Tanith
„Wir müssen diese Musik jetzt einfach spielen!“
Er war einer der ersten DJs für elektronische Musik in Deutschland und auch einer der erfolgreichsten: Thomas Andrezak alias Tanith, dessen Karriere im legendären Ufo Club zu Beginn des Techno-Zeitalters begann. Kurz darauf wurde er Resident im Tresor und hatte einen maßgeblichen Anteil daran, aus dem Nischengenre eine landesweite Bewegung zu machen, die sich als kulturprägend erweisen sollte.
Wie bist du zum Techno gekommen?
Tanith: Für mich fängt elektronische Musik eigentlich schon Anfang der 80er an. Damals habe ich Throbbing Gristle oder Cabaret Voltaire entdeckt. Elektronik war für mich immer wie Science-Fiction, also Isaac Asimov oder so was, klinisch steriles Zeug im Weltraum. Das war die Zukunft. Throbbing Gristle war was anderes als zum Beispiel Kraftwerk oder Jean-Michel Jarre, die immer eine schöne Ästhetik hatten. Ich kam vom Punk. Ich mochte eher eine harte Ästhetik und die habe ich in der elektronischen Musik gefunden. Das hat eigentlich schon 1981 angefangen. Da hieß es noch nicht Techno. Aber für mich war es eigentlich immer das, wo ich hinwollte.
wie eine Droge
Wie ging es dann weiter?
Ich habe in Berlin in einem amerikanischen Buchladen immer die Cyberpunk Bücher aus Amerika geholt. Zu der Zeit gab es ja noch die Mauer und diese Cyberpunk Welt hat mit ihrer Rauheit sehr gut nach Berlin gepasst. Und dann hörst du plötzlich Stakker Humanoid. Das war ein geiler Soundtrack für diese Bücher, oder 808 State mit dem Newbuild Album. Du bist in die U-Bahn gegangen und hast die Stadt plötzlich ganz anders gesehen. Die war dann plötzlich wie in diesen Büchern. Diese Fantasie, die du in den Köpfen hattest, war mit dieser Musik wie eine Droge. Ich habe eigentlich dann nur noch diese rauen Acid Sachen gehört, nicht mit Vocals, sondern nur noch Industrial ohne Vocals. Das war ein perfekter Soundtrack. Tanith | © Tanith
Du bist in den 80er Jahren nach Berlin gezogen. War die Musikszene ein Grund dafür?
Ja. Ich bin Ende 1986 eigentlich wegen der Musik von Wiesbaden nach Berlin gezogen. Für Industrial Musik wie die Einstürzenden Neubauten, „Sprung aus den Wolken“ oder wie die alle hießen, war Berlin das Mekka gewesen. Ich kannte auch schon Dimitri Hegemann vom Fischlabor, der später auch den Tresor gemacht hat. 1988 fing es dann mit Acid an. Also ich bin eigentlich wegen einer ganz anderen Musik hergezogen. Die 80er Jahre waren ein Distinktions-Jahrzehnt. Wenn mehr als drei Leute etwas gemocht hatten, dann hat es einem schon nicht mehr gefallen. Mit den 90ern kam dann diese Einstellung: „Ach, es ist alles egal. Lasst uns einfach Menschen sein. Lass es gut sein!“
ein schäbiger, feuchter, staubiger, ekliger Keller
Wie kam es dann dazu, dass du als Resident-DJ im Ufo gelandet bist?
Tanith: Wir kannten uns alle damals. Wir haben uns im Fischlabor getroffen. Wir waren so eine Mischpoke von 150 Leuten, die sich für diese Musik interessiert hat. Dem Rest von Berlin war das alles egal. Dimitri Hegemann hatte noch das Fischbüro in Kreuzberg. Darunter war ein Kohlenkeller. Der war quasi als Mini-Diskothek hergerichtet. Die Decken waren niedrig. Man konnte beim Tanzen nicht springen, sonst hätte man sich Beulen geholt. Das Einzige was da drinstand, war eine Lavalampe, ein 60er Jahre Diaprojektor und dazu eine PA, die eher was für Gitarren war. Das DJ-Pult war in einer Ecke. Das war das erste Ufo: ein richtig schäbiger, feuchter, staubiger, ekliger Keller, wo man durch die Kellerluke im Fischbüro über eine zwei Meter-Leiter runter klettern musste. Ich bin in den DJ-Job reingerutscht, weil ich ein extremer Plattenkäufer war. Ich habe lieber weniger gegessen und dafür eine Platte gekauft als auf Musik zu verzichten. Ich wurde dann immer angesprochen: „Wenn du die Platten schon hast, dann leg die doch auch auf!“ Da wir uns untereinander kannten, hat man sich halt abgewechselt. Wir hatten überhaupt keine professionellen Ansprüche, sondern einfach nur Idealismus: „Wir müssen diese Musik jetzt einfach spielen!“
Und im Hard Wax habt ihr dann auf den UPS Mann gewartet. Das hat mir Mark Ernestus erzählt.
