Jürgen Laarmann
„Das Magazin, das Trends gesetzt hat“
Das Magazin „Frontpage“ war eine der treibenden Kräfte hinter dem kometenhaften Aufstieg des Techno. Sein späterer Verleger Jürgen Laarmann blickt zurück auf die Anfangszeit der Bewegung.
„Frontpage“
Frontpage war ein Magazin für elektronische Musik und Techno-Kultur. Es erschien erstmals im Mai 1989 mit einer Auflage von 5000 Exemplaren und 8 Seiten als hauseigenes Fanzine für den Technoclub, eine Party mit ausschließlich elektronischem Soundtrack, die in dem Club Dorian Gray stattfand, einem Club im Frankfurter Flughafen. Alex Azary, der Gründer des Technoclubs und ein Veteran der Frankfurter Clubszene, finanzierte die frühe Version von Frontpage als lokales Werbemittel, aber die Reichweite wurde mit der Zeit immer größer. Als Azarys finanzielle Mittel erschöpft waren, nutzte der Frontpage-Mitarbeiter und spätere Herausgeber Jürgen Laarmann im Jahr 1992 die Gelegenheit, das Magazin und seinen Schwerpunkt nach Berlin zu verlegen. Daraus entwickelte es sich zu einem der wichtigsten deutschen Techno-Magazine mit einer Auflage von 70.000 Exemplaren und 140 Seiten im Jahr 1996. Die letzte Ausgabe des Frontpage erschien im April 1997.
Jürgen Laarmann: Ja, ich würde mich der Meinung anschließen: In eine neue Zeit. Da war schon jedes Mal das Gefühl, ich bin hier bei was ganz Neuem dabei und man darf gespannt sein, wie sich das weiterentwickelt. Bei der Loveparade 1990 mit zweitausend Leuten wusste man noch nicht so hundertprozentig, dass da mal eine Million kommen würde. Aber man hat es schon geahnt.
ein Magazin, das damals einzigartig war
Wann hast du beschlossen, ein Magazin zu machen, was den Techno begleitet?Jürgen Laarmann (1995) | © J. Laarmann Am Anfang kam meine Motivation beim Frontpage mitzumachen auch daher, dass ich als freier Mitarbeiter von der Spex - damals die Indie-Zeitung - für Techno immer nur eine ganz kleine Sparte gekriegt habe. Das war einfach zu wenig, weil es immer mehr interessante Veröffentlichungen gab. Die konnten damit eben nur wenig anfangen. Eigentlich waren sie nur froh, dass es überhaupt jemand bearbeitet hat. Aber mehr als eine Viertelseite sollte es im ganzen Heft nicht ausmachen. Da dachten wir zusammen mit den Leuten von Technoclub, wir machen ein eigenes Magazin. Die konnten es dann bald aber nicht mehr bezahlen und hatten auch noch Schulden bei mir. Damit es weiterging, haben wir uns 92/93 darauf geeinigt, dass ich das übernehme. Ich erlasse denen die Schulden und das Magazin gehört mir. Gleichzeitig hatte ich beim Studium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation der Hochschule der Künste in einem Semester fast alle Scheine des Vordiploms gemacht. Das erschien mir aber alles nicht so spannend wie eine eigene Zeitung zu machen, mit der man anfangs ja auch ein bisschen Geld verdienen konnte.
Wie seid ihr das dann angegangen mit dem „Geld verdienen“?
Das ganze Frontpage-Prinzip Anfang der Neunziger, hat ja symbiotisch funktioniert. Mit Frontpage hatten wir ein Magazin, das damals einzigartig war und auch noch bis zu seiner Einstellung eine besondere Stellung hatte. Darüber haben wir unsere eigenen Veranstaltungen beworben. Bei den Frontpage-Touren haben wir immerhin 150 Tour-Dates durch ganz Deutschland und Europa gehabt. Dr. Motte kam dann 1991 auf mich zu, ob ich nicht bei der Loveparade mitarbeiten will, weil ich mit der Frontpage die Parade beworben hatte. Und nachdem die Mayday ins Leben gerufen worden war, haben wir auch die über die Frontpage unterstützt. Das hat noch 5 Jahre recht gut funktioniert.
Techno-Bibel
Wie sah so eine Redaktionssitzung aus? Gab es die überhaupt?Ja, es gab schon ein paar Mitarbeiter*innen. Jede*r hat ihre*seine Sektion gehabt. Aber wir haben schon gemeinsam gesteuert, was für Interviews wir haben wollten. Teilweise kamen auch Plattenfirmen auf uns zu und wollten, dass wir Neuheiten ankündigen. Dann gab es die verschiedenen Rubriken. Am Anfang standen immer Szene News und Neuigkeiten. Dann waren da ein paar Künstler*innenportraits und irgendwelche Specials und Plattenkritiken dabei.
Ihr wart ja dann auch eigentlich DAS Veranstaltungsmagazin für Techno…
Absolut. Frontpage galt lange Zeit als die Techno-Bibel. Das Geile beim Frontpage war, dass es eine ganz lange Zeit eine frei verteilte Zeitschrift war, die es nur über die Plattenläden gab. Da ist man dann auch nur als Insider rangekommen, weil sie ganz schnell vergriffen war, wenn man sie nicht abonniert hatte. Später kamen wir an den Kiosk und das Ganze war schon weniger mythisch.
Habt ihr mit „Frontpage“ auch Trends bestimmt?
Ganz klar. Nach der ersten großen Welle waren wir die ersten, die Anfang 1992 super ultra harten Gabba am Start gehabt und dann Trance als großen übergreifenden Trend promoted haben. Frontpage war immer das Magazin, das Trends gesetzt hat. Ich dachte damals auch, dass das so spannend bleiben würde wie Anfang der 90er, also dass es ständig neue Trends geben würde. Dem war dann leider nicht mehr ganz so. Es wurde halt kommerziell.
Um am Puls der Zeit zu sein, muss man sich ja auch unter die Raver mischen, oder?
Frontpage hatte immer die sogenannten „City Reports“. Wir waren eng verbunden mit den Techno-Macher*innen der anderen Szenen. Wir haben immer auf 8 Seiten berichtet, was in Würzburg, Hamburg, München oder New York passiert. Das war schon ein ganz guter Überblick.
Wo findet man heute noch in der Magazin-Landschaft den Einfluss von „Frontpage“?
Theoretisch ist Frontpage ein Vorgänger von Magazinen wie dem Vice oder ähnliche. Auch der Humor findet sich bei den Techno Nachfolgezeitungen. Auf der anderen Seite war Frontpage in Bezug auf Personengruppen oder die Eingebundenheit in der Rave-Szene wohl einzigartig.
Was hat dieses Magazin in deinem Leben verändert und wo siehst du diese Auswirkungen heute noch?
Von Anfang bis Mitte der 90er Jahre war es mein Lebensinhalt. Wenn jemand einen Film dreht über die 90er Jahre in Deutschland und der Film ist 10 Minuten lang, dann kommt trotzdem eine Minute Loveparade drin vor. Das hat Frontpage wesentlich mit beeinflusst, daher hat es zu Recht einen besonderen Platz in der Geschichte.
Hast du deine Magazine eigentlich zu Hause archiviert?
Nein, ich habe alle weggeschmissen, um ehrlich ich zu sein. Wenn ich irgendwann mal etwas nachlesen wollte, könnte ich ins 3 Kilometer entfernte Archiv der Jugendkulturen gehen. Womöglich werden sie auch demnächst mal digitalisiert. Dann kann man auch in Kanada ein bisschen darin herumstöbern.