Schnelleinstieg:

Direkt zum Inhalt springen (Alt 1) Direkt zur Hauptnavigation springen (Alt 2)

Alec Empire
„Wir können uns die Zukunft programmieren“

Alec Empire Live
Alec Empire Live | © Philipp Virus

Als Künstler auf dem Frankfurter Label „Mille Plateaux“ hatten Alec Empire und seine Band Atari Teenage Riot eine politische Perspektive auf die frühe Technoszene Deutschlands.

Gab es für dich einen Moment, als du zum ersten Mal Techno gehört hast, und es dich total umgehauen hat?

Alec Empire: Diesen Moment gab es bei mir gar nicht so. Ich kann auch ganz einfach erklären, warum das so war: Ich war 1987 das erste Mal auf einer Acid House Party in Nizza. Das war wirklich purer Acid House. Sehr einfach und ich habe es auch sofort verstanden. Ich habe mich allerdings eher draußen vor gefühlt. Ich hatte also jetzt nicht dieses Erlebnis, was viele oft schildern, dass sie auf einer Party, in einem Club oder auf einem Rave geraten sind und dann mitgerissen wurden. Aber es war mir sofort klar, dass ist der Weg raus aus einer Sackgasse, die ich damals im Punk empfunden habe. Bevor ich Punk gut fand und damals auch selber mit meiner Band in der Berliner Szene gemacht habe, war es so, dass ich wie viele spätere Techno-Produzenten auch, die ersten Rap-Sachen, Grandmaster Flash und solche Sachen gehört und gut gefunden habe. Dadurch war für mich DJ Culture nichts neues mehr.

Wir wollten die Zukunft selber in die Hand nehmen

Atari Teenage Riot (1999) Atari Teenage Riot (1999) | © Steve Gullick Wie hast du die Rave Szene in Berlin damals wahrgenommen?

Es war überhaupt keine Frage, dass das groß wird und zwar nicht, weil es irgendwie gehypt wird, sondern weil es auch in der Musikindustrie die Lösung für viele Probleme war. Das ist wirklich eine Sache, die oft vergessen wird. Rockmusik, die mit der traditionellen Musikindustrie, mit der Struktur, die es da gab, verbunden war, war sehr teuer und eigentlich nicht mehr zeitgemäß. Es hat sich damals schon gezeigt, dass wir viel schneller und billiger arbeiten, und dabei sogar mehr Energie erzeugen konnten. Es ging dann auch relativ schnell, dass sich ein weltweites Netzwerk gebildet hat. Wenn man sich das überlegt, reden wir hier von fünf, maximal sechs Jahren bis es zum Beispiel normal war, dass es Raves mit 20000 oder 30000 Leuten gab. Das war ausgehend von einer Szene, die mit 150 Leuten angefangen hat. Es gab ja noch kein Internet. Die neuen Sounds mussten sich erst mal verbreiten. Und das ging fast wie von selbst. Außerdem gab es dieses völlig andere Bewusstsein, was mich und die meisten in meinem Alter getrennt hat von der vorhergehenden Generation. Wir wollten die Zukunft selber in die Hand nehmen, während es davor immer hieß: „Nihilismus! Zerstörung! Und so weiter.“ Solche Themen haben mich zwar auch immer fasziniert - auch dann später wieder, als ich Techno als Sackgasse empfunden habe - aber letzten Endes war klar, wir können uns die Zukunft programmieren. Wir müssen es bloß machen und unseren eigenen Weg finden.  

„Woher kommen die alle?“

Du bist selber auf illegalen Raves gewesen. Beschreib doch mal ein bisschen, wo das war und wie so ein Abend aussah?

Das hat sich meistens verbreitet mit diesen typischen Sachen wie Flyer. Aber dann gab es eben auch diese Anrufbeantworter. Du hast die Telefonnummer angerufen und dann erfahren, wo die Location ist. Dann war es wirklich einfach: Soundsystem aufgebaut und dann ging's los. Wenn man als DJ da war oder es auch mit veranstaltet hat, war es auch immer ein Risiko, weil man erstmal kaum Feedback bekommen hat. Es gab keinen Vorverkauf, so dass du vorher ungefähr einschätzen konntest, wie viele Leute kommen. Sagen wir mal, du hattest 1000 Leute - ich rede jetzt von den ersten Sachen - dann denkst du: „Woher kommen die alle?“ Und dann willst du das Gleiche drei Wochen später wiederholen. Da sind dann plötzlich nur 200 Leute und du hast dich gefragt: „Wieso ist das jetzt so anders?“ Das war aber eben auch ganz interessant, weil es ja mit sehr viel Risiko verbunden war und man das Gefühl hatte, dass man sich immer wieder was ausdenken und nach Locations gucken musste. Du brauchtest immer neue Ideen, zum Beispiel wie die Flyer aussahen, wie die Idee so rüberkommt und ob sie als spannend empfunden wurde. Es war wirklich wie ein Abenteuer. Du bist halt in etwas reingegangen, wo du nicht wusstest, was dich erwartet. 

Du warst ja sehr kritisch gegenüber der Westberliner Szene. Was hast du daran nicht gemocht?