Das war dann der nächste Treffpunkt. Da haben die ganzen DJs rumgehangen. DJ Rok, Jonzon, Kid Paul und ich haben da auf den UPS Mann gewartet. Dann wurde ausgepackt. Wer die Platte wollte, hat den Finger gehoben. Wir hatten da auch so ein Spielchen: Von mancher Platte ist nur eine oder zwei gekommen, aber vier wollten sie haben. Dann wurde immer mit Streichhölzern ausgelost. Rok hatte die Streichhölzer in der Hand und wer das längere gezogen hat, der hat sie gekriegt. Da hatte ich eigentlich immer Glück (lacht). Es war selten, dass ich Mal verloren hatte. Alle anderen haben sich geärgert, weil ich immer diese ganzen Dinger abgestaubt habe. Aber das war wirklich pures Glück. Da waren keine Tricks dabei, sondern die anderen wussten immer: „Ah, wenn er wieder zieht, kann ich eh drauf verzichten!“ (lacht)
Was war für dich beim Auflegen wichtig?
Ein DJ hat immer verschiedene Dinge zu beachten. Erstens, wie man den Leuten möglichst fett in den Hintern treten kann, dass sie tanzen. Wie kriegst du eine Euphorie zustande? Und gleichzeitig müssen es fordernde Tracks sein, sei es akustisch oder vom Arrangement her. Alles, bei dem man schon vorher ahnen kann was passiert, ist langweilig. Als Techno sich erst geformt hat - es hieß ja erst Acid und da draus kam Techno - gab es noch nicht diese Formeln, wie sich ein Techno Track und ein Trance Track anzuhören haben. Das war damals alles noch in der Findung. Obwohl es immer als härter definiert wurde, ging mir gar nicht so um die Härte, sondern ich wollte fordern. Das konnte was Ungewöhnliches sein, mal besonders hart oder auch mal was Untanzbares dazwischen, das dann wieder zum Tanzen führt.
Es gab keine Unterschiede mehr zwischen Ost und West
Du hast so oft aufgelegt in deinem Leben. Gab es dabei einen speziellen Moment, der dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Weil es das erste Mal war, haben die ersten Tekknozid Raves herausgestochen. Wir waren ja nie mehr als 150 bis 200 Leute im Club. Mittwochs im Cyberspace Club waren, wenn es hochkommt, 50 Leute. Aber dann ist die Mauer gefallen. Ost und West kamen zusammen und wir hatten Anfang 1990 damals bei der ersten Tekknozid im Haus der jungen Talente 500 Leute. Es hat alles gepasst. Es gab keine Unterschiede mehr zwischen Ost und West. Die Menge war für unsere Verhältnisse riesig und die Anlage bombastisch. Es war alles dunkel und die Leute sind abgegangen wie Schmidts Katze, also auch Leute, die mich vorher immer belächelt haben: „Du mit deinem elektronischen Kram.“ Plötzlich siehst du die Leute oben auf der Box stehen und abfahren. Das war ein Moment, wo du sagen kannst: „Jetzt haben wir etwas erschaffen. Da machen wir weiter!“
Erklär doch mal das Konzept hinter Tekknozid.
Tekknozid war der erste deutsche Rave. Wolle XDP, Johnnie Stieler, Zappa und ich hatten uns überlegt, Techno größer zu machen. Es haben damals im Osten lauter Läden aufgemacht. In der Oranienburger Straße gab es plötzlich „Obst und Gemüse“. Das „Tacheles“ war besetzt. Man wusste, man kann Leute für neue Sachen begeistern. So haben wir es halt im "Haus der jungen Talente" gemacht. Das Konzept war: Alles dunkel. Stroboskop. Vier DJs gab es an dem Abend. Mehr braucht es nicht. Das hat alles super funktioniert. Dazu kam noch, dass zu der Zeit auch Ecstasy aufkam. Das hat natürlich der Sache auch noch einen, im wahrsten Worte, mächtigen Schub gegeben.
Wenn du jetzt zurückblickst: Wie hat der Techno dein Leben verändert?
Ich habe nie daran gedacht, professioneller DJ zu werden. Ich bin da eher reingerutscht. Aber ich bin sehr dankbar für diese Freiheit, eigenständig denken zu können, meinen Kosmos zusammenzusetzen und anderen Leuten zu präsentieren. Ich hoffe, dass ich diese Vibes auch wieder zurückgeben und damit die Leute inspirieren kann. Es gibt eine bessere Welt als die normale. Man sollte einfach seinem Flow folgen und schauen, wo einen das Leben hin spült, anstatt vorgefertigten Wegen zu folgen.
Hier ein Set von Tanith im Tresor vom Mai 1991:
Tanith
Tanith ist einer der wichtigsten deutschen Techno Pioniere. Bereits 1990 führte er mittwochs den Cyberspace Club im Club Ufo ein. Als Techno 1991 Fahrt aufnahm, war er Resident im Tresor und Walfisch. Durch diesen Mittwochsclub und als Resident-DJ der Tekknozid-Partys war Tanith der erste Tekkno-DJ und gilt als einer der Begründer der neuen Technokultur in Deutschland. Zwischen 1990 und 1996 galt er als einer der populärsten deutschen Techno-DJs. Er war Headliner auf fast allen großen Raves (Mayday oder Nature One, Tribal Gathering usw.). 1992 widmete er sich verstärkt sehr früh dem Breakbeat. Ab Sommer 1993 war er mit Spezial der Resident DJ im Club Exit. Tanith ist bis heute als DJ aktiv und lebt mit seiner Familie in Berlin.
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