Ein Interview mit Stéphane Dion
"Eine gemeinsame Vision"

Im Juni 2017 überreichte der ehemalige kanadische Minister für auswärtige Angelegenheiten und Vorsitzender der Liberalen Partei Kanadas Stéphane Dion sein Beglaubigungsschreiben als Botschafter von Kanada in Deutschland und Sonderbeauftragter für die Europäische Union und Europa. In diesem exklusiven Interview teilt Botschafter Dion seine ersten Eindrücke und reflektiert über die Beziehungen zwischen Deutschland und Kanada.
 

Stephane Dion, kanadischer Botschafter in Deutschland und Sondergesandter für die Europäische Union und Europa Foto: Embassy of Canada to Germany, Berlin Oktober 2017
Übersetzung Angela Selter
 
Sie sind nun schon seit einigen Monaten in Berlin. Was sind Ihre ersten Eindrücke von der Stadt? Gibt es etwas, was Ihnen besonders aufgefallen ist, als Sie nach Deutschland kamen?
 
Stéphane Dion:
Berlin scheint mir die Vorteile einer großen Stadt zu bieten, ohne deren Nachteile zu haben. Sie hat eine großartige Kultur, und sie ist nicht zu verkehrsreich. Außerdem habe ich den Eindruck, dass die Leute nicht allzu gestresst sind. Berlin ist eine Stadt, in der man sehr gut leben kann und ich freue mich darauf, sie noch näher kennen zu lernen.
 
Berlin ist eines der Kulturzentren Europas. Auf welche kulturelle Veranstaltung freuen Sie sich während Ihrer Amtszeit besonders und warum?
 
Der Kulturkalender von Berlin ist wirklich sehr beeindruckend und ich konnte schon an einigen sehr interessanten Veranstaltungen teilnehmen, etwa an der Gala der GreenTec-Awards, an denen Kanada als Partnerland beteiligt war. Auch in der Staatsoper war ich bereits, und auf dem Tempelhofer Feld habe ich an einem Street-Hockey-Spiel mit Geflüchteten teilgenommen, um nur einige zu nennen.
 
Was die Veranstaltungen in der kommenden Zeit angeht, freue ich mich besonders auf das internationale Filmfestival in Berlin, die Berlinale. Diese Veranstaltung bietet eine hervorragende Gelegenheit, um kanadische Talente zu entdecken und sie auf internationaler Ebene zu unterstützen. Unsere Botschaft am Potsdamer Platz wird auch in diesem Jahr wieder ein offizieller Veranstaltungsort sein. Ich freue mich schon darauf, diese Zusammenschau großartiger deutscher, europäischer, kanadischer und andere Produktionen und Koproduktionen zu erleben. Gut gefallen hat mir auch das international Literaturfestival, in dessen Rahmen unter anderem eine Lesung der Autorin Madeleine Thien stattfand, wie auch das Reeperbahn Festival in Hamburg, an dem Kanada als Partnerland beteiligt war. Die genannten Veranstaltungen sind natürlich nur ein Ausschnitt. Berlin hat eine unglaublich breit gefächerte unabhängige Kunstszene, die ich jedem – Berlinern wie Kanadiern und allen Besuchern – ans Herz legen kann.
 
Wie gut haben Sie schon Deutsch gelernt? Haben Sie ein Lieblingswort?
 
Mir werden sicherlich viele darin zustimmen, dass das Erlernen der deutschen Sprache nicht leicht ist, aber auf jeden Fall faszinierend. Die Motivation und das Interesse sind also definitiv vorhanden! Was sie interessant macht, ist, dass es einige sehr große Ähnlichkeiten zum Englischen und Französischen gibt, in mancher Hinsicht aber völlig anders ist, gar keine Verbindung hat. Und außerdem ist mir bewusst, dass man sich vor falschen Freunden hüten muss: ein „Fehler“ ist kein Scheitern (im Sinne von „failure“), sondern einfach nur ein Fehler („mistake“). Aber seien Sie versichert, ich lerne fleißig weiter und habe daher jeden Tag ein neues „Lieblingswort“. Vielleicht führen wir unser nächstes Gespräch nur auf Deutsch!
 
Neben Ihrem Amt als Botschafter in Deutschland sind Sie zum Sondergesandten für die Europäische Union ernannt worden. Was bedeutet das für Sie und worin sehen Sie die Herausforderungen in der Verbindung dieser beiden Ämter?
 
Als oberster von Premierminister Justin Trudeau nach Europa entsandter Diplomat spiele ich bei der Förderung der Interessen Kanadas in ganz Europa eine wichtige Rolle. Ich sorge dafür, dass die diplomatischen Missionen und auch die paneuropäische Maßnahmen Kanadas gut aufeinander abgestimmt sind. Mit dem vorläufigen Inkrafttreten von CETA freue ich mich darauf, die wirtschaftlichen Beziehungen auszubauen und sowohl für Kanadier als auch Europäer mehr Wohlstand und bessere Marktchancen zu schaffen – das alles in einem ganz neuen progressiven und sozialverantwortlichen Rahmen. Als Botschafter in Deutschland setze ich mich für die Vertiefung der engen Freundschaft zwischen Deutschland und Kanada ein, die nicht nur für das Erreichen unserer Ziele in Europa, sondern auf der ganzen Welt eine Schlüsselrolle spielt. Kanada, Deutschland und Europa stehen vor Aufgaben, die keine Grenzen kennen – Migration, Protektionismus, Terrorismus. Durch Zusammenarbeit und eine starke Partnerschaft können wir sie am besten meistern. Ich habe das Glück und bin dankbar dafür, dass ich von einem unglaublich guten Team unterstützt werde – in unserer Botschaft hier in Berlin, in unserer Botschaft in Brüssel und letztlich in jeder einzelnen unserer europäischen Botschaften, aber auch in unserer kanadischen Hauptstadt Ottawa.
 
Die Beziehungen zwischen Kanada und Deutschland gelten als hervorragend. Welche Aspekte der Beziehung zwischen den beiden Ländern sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten?

 
Kanada und Deutschland haben eine enge Verbindung und unsere politischen und wirtschaftlichen Partnerschaften sind stärker denn je. Durch die Bedeutung seiner Wirtschaft auf dem europäischen Kontinent hat Deutschland natürlich einen erheblichen Einfluss auf globale Themen. Die führende Rolle Deutschlands wird mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU nur noch weiter gestärkt. Deutschland ist nicht nur in Sicherheitsfragen ein wesentlicher Akteur und Partner, sondern hat aktuell auch die G-20-Präsidentschaft inne, während sich Kanada darauf vorbereitet, die Präsidentschaft der G7 zu übernehmen. Beide Länder sind aktive Mitglieder der internationalen Gemeinschaft, die eine gemeinsame Vision haben und für liberale Werte stehen, welche die Grundlage unserer soliden transatlantischen Beziehungen bilden. Diese verlässlichen Verbindungen sind die Garantie dafür, dass sich unsere bilateralen Beziehungen noch weiter entfalten werden.
 
Botschafter Dion gab dem Goethe-Institut Toronto ein Exklusiv-Interview