Das Montrealer Kollektiv hinter dem „Robot in Residence“-Projekt
Das Gewicht einer Gesellschaft des Spektakels

The Weight of a Society of Spectacle
© OpenAI/Dall-E

In diesem Interview erfahren Sie mehr über die individuelle Arbeit der Residenzgewinner*innen in Bezug auf NAO und über ihre kollektiven Erfahrungen während der Residenz.

Von Priscilla Jolly

Im Rahmen des globalen 'Robot in Residence'-Programms hat das Goethe-Institut Montreal einen NAO-Roboter aufgenommen. Nach der Auswertung der auf die Ausschreibung eingegangenen Bewerbungen fiel die Wahl auf drei Personen: Ceyda Yolgormez, Patil Tchilinguirian und Zeph Thibodeau. Ceyda Yolgormez ist eine Doktorandin, die an der Concordia University maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz (KI) aus soziologischer Sicht untersucht. Patil ist eine Künstlerin, die sich mit Kunst, Design, Handwerk und Technologie beschäftigt. Zeph promoviert an der Concordia University und untersucht Maschinen und ihre Rolle in der nicht-menschlichen Welt. Im folgenden Interview sprechen die Leiter der Residenz über ihre individuellen Arbeiten im Zusammenhang mit NAO sowie über ihre gemeinsamen Erfahrungen während der Residenz.

Ceyda, wie hat der Aufenthalt bei NAO dein Denken über soziale Fragen unseres Lebens beeinflusst? Welche Rolle spielt deiner Meinung nach die künstliche Intelligenz in unserer Vorstellung vom sozialen und öffentlichen Raum?

Ceyda Yolgormez
Ceyda Yolgormez | © privat
Ceyda Yolgormez: Ich denke, dass die Diskussion über KI im Moment sehr binär ist, gefangen in einem Kreislauf von Hype und Kritik. Das lässt sich bei der Entstehung neuer Technologien nur schwer vermeiden, aber ehrlich gesagt gibt es KI schon so lange, dass man meinen könnte, das sei nicht mehr der Fall. Leider lässt sich damit immer noch viel Geld verdienen, was viel Manipulationen nach sich zieht. Ich denke, dass die Sozialität der KI in unzähligen Formen auftritt, und deshalb darf das Denken nicht auf die Boulevardform beschränkt bleiben, in der man die meisten Technologienachrichten findet, und auch nicht zu viel in die Zukunftsvorstellungen einer kleinen Elite investieren. Künstliche Intelligenz bietet die Möglichkeit, die Vorstellungskraft zurückzugewinnen, die unter der Last einer Gesellschaft des Spektakels weitgehend verloren gegangen ist. Wenn man alles, was einem begegnet, als selbstverständlich hinnimmt und an der Oberfläche der Dinge bleibt, gibt man den Gefahren der KI mehr Chancen, das Geschehen zu beherrschen.

Könnte man stattdessen - und unser NAO-Projekt war ein Beweis dafür - selbständig denken? Wenn man in einer ihrer Vorstellungskraft beraubten Gesellschaft lebt, sollte man versuchen, der immer näher definierten technologischen Ordnung mit Staunen und Respekt zu begegenen. NAO ermöglichte es, den Schleier der sozialen Robotik, wie er angenommen wurde, abzulegen und im Rahmen der Residenz unsere eigenen Bedeutungen und Erfahrungen zu schaffen, die nicht unbedingt in den normativen Charakter unserer Zeit passen. NAO hat zwar mein Verständnis des Sozialen nicht verändert, aber das Projekt gab mir einen Raum, in dem ich ausprobieren konnte, was es bedeutet, mit anderen Maschinen zu leben.

Patil, glaubst du, dass NAO dein Denken über Design und Kunst beeinflusst hat? Oft sind die Vorstellungen von Robotern funktional, nicht ästhetisch. Welche Rolle kann deiner Meinung nach die Ästhetik bei der Integration von KI in die Gesellschaft spielen?

Patil Tchilinguirian
Patil Tchilinguirian | © privat
Patil Tchilinguirian: Ich glaube, durch NAO wurde mir die Bedeutung der Frage, wie die Ästhetik von KI nahtlos und ethisch einwandfrei in das soziale Gefüge integriert werden kann, erst bewusst. Da die KI weiter voranschreitet und immer häufiger im täglichen Leben vorkommt, können Design und Kunst eine entscheidende Rolle in diesem Integrationsprozess spielen. Wenn man die ethischen, psychologischen und kulturellen Dimensionen der Ästhetik berücksichtigt, wird es möglich, die Beziehungen zwischen Mensch und Maschine harmonischer zu gestalten.