Alec Empire „SuEcide / Hetzjagd auf Nazis“ Alec Empire „SuEcide / Hetzjagd auf Nazis“ | © United Homerecorders Die Leute in Ost-Berlin, und das gilt vielleicht sogar auch im gewissen Sinne für Ostdeutschland, hatten einen extremen Drang nach Freiheit. Es hört sich an wie ein Klischee, aber es stimmte. Wenn die Mauer nicht an dem Punkt gefallen wäre, wäre es auch im Westen nicht so explosiv abgegangen, weil es den Leuten aus dem Osten um mehr ging. Sie waren alle extrem enttäuscht und frustriert über alles, was mit Sozialismus zu tun hatte. Das ist wirklich eine ganz wichtige Sache, die gerne mal unter den Tisch fällt. Ein Teil der Leute aus dem Osten ist in die Technoszene gegangen. Aber andere sind aus ihrer Wut heraus direkt in die rechtsradikale Szene abgewandert. Das galt selbst für Leute, die in den 80ern in der DDR Punks gewesen waren. Das war eine sehr schwierige Zeit. Deshalb kamen wir mit Atari Teenage Riot mit Songs wie „Hetzjagd auf Nazis“ mit einer politischen Haltung, die wir als ganz wichtig empfunden haben. Friede, Freude, Eierkuchen fand ich einfach nicht gut.  "Wir machen hier eine Party und jetzt seid mal ruhig!" war für uns nicht die richtige Botschaft aus dieser neuen Welt, die so viel mit Unsicherheit, Korruption der Politik und auch großen Konzernen zu tun hatte. Direkt 1990, nach dem Mauerfall, ist eine wichtige Stimmung entstanden. Ich habe aber nicht wirklich die West-Berliner Szene kritisiert, sondern diejenigen, die den politischen Kontext nicht verstanden haben oder denen es irgendwie egal war. Es ist eine Sache, an der Zukunft zu arbeiten, eine Technokultur entstehen zu lassen und neue Ideen auszuprobieren. Es ist aber eine andere Sache, wenn man die Augen komplett verschließt vor der Realität, die außerhalb dieser Räume abgeht. 

Ich glaube, dass die Ideen hinter dem Techno von damals immer noch existieren.

Du hast dich mit deinen Aussagen und deiner Musik klar gegen die Kommerzialisierung positioniert. Damit bist du stark herausgestochen. Warum musste das sein und war Techno für dich zu der Zeit zu unpolitisch?

Es gab für uns immer einen Unterschied zwischen etwas, was kommerziell ist und Kommerzialisierung. „Something being commercial and the commercialisation“. Also wenn die Musik an sich oder auch meinetwegen ein bestimmtes Konzept für einen Rave, einen Club oder bestimmte Artworks, beliebt waren und dadurch groß und bekannt wurden, dann war es völlig in Ordnung. Das hieß nicht automatisch, dass es schlecht ist. Was wir abgelehnt haben, war, dass man versucht, Kompromisse zu machen, um ein Publikum zu erreichen, was eigentlich mit der Musik und der Szene nichts zu tun hat. Da gab es eine ganz klare Trennung und das war für uns damals die Kommerzialisierung. Zum Beispiel ob man einen Track für’s Radio kürzen will. Ich bin generell nicht dagegen, Sachen zu verändern oder anzupassen, das ist auch immer Teil von DJ Kultur gewesen. Aber es gibt eine Grenze. Man muss selber wissen, wo man die zieht.

Wie siehst du den Techno von heute?

Es ist auf diesen Videos von DJ-Sets auf Social Media einfach nicht mehr diese Euphorie, dieser Enthusiasmus und diese Energie der Anfänge zu spüren. Das ist aber wichtig dafür! Ich finde es tragisch, wenn man sieht, wie die Leute ihre Handys hochhalten und irgendwas einfangen wollen, was einfach nicht so richtig da ist. So sehe ich Techno von heute. Ich glaube, dass die Ideen hinter dem Techno von damals immer noch existieren. Das können auch Strategien sein, nach vorne zu gehen und Wege raus aus dieser Sackgasse zu finden. Aber die Leute müssen das natürlich auch erkennen. Also wenn alle in die Clubs gehen und da läuft irgendeine Musik die ihnen nichts bedeutet und in der sich auch keinerlei Zeitgeist widerspiegelt, dann ist es halt nicht lebendig und nicht spannend. Aber ich erwarte eher eine Erneuerung in der elektronischen Musik als zum Beispiel im Hip Hop oder in der Rockmusik. Hoffentlich hat Techno eine Zukunft, weil es eigentlich der Beginn von etwas war, was noch nicht abgeschlossen ist.
 

Alec Empire

Alexander Wilke-Steinhof aka Alec Empire ist Musikproduzent, Komponist und DJ. Er ist Frontmann der Gruppe Atari Teenage Riot und Gründer der Labels Digital Hardcore Recordings und Eat Your Heart Out Records. Er veröffentlicht seit 1991 Musik in den verschiedensten elektronischen Stilrichtungen, unter anderem auf „Mille Plateaux“, dem Label von Achim Szepanski, das sich auf die Philosophen Gilles Deleuze und Félix Guattari bezieht. Er hat mit den unterschiedlichsten Kunstschaffenden gearbeitet, darunter Björk, Nine Inch Nails und Mogwai. Alec Empire lebt in London und tritt auch heute noch auf, unter anderem mit Atari Teenage Riot.

Playliste Alec Empire

Diese Playliste ist der bei Spotify verfügbare Teil der von Alec Empire eingereichten Tracks. Sie verschafft euch einen kleinen Überblick über Digital Hardcore Recordings und sein eigenes Schaffen. Leider mussten aus Lizenzgründen und mangels Verfügbarkeit einige Tracks wegfallen. Für die vollständige Liste schreibt bitte der Redaktion.

Top