler, dass Spott und Spekulationen über die Haltbarkeit des Eröffnungstermins irgendwann verstummten.
Kooperation statt Dominanz
Von den einstigen Kritikern ist derzeit nur noch wenig zu hören. Zu stark ist die Wirkung des Baus. Dabei ist die Ausstrahlung der Architektur Chance und Fluch zugleich. Es muss sich noch zeigen, ob die Elbphilharmonie auch inhaltlich einlösen kann, was ihre Verfechter all die Jahre hindurch versprochen haben: ob sie einen Quantensprung der Bedeutung klassischer Musik im öffentlichen Leben darstellt. Ob sie, mit einem Ausdruck des Intendanten Lieben-Seutter, wirklich ein „Haus für alle“ sein wird. Nicht nur von allen (Hamburgern) bezahlt, sondern bitte auch von allen genutzt.Dass Lieben-Seutter im Verhältnis zu den örtlichen Veranstaltern nicht auf Verdrängung, sondern auf Verständigung setzt, hat er bewiesen. Längst sind die Scharmützel mit den privaten Konkurrenten um das Preisgefüge der Karten beigelegt. „Kooperation“ heißt das Zauberwort, was auch immer sich dahinter verbergen mag. Wenn der Stillstand des Wartens für etwas gut war, dann dafür, wie kreativ Lieben-Seutter und sein Team damit umgingen. Für ihre Kurzfestivals haben sie manch originelle Spielstätte aufgetan und gerade damit ein anderes Publikum erreicht.
Das Programm lässt hoffen, dass von diesem Pioniergeist auch in Zukunft etwas bleibt. Es reisen nicht nur Weltstars der Klassik an. Noch im Januar 2017 gab die Avantgarde-Pop-Band Einstürzende Neubauten ihren Einstand im Großen Saal. Musikalische Kulturbegegnungen wie etwa das Festival Salam Syria im März 2017 zeugen vom Ehrgeiz, ein Angebot auf der Höhe der Zeit zu gestalten. Die eigentliche Geschichte von der Elbphilharmonie begann erst am 11. Januar 2017. Ob sie ein Happy End haben wird, wird sich noch zeigen müssen.