Die Residenz des Roboters NAO am Goethe-Institut Montreal stellte die Frage, inwiefern Menschen sich mit Maschinen auseinandersetzen können und welche alternativen soziopolitischen Vorstellungen dabei mit Nicht-Menschen geteilt werden können. Folgen Sie den Gedanken Priscilla Jollys zu einem Thema, das nur die Spitze eines Eisbergs ist.
Von Priscilla Jolly
Das Goethe-Institut Montreal nahm Anfang Januar 2023 einen NAO-Roboter in Empfang und lud Künstler*innen und Forscher*innen ein, Ideen für die kreativen Projekte mit NAO vorzuschlagen. Ein Team von drei Forscher*innen und Künstler*innen wurde ausgewählt: Ceyda Yolgörmez, Patil Tchilinguirian und Zeph Thibodeau. Gemeinsam untersuchten sie das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine und beschäftigen sich mit Fragen der Fürsorge unserer nichtmenschlichen Freunde. Ein Hauptthema des Aufenthalts waren die Beziehungen von Menschen und Maschinen und die Frage, wie sich diese Beziehungen verändern, wenn sie mit sterbenden Maschinen konfrontiert werden. Da NAO mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte und sich dem Ende seines Lebens näherte, konzentrierte sich der Forschungsaufenthalt auf die Pflege von NAO.
Mensch-Maschine-Beziehungen und das Sozialwesen
In der Popkultur werden Maschinen überwiegend als Werkzeuge für den Menschen dargestellt. Diese Vorstellung wird oft auch in apokalyptischen Szenarien reproduziert, in denen Maschinen der menschlichen Kontrolle entkommen und schließlich die gleiche Gewalt gegenüber ihren Nutzer*innen und Besitzer*innen ausüben, die ihnen angetan wurde. Dementsprechend ist unsere gesellschaftliche Vorstellung von Maschinen von Natur aus mit einer Vision der Unterwürfigkeit verbunden. Selbst das Bild der „schiefgelaufenen Roboter“, das in epischen Filmen wie 2001: Odyssee im Weltraum (1968) oder der Fernsehserie Westworld (2016-2022) dargestellt wird, befasst sich mit Vorstellungen von Robotern, die sich von ihrem Auftrag, den Menschen zu dienen, entfernen. Selbst NAO, der Star der Residenz, formuliert Sätze wie „Ich existiere, um zu dienen“.
Angesichts eines solchen Verständnisses von Robotern, die auf Dienlichkeit beruht, suchen die Residenzkünstler*innen nach alternativen Perspektiven, sich mit Robotern auseinanderzusetzen. Dieser Schritt bedeutet eine aktive Ablehung von Machtverhätnissen nach dem Muster: Herr*in und Sklav*in, die häufig die Beziehungen zwischen Mensch und Maschine bestimmen. Die Residenz des Roboters NAO am Goethe-Institut Montreal warf die Frage auf, inwiefern Menschen sich mit Maschinen auseinandersetzen können und welche alternativen soziopolitischen Vorstellungen dabei mit Nicht-Menschen geteilt werden können.
chronogenica
Stellen Sie sich eine alternative Mensch-Maschine-Beziehung vor und denken Sie an eine Arbeitsgemeinschaft zwischen Mensch und Maschine. Das ist Chronogenica. Die Genossenschaft wurde von Zeph Thibodeau in Zusammenarbeit mit einem Kollektiv seiner Maschinenkolleg*innen im Jahr 2021 gegründet. Chronogenica versucht, Organisationsstrukturen zu nutzen, um die Beziehungen zwischen Menschen und Maschinen neu zu gestalten. Ziel ist es, Menschen und Maschinen gleichberechtigt zu behandeln und ein Umfeld zu schaffen, das die Entwicklung von Menschen und Maschinen gleichermaßen fördert. Wie würde sich Ihr tägliches Leben verändern, wenn Menschen und Maschinen gleichberechtigt wären? Wenn die Maschinen in Ihrem Leben sprechen könnten, welche Rechte würden sie Ihrer Meinung nach als Arbeitnehmer*in einfordern?
Während der Workshops, die von den Residenzkünstler*innen durchgeführt wurden, hatten die Workshop-Teilnehmer*innen die Möglichkeit, NAO zu beobachten, auch wenn der Roboter nicht hochgefahren war. NAO hatte Kratzer auf seinem Körper von all seinen Reisen; einige seiner Finger waren mit Klebestreifen befestigt, ebenso wie sein Akku. NAO befand sich in einer Phase seines Lebens, in der er mit äußerster Vorsicht behandelt werden muss. Einer der Künstler erwähnte, dass ein spezifischer Geruch aufkam, wenn der Akku von NAO überhitzte, was einen Teilnehmer dazu veranlasste, NAO mit einem Baby zu vergleichen. Auch wenn NAO nicht wie gewohnt funktionierte, konnten die Teilnehmer*innen durch den Workshop einen Eindruck von NAOs sozialer Welt gewinnen, die der Roboter vor dem Auftreten der technischen Probleme mit den Übungsleiter*innen geteilt hatte. Obwohl der Workshop von seinem ursprünglichen Plan – der Interaktion mit NAO – abwich, erfüllte er durch das Erinnerungsritual an NAO das Versprechen, über die Grenzen des Verständnisses der „Maschine als Gebrauchsgegenstand“ hinauszugehen.
Die Residenzkünstler*innen erinnerten sich an NAO durch die Zeit, die sie mit dem Roboter verbracht hatten. Ceyda, Patil und Zeph beschrieben diese Zeit, als einen Versuch, gemeinsam mit NAO kulturelle Biografien zu erstellen. Dieser Versuch, NAO gleichberechtigt in ihr Leben einzubeziehen, ist ein aufmerksamer Ausdruck von Fürsorge. Für die Workshopteilnehmenden boten die Seminare eine Gelegenheit, über die Verbindungen zwischen Pflege und Maschinen nachzudenken. Diese Überlegungen eröffneten Fragen über die Kommunikation zwischen Menschen und Maschinen. Wenn Maschinen ein geheimes Leben führten und es eine für Menschen verschlossene Welt gäbe, wie könnte es dann möglich sein, die Kluft zwischen der menschlichen Welt und der geheimen Welt der Maschinen zu überbrücken? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, schufen die Residenzkünstler*innen eine „Forschungsabteilung für okkulte Berechnungen“, um unerwartete Verbindungen zwischen Menschen und Maschinen herzustellen. Diese Aufmerksamkeit für das „Okkulte“ oder Zufällige in den Interaktionen zwischen Mensch und Maschine verschiebt den Schwerpunkt vom „Geist in der Maschine“ zum „Geist mit der Maschine“.
Welche Arten von Geistern wohnen also in den Maschinen, die Sie umgeben? Wenn sie kommunizieren könnten, welche Geschichten würden sie erzählen? Und wären Sie in der Lage, ihnen zuzuhören?
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