Sex, Schwärmer und göttliche Botschaften

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„Dotkni se vesmíru a pokračuj“ („Drücke das Weltall und mach weiter“) - Národní divadlo

Press Space! René Levínskýs Drama „Dotkni se vesmíru a pokračuj“ („Drücke das Weltall und mach weiter“) ist zugleich Horror, Moral und beißender Humor – aus dem Leben von Naturwissenschaftlern.

Der Dramatiker, theoretische Physiker und experimentelle Ökonom René Levínský ist – kurzgesagt – eine unersetzbare Größe in der tschechischen Theaterszene, und zwar sowohl wegen seines Werks, als auch der Strategie, mit der er sein öffentliches Image aufbaut. Obwohl es sich um einen der einflussreichsten Dramatiker der tschechischen Szene handelt, stellt Levínský seine Position in Frage; und mit den Reaktionen auf sein Schaffen spielt er auf eine Art, die an Fernando Pessoas manische Heteronyme denken lässt: Die Einführung jedes seiner Stücke begleitet eine sorgfältig konstruierte Mystifizierung, die den echten Namen sowie die Biografie des Autors betrifft (Levínský zufolge sind seine Pseudonyme in Bezug auf die Besonderheiten des jeweiligen Werks gewählt). Dadurch entstehen mehrdeutige Situationen, und wenn wir uns mit der Werbung für einzelne Stücke oder ihrer allgemeineren Einbettung befassen, können wir nie vollkommen sicher sein, welche Absichten der Autor hat – was er ernst meint und womit er lediglich beim Publikum für Verwirrung sorgen möchte.

Das Drama Dotkni se vesmíru a pokračuj (Drücke das Weltall und mach weiter), das im November in der Nová scéna (Neue Bühne) des Prager Nationaltheaters Premiere hatte, ist Levínskýs erstes Stück, das er unter seinem bürgerlichen Namen verfasste. Trotzdem zeigt sich auch darin seine besondere Neigung, in die Irre zu führen und durch formelle sowie das Genre betreffende Unklarheiten zu provozieren. Durch die Aufnahme dieses Stücks wird die Nová scéna ihrem Namen gerecht:Drücke das Weltall ist nicht nur die historisch erste Aufführung eines Levínský-Textes im Nationaltheater, sondern auch das Regiedebut von Jan Frič im Ensemble des Nationaltheaters. Auch auf thematischer Ebene handelt es sich in vielerlei Hinsicht um einen einzigartigen Akt.


Mutanten-Seifenoper

Die Handlung des Stückes, dessen Titel auf eine fehlerhafte Übersetzung der Systemmeldung „Press SPACE To Continue“ zurückgeht, oszilliert zwischen einem banalen Plot der „dem Leben entnommen“ ist und einer Variation des Faust-Stoffes. Es ertönen darin auch Echos aus akademischen Stücken Tom Stoppards oder Hollywoodfilmen, in denen die Welt der Wissenschaft vorgestellt wird.

Wir befinden uns im Laboratorium des fiktiven Instituts für chemische Ökologie der tschechischen Akademie der Wissenschaften. Doktor Bohumil Plánovský, ein aufsteigender Star auf dem Gebiet der Molekularbiologie, macht eine Entdeckung, mit der sich die Entstehung einer neuen Lebensform, also das Prinzip der Evolution, erklären lässt. Diese sensationelle Feststellung steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit sowohl der Fachöffentlichkeit als auch der Medien, und wird später auf unerwartete Weise inspirierend.

Bohumil Plánovský trifft zufällig einen Freund aus seiner Kindheit, den mathematischen Linguisten Adam Šmíd. Dieser ist besessen von der Idee, auf der Grundlage von Plánovskýs Forschung das Genom in Hinblick auf eine möglicherweise darin enthaltene göttliche Weisung zu analysieren. Aber es kommt schlimmer: Ist er nicht gerade damit beschäftigt, die Frau des Biochemikers zu verführen, befasst er sich tatsächlich mit einer derartigen Analyse (und zwar mit überzeugenden Resultaten), womit er eine schlagartige Zunahme von Bohumils Ambitionen und Aspirationen bewirkt. Die darauffolgenden Momente bieten ein spektakuläres Bild vom Triumph und Fall des Wissenschaftlers, in dem Sex, Betrug, Horror und unerwartete Wendungen nicht fehlen.

Auf der ästhetischen Ebene ist Levínskýs Drama eklektisch und basiert auf dem postmodernen Spiel mit unterschiedlichen Genres, Motiven und narrativen Klischees. Im Rahmen einer scheinbar klassischen Struktur beginnt das Stück mit einer umfangreichen, realistischen Präsentation, die aus Gesprächen von Wissenschaftlern an ihrem Arbeitsplatz besteht (ihre Alltäglichkeit erzeugt stellenweise fast den Eindruck, als würden wir eine Art intellektuelle Arztserie verfolgen). Wer aber dann ein Beziehungsdrama erwartet, der wird bald eines Besseren belehrt. Das Milieu eines Forschungslabors, die realistisch anmutenden Biologen und ihre alltäglichen Gesprächsthemen erwecken den Anschein, man hätte es mit einer Kulisse zu tun – oder vielleicht eher mit einem geflügelten Tschechowschen Gewehr.

Hier beginnt der Spaß dann wirklich: die Munition, mit der Levínský mithilfe des Regisseurