Der Komponist und Musiker Markus Mehr in Montreal
„Wasser ist alles“
Der Augsburger Künstler Markus Mehr ist im Herbst 2018 zu Besuch in Montreal und führt sein neues Werk „Liquid Empires“ beim Festival Akousma auf.
„Wasser ist alles. Es ist lebenspendend und tödlich, es ist Fortschritt und Komfort, es ist zentral für unsere Wirtschaft, Energie, Transport, Nahrung, Wärme, Kühlung und Herstellung.“
Sein Debutalbum Lava erschien im Jahre 2010, ein abstraktes Werk mit hoher emotionaler Dichte, dem in den Jahren darauf weitere Experimente in Klangkunst, orchestralen und teils nichtharmonischen Klangskulpturen, digitalem Surrealismus und durch Lärmelemente aufgebrochene großenteils repetitive Kanons folgten (vollständige Diskographie siehe unten).
Spektralanalyse und Zeitmanipulationssoftware
Mehr führt seine ausufernden Kompositionen jedoch immer wieder zurück zu atmosphärischen Passagen voller Harmonie, flicht Gitarren oder Streichersamples ein und schafft so mehrschichtige, bewegte Stücke voller Spannung und Dichte. Bei zahlreichen Aufführungen von Augsburg bis Casablanca kooperiert Mehr mit der visuellen Künstlerin Stefanie Sixt, eine langjährige Zusammenarbeit, aus der auch zahlreiche Videoclips entstanden sind.Im Herbst 2018 wurde Mehr nun eingeladen, um dem Montrealer Publikum seine neueste Veröffentlichung auf dem renommierten Festival Akousma für immersive elektronische Musik vorzustellen. Das Album wurde quasi in seiner Gesamtheit unter Wasser aufgenommen, die so entstandenen Aufnahmen digital weiterverarbeitet und mittels Spektralanalyse und Zeitmanipulationssoftware zu kohärenten Kompositionen gemacht. Die so schönen wie mystischen Texturen und Muster zählen zu den spannendsten Kompositionen in Mehrs Werk. Wir haben die Chance ergriffen ihm anlässlich seines Besuchs in Montreal einige Fragen zu stellen.
Markus Mehr, das renommierte Montrealer Akousma-Festival hat dich dieses Jahr eingeladen. Wie kam der Kontakt zustande?
Ich arbeite ohne Booking-Agentur und scanne permanent die Festivallandschaft. Oft empfehlen auch Kollegen Festivals, auf denen Sie gespielt haben. So war es auch im Fall des Akousma-Festivals. Allerdings hat sich unsere Korrespondenz über gut zwei Jahre hingezogen, bis es nun geklappt hat.
Dein neues Album heißt Liquid Empires, fast alle Sounds sind unter Wasser aufgenommen worden. Welche Bedeutung hat dieses Element für dich?
Wasser ist buchstäblich alles. Wir bestehen zu einem überwiegenden Teil daraus, wir verbringen unsere ersten neun Monate darin, es spendet Leben und es kann Leben nehmen. Es ist voller Mystik unerforscht, unergründlich. Und „selbstverständlich“ kommerzialisieren wir es und vergiften es. Trinkwasser wird immer knapper, es hat also global betrachtet eine zunehmend existenzielle soziale, politische Bedeutung.
Experimentelle Musik funktioniert nicht als steriles Laborprodukt
Im Unterschied zu den meisten zeitgenössischen Komponisten experimenteller Musik hört man in deinen Kompositionen immer wieder Elemente von Popmusik (Synthesizer-Sequenzen, Gitarrensamples) aufblitzen, die, aus ihrem üblichen Kontext gerissen, eine starke emotionale Kraft besitzen. Ist das die Liebe zur Musik oder Provokation?Ich finde es wichtig, dass neben fordernden, anstrengenden, ungewöhnlichen Passagen wiederum versöhnliche, harmonische, leichtere Elemente ihren Platz finden. Diese kompositorische Dynamik ist mir genauso wichtig wie laut/leise oder tief/weit etc. Experimentelle Musik funktioniert ja nicht als steriles Laborprodukt. Wichtig ist in der Tat das emotionale Moment. Wir wollen berührt, verführt, entführt werden, nur deswegen hören wir Musik, betrachten Bilder oder lesen Bücher. Das „wie“ ist mir persönlich dabei egal.
Welche Rolle spielt Technik bei deiner Arbeit? Ist sie nur Mittel zum Zweck oder hat sie eine eigene Rolle?
Ohne Studiotechnik bin ich nichts. Ich verwende so gut wie keine herkömmlichen Instrumente, sondern arbeite ausschließlich mit Field Recordings. Das war bereits bei den letzten Alben so und ist noch extremer bei LIQUID EMPIRES. Was nach Synthesizer klingt, ist in den allerwenigsten Fällen auch tatsächlich einer. Ich habe auf diesem Album an wenigen Stellen meinen Juno 106 verwendet und als Gegengewicht eher mit Streichern gearbeitet. Der Rest ist „heavy processing“.
Gemälde oder Kurzgeschichte - welche Idee passt besser zu deiner Musik?
Beides. Ich liebe es, wenn etwas rasch und spannend auf den Punkt gebracht wird. Eine gute Geschichte muss nicht ein Buch mit tausend Seiten füllen. Die Entstehung meiner Musik ist jedoch mehr wie ein großformatiger Gemäldeschinken zu verstehen. Ich sitze oft Monate dran, muss immer wieder weiten Abstand nehmen, um mich im Anschluss in nahezu unhörbaren Details zu verlustieren.
Deine Musik verändert sich ständig, jedes Album hat ein neues Konzept. Ist das alles Teil eines Masterplans, oder entstehen die neuen Ideen spontan?
Bisher habe ich immer ein Thema, eine Aufgabe, ein Konzept im Kopf, das ich dann verfolge. Nicht statisch und im Verlauf des Machens kommen immer noch neue Aspekte hinzu, aber der Basis-Auftrag steht quasi vorher. Bei LIQUID EMPIRES war die Idee, der „Welt des Unhörbaren“ zuzuhören bzw. die entstandenen Aufnahmen als Soundquelle für meine Musik zu verwenden.
Du warst in den letzten Jahren außer in vielen deutschen Städten unter anderem auch in Casablanca, Verona, Madeira, Rotterdam und jetzt in Montreal. Wohin geht es als nächstes?
Das kommt darauf an, wer mich einlädt. Ich spiele zwar gerne vor Zuschauern, forciere die Liveauftritte aber nicht mit Nachdruck. Und ich bin in der Regel sehr an Zielen interessiert, die ich mit dem Zug erreichen kann. Nichtsdestotrotz freue ich mich sehr auf Montreal und das Akousma Festival.
Diskographie
- Lava (2010)
- In (2012)
- On (2012)
- Off (2013)
- Binary Rooms" (2014)
- Re-Directed (2016)
- Dyschronia (2017)
- Liquid Empires (2018)
alle: Hidden Shoal, Perth