1975 | 123 min
Faustrecht der Freiheit

Von Wieland Speck

Faustrecht der Freiheit

Regie: Rainer Werner Fassbinder | Deutschland 1975 | 123 Minuten | Farbe
Sprachen: Deutsch mit englischen Untertiteln
Ausleihformate: DCP (neu restaurierte Version)
US-Verleih: Criterion Collection / Janus Films
Weltvertrieb: Rainer Werner Fassbinder Foundation / Antonio Exacoustos
(35 mm- und 16 mm-Kopie mit englischen Untertiteln bei EFS und Filmarchiv Austria)

Das Ende der 1960er-Jahre ist markiert durch die generativen Umwälzungen weit über die europäischen und US-amerikanischen Grenzen hinaus. Studierende von Mexiko bis Tokio nahmen sich bislang verwehrte Freiheiten. Die schwulen und lesbischen Nachkriegs-Bewegungen in Deutschland waren bereits durch die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung und die Emanzipation des neuen Feminismus politisiert und wurden befeuert durch den Stonewall-Aufstand in Greenwich Village. Filme von Feministinnen wie Ula Stöckl und Helke Sanders, neuartige experimentelle Werke sowie der Neue Deutsche Film drängen auf den Markt. Produktionen wie Der junge Törless (Volker Schlöndorff, 1966), Jagdszenen aus Niederbayern (Peter Fleischmann, 1969), Ludwig – Requiem für einen jungfräulichen König (Hans-Jürgen Syberberg, 1972), Die Zärtlichkeit der Wölfe (Uli Lommel, 1973) sind der Hintergrund für die Initialzündung, mit der die Kollektivproduktion von Rosa von Praunheim und Martin Dannecker „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt“ (1970, TV-Ausstrahlung 1973) die linken Schwulen erstmals auf die Straße trieb.
 
Der Meister des Neuen Deutschen Films, dessen unverschnörkelte Direktheit zur der Zeit des Entstehens auch wütende Reaktionen hervorrief, spielt die provokanteste Rolle in FAUSTRECHT DER FREIHEIT gleich selbst: Rainer Werner Fassbinder ist der schwule Proletarier, der an der Blasiertheit einer homosexuellen Mittelklassewelt zerbricht. In diesem herausragenden Werk spiegeln sich verschiedene Befindlichkeiten der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft auf eindringliche Weise: Die Wirtschaftswunder-Gewinner pflegen ein reaktionäres Gehabe, auch wenn es sich bei ihnen um Homosexuelle handelt: unpolitisch opportunistisch und kalt wie Eis. Gleichzeitig der Glaube an gesellschaftlichen Aufstieg, der Wunsch der Homosexuellen, dazuzugehören – Kameramann Michael Ballhaus findet für das bedrückende Szenario verlogenen Verhaltens Kinobilder, die zum Besten gehören, was das deutsche Nachkriegskino geschaffen hat.
 
Zu einem weiteren Meilenstein wurde vor allem durch die Fernsehausstrahlung Die Konsequenz (Wolfgang Petersen, 1977) nach Alexander Zieglers gleichnamigem Roman. Der Autor war wegen Homosexualität im Gefängnis und bearbeitete diese seelische Tortur auch im Drehbuch.

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