Yukiko Watanabe interpretiert von Kimihiro Yasaka im Goethe-Institut Montreal
Memory and Stain
Der japanische Pianist Kimihiro Yasaka war im Dezember 2019 zu einem Rezital im Goethe-Institut eingeladen, um das Werk der Komponistin Yukiko Watanabe zu präsentieren, von dem eines der Stücke auf dem Programm speziell für den Pianisten geschrieben wurde. Die anderen aufgeführten Werke zeigten deutlich die Leidenschaft des Musikers für zeitgenössische Musik und seinen Wunsch, die japanische Kultur zu fördern.
Von Réjean Beaucage
Mit dem Rezital endete ein kreativer Aufenthalt von Yukiko Watanabe im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung zwischen dem Conseil des arts et des lettres du Québec, dem Goethe-Institut Montreal, Le Vivier - Carrefour des musiques nouvelles (Montréal) und Hellerau - Centre européen des arts (Dresden). Die in Köln lebende Komponistin hat einen Katalog mit Werken für Solo und Orchester entwickelt, in dem neue Praktiken und Interdisziplinarität eine große Rolle spielen.
sensibles, poetisches Spiel
© Meta Kluck Das Programm begann ohne Präsentation mit ihrem Stück Secret Question (2019), für „Stimme in verschiedenen Sprachen“, aufgeführt von Mitgliedern des Joker-Chores (Sarah Albu, Magali Babin, Damaris Baker, Michel F. Côté, Jean Derome, Joane Hétu, Kathy Kennedy, Cléo Palacio-Quintin und Vergil Sharkya'). Im Raum verstreut und für einen großen Teil des Publikums versteckt durch die zahlreichen Bücherregale, die das Dekor des Instituts bilden, rufen sich die Mitglieder des Chores kurze Fragen ("Wo?", "Was?", "Wo?"), oder Städtenamen ("Berlin!", "Toronto!") sowie andere scheinbar bedeutungslose Wörter zu. Das kurze Schauspiel wirkte wie ein improvisiertes dadaistisches Gedicht und trug dazu bei, die Köpfe der Zuhörer zu befreien und sie in eine Hörposition zu bringen.Kimihiro Yasaka beginnt dann ohne Vorwarnung mit dem recht schnellen 10. Teil von Natürliche Dauern 1- Kimihiro Yasaka | © Meta Kluck 24 [Durées naturelle 1-24]. Einem Stück, das die dritte Stunde von Klang, Die 24 Stunden des Tages [Son, les 24 heures de la journée] (2004-2007) repräsentiert, dem letzten, leider unvollendeten Werk von Karlheinz Stockhausen. Es wäre erfreulich, bei einem weiteren Mal auch die anderen 21 Teile hören zu dürfen, die der deutsche Komponist vor seinem Ableben fertigstellen konnte.
Der Pianist absolvierte seinen Master in Performance an der Schulich School of Music der McGill University. Aufgrund seines Talents erhielt er verschiedene Auszeichnungen und Exzellenz-Stipendien, aber er scheint trotzdem nicht besonders gewillt zu sein, seine Virtuosität zur Schau zu stellen; im Gegenteil, er bevorzugt die Konstruktion von Atmosphären durch sensibles, poetisches Spiel. Dies zeigte sich besonders deutlich im Block der Werke des finnischen Komponisten Juha T. Koskinen (Kokuugen [2017] und Myoken [2019]) mit dem von Yoshinao Nakada, On A Rainy Night (1948). Diese „japanisch inspirierten" Stücke sind dem impressionistischen Stil sehr nahe und erinnern an Debussy.