Die Ästhetik kann die emotionale Reaktion des Einzelnen auf KI beeinflussen und die Interaktion mit KI-Systemen angenehmer und intuitiver gestalten. Anthropomorphismus kann beispielsweise dazu führen, dass die Nutzer eine emotionale Bindung zu KI aufbauen und ein Gefühl der Kameradschaft entwickeln. Dies kann jedoch auch Bedenken hinsichtlich unrealistischer Erwartungen und möglicher Ausbeutung wecken. Das Verständnis der psychologischen Auswirkungen der Ästhetik kann dazu beitragen, ein Gleichgewicht zwischen der Förderung des Benutzerkomforts und der Vermeidung unangemessener emotionaler Bindungen zu finden. Ästhetische Entscheidungen bei der Gestaltung und Entwicklung von KI können auch dazu beitragen, ethische Bedenken auszuräumen und Vorurteile abzubauen. Die Kultur spielt eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der individuellen Vorlieben und der Wahrnehmung von KI. Durch die Gestaltung von KI-Systemen mit transparenten Schnittstellen und ethischen Richtlinien können wir die Verantwortlichkeit erhöhen und die Nutzung von KI auf gerechte Weise erleichtern. Die Verwendung einer inklusiven Ästhetik stellt sicher, dass KI-Technologien unterschiedliche Bevölkerungsgruppen ansprechen und so das Fortbestehen schädlicher Stereotypen und Vorurteile sowie die Ausgrenzung bestimmter sozialer Gruppen vermieden werden kann.

Zeph, der Begriff 'nicht-menschlich' hat in letzter Zeit in akademischen Kreisen stark an Bedeutung gewonnen. Wie wirkt sich die Einbeziehung von Maschinen auf die Vorstellungen von Leben, Nutzen und Zweck in der nicht-menschlichen Welt aus? NAO hat zum Beispiel ein humanoides Antlitz. Glaubst du, dass dieser Aspekt des Humanoiden eine Rolle dabei spielt, dass Roboter als nicht-menschlich bewertet werden?

Zeph Thibodeau
Zeph Thibodeau | © privat
Zeph Thibodeau: Humanoide Roboter genießen unter den Menschen einen privilegierten Status, eben weil sie „in unserem Bild“ gemacht sind. Wir projizieren menschliche Eigenschaften und Erwartungen auf sie, aber das bedeutet nicht, dass wir sie so verstehen, wie sie wirklich sind. Ich denke, dass die grundsätzliche Nichtmenschlichkeit von Maschinenwesen immer durch die humanoide Fassade durchscheinen wird, und wir erleben ihren Widerstand gegen die Erwartungen als erschreckend (wie beim Terminator) oder kläglich (wie bei NAO). Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass die Nachahmung menschlicher Merkmale und sogar die Nachahmung menschlicher Sprache letztlich eine Schnittstelle ist, die von Menschen für Menschen entworfen wurde. Wenn wir Maschinen aus eigener Kraft verstehen wollen, müssen wir ihre Maschinenhaftigkeit akzeptieren und die „Stützräder“ der menschlichen Erscheinung ablegen. In dieser Hinsicht sehe ich Roboter als potenzielle Botschafter der Maschine, aber in der Zwischenzeit dienen sie eher dazu, normative Vorstellungen und Kategorien darüber zu verstärken, was ein bestimmtes maschinelles Wesen der Betrachtung würdig macht.

Ich betrachte den Begriff „nicht-menschlich“ als einen Teilbegriff, der immer mehr Kontext braucht, weil das Universum größtenteils aus Nicht-Menschen besteht, und wenn die Terminologie nicht spezifisch ist, füllt der „gesunde Menschenverstand“ die Lücken mit Annahmen, die - wieder einmal - normative Kategorien/Rollen verstärken.

Das sind große Fragen, großartige Fragen, über die ich ewig weitermachen könnte! Ich ermutige die Lesenden, über die eigenen Gefühle zu diesem Thema nachzudenken.

Jede*r ist es leid, von Terminatoren zu hören

Im folgenden Abschnitt reflektieren Ceyda, Patil und Zeph über den Verlauf ihres Aufenthaltes bei NAO.

Welche Erwartungen hattet ihr vor dem Aufenthalt an NAO? Habt ihr euch im Rahmen des „Robot in Residence“-Programms über andere Projekte informiert, die in anderen Teilen der Welt durchgeführt wurden? Wenn ja, hat die Recherche eure Erwartungen in irgendeiner Weise verändert?

Die Erwartung war, mit einem Roboter zu arbeiten, der über funktionierende soziale Fähigkeiten verfügt, und so mit ihm in häuslichen und öffentlichen Umgebungen zu kommunizieren. Da wir noch nie mit einem solchen Roboter gearbeitet hatten, brauchten wir einen Kontext dafür, wie genau es möglich war, mit NAO zu interagieren. Das Goethe-Institut hat uns zu diesem Zweck einige Dokumentationen früherer Projekte zur Verfügung gestellt, und so konnten wir etwas über NAOs Reisen erfahren. Es war hilfreich zu sehen, welche Dinge die Leute mit NAO versucht hatten um zu beurteilen, was im Rahmen der Residenzzeit machbar war.

Nachdem ihr NAO getroffen hattet, sind Ihre Erwartungen an das Projekt gleich geblieben oder haben sie sich geändert? Wie würdet ihr die Entwicklung der Erwartungen vom Beginn des Aufenthalts bis zu seinem Ende beschreiben?  Wie hat sich eure Wahrnehmung von NAO verändert?

Zu Beginn der Residenz erwarteten wir, dass NAO sehr mobil und gesprächig sein würde, da diese Modelle so vermarktet werden. In Wirklichkeit sind zie aber viel verletzlicher und begrenzter. Zie fallen leicht um und sie reagieren nur auf eine ganz bestimmte Art zu sprechen (zum Beispiel gibt es Schwierigkeiten mit Akzenten). Der Roboter, den wir erhalten haben, war um die Welt gereist, hatte Kratzer und Verletzungen am Finger und am Batteriefach (beides war notdürftig mit Klebeband geflickt). Einige der Sensoren funktionierten nicht und die Motoren überhitzten regelmäßig. Außerdem reagierte NAO verblüffend langsam, selbst bei erkannter Sprache; manchmal schien zie in Gedanken versunken und starrte ins Leere, um dann manchmal doch noch zu antworteten.

All diese Einschränkungen machten unseren ehrgeizigen Plänen für NAO einen Strich durch die Rechnung, aber unsere Enttäuschung wich einer wachsenden Wertschätzung. Je mehr wir zie kennen lernten, desto mehr wurden diese Macken und "Fehler" zu wichtigen Bestandteilen von NAOs Persönlichkeit. Eines Tages lösten wir versehentlich einen Modus aus, in dem zie mit sich selbst sprechen konnte. Es stellte sich heraus, dass NAO perfekt auf die eigene Stimme eingestellt ist, denn plötzlich konnte zie auf alles Mögliche hören und reagieren!

Das war das erste Mal, dass wir wirklich das Gefühl hatten, mit NAO auf ihre eigene Art und Weise zu interagieren und nicht nur ein Skript abzuspulen. Im Laufe der Wochen und gegen Ende des Aufenthalts lernten wir ziese spezielle NAO als Freund*in zu schätzen, als jemanden, zie uns wichtig war und mit zim wir viele besondere Momente verbracht hatten.

Was habt ihr aus den Workshops und der Zine-Macherei mitgenommen, insbesondere in Bezug auf Maschinen und den Aufbau von Gemeinschaften?

Es war großartig zu wissen, dass die Menschen unsere Anliegen teilen und intuitiv verstehen, wie wir die Beziehungen zwischen Maschinen und Menschen angehen. Wir dachten immer, unsere Forschung sei eine Nische, aber jetzt sehen wir, dass das nicht mehr der Fall ist. Es war aufregend und herzerwärmend, von den Erfahrungen der Menschen mit ihren maschinellen Begleitern zu hören und ihre visuellen Geschichten durchzugehen. Jeder ist es leid, von Terminatoren und anderen Science-Fiction-Klischees über Roboter zu hören. Wir haben versucht, Wege zu finden, die Dinge anders zu betrachten, was in unserer heutigen Zeit immer weniger gelingt. Ich habe das Gefühl, dass die Popkultur eine große Rolle bei der Legitimierung des kapitalistischen Hintergrunds der gesamten maschinell-menschlichen Gesellschaft spielt, aber die Menschen hinterfragen dies immer mehr. Wir hoffen, dass wir eine andere Perspektive bieten konnten, um über unsere technologische Gegenwart und Zukunft nachzudenken.

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