Heimweh
Der nächste Block enthielt drei Stücke junger japanischer Komponisten*innen und war eine Hommage an die bildende Künstlerin Carole Simard-Laflamme, die unter den Anwesenden war und einige bewegende Worte an das Publikum richtete. Es gab eine klare Verwandtschaft in diesen Werken, die von Künstler*innen unter 30 Jahren komponiert wurden: Natsuki Niwa (1991), Suiha Yoshida (1994) und Yuna Kurachi (1995). Diese Auswahl sollte die Arbeit einer Künstlerin würdigen, die Stoffe formt und Klangobjekte webt. Die Werke nutzten den Raum in einem lebendigen, fragmentierten Zusammenspiel kontrastierender Dynamiken aus, und das Thema Zeit, das in Yoshidas Falling Layers Of Time evoziert wurde, brachte uns zurück zu dem zuvor gehörten Stockhausen mit seinen repetitiven Aggregaten in den obere Lagen. Der Pianist hat alle drei Stücke bei einem Rezital im japanischen Nagoya im Juli letzten Jahres uraufgeführt.Kimihiro Yasaka | © Meta Kluck Es folgte eine „Hommage an Debussy" durch ein Werk von Philippe Leroux, Dense...Englouti (2011). Der Komponist selbst erklärte, dass er in der Tat von zwei Auszügen aus dem ersten Buch der Präludien (1910) inspiriert wurde: La cathédrale engloutie und La danse de Puck. Die Abfolge der scharfen, trockenen Attacken scheint ziemlich weit von Debussys Stil entfernt zu sein, der sich jedoch am Ende des Werkes entlarvt, als es gilt, die Resonanz am Schluss der Phrasen zu färben. Auf diese Hommage folgte eine weitere, diesmal an Robert Schumann. Eröffnet von einem kurzen Stück des kanadischen Komponisten Chris Paul Harman, wurde dieser Block mit Reine Liebe (2015) von Hideki Kozakura fortgesetzt; die kanadische Erstaufführung hatte 2017 bei Yukiko Watanabe | © Meta Kluck einem Konzert im Vivier in Montreal stattgefunden. Durch eine Reihe harmonischer Akkorde, die von Schumann stammen könnten, fügen zeitgenössische Stöße eine gewisse Spannung hinzu, aber seltsamerweise ist es immer noch Debussy, an den zu denken ist in den durchscheinenden Erweiterungen der dampfförmigen Akkorde. Man sagt, dass er einen nachhaltigen Einfluss auf japanische Komponisten*innen gehabt zu haben scheint!
Die Komponistin Yukiko Watanabe stellte das letzte Werk des für den Pianisten komponierten Programms vor und erklärte, dass sie 2008 Japan verlassen habe, um sich zuerst in Österreich und dann in Deutschland niederzulassen, und dass sie manchmal Heimweh habe. In Erinnerung an ein altes, verstimmtes Klavier, das sie in einer Schule in ihrer Heimatstadt Nagano kennen gelernt hatte, wollte die Komponistin den gebrochenen Klang des Instruments in diesem Stück für präpariertes Klavier wiederherstellen.
Nachdem er verschiedene Gegenstände auf den Saiten des Instruments installiert hatte, erklärte der Pianist, dass er noch nie zuvor derartige Empfindungen beim Spielen eines Stücks erlebt habe. Memory and Stain for living room with small piano (Erinnerung und Fleck für Wohnzimmer mit kleinem Klavier) führt zurück zu dem Spiel, welches den Abend eröffnet hatte und gibt ihm nun die Bedeutung, die vormals unklar war. Die in keiner bestimmten Reihenfolge ausgeworfenen Fragen, die Namen der Städte usw. machen nun alle Sinn, denn das Stück scheint eine subjektive Vertonung des „improvisierten Gedichts" zu sein, das uns der Chor präsentiert hatte.
Kurzum, ein Rezital mit einem abwechslungsreichen Programm, mit ausgewählten Werken, die ständig aufeinander verweisen und den Anwesenden Denkanstöße geben. In den intimen Räumen der Bibliothek des Goethe-Instituts und in entspannter Atmosphäre dargeboten, war es ein wunderbarer Höhepunkt der Residenz der Komponistin Yukiko Watanabe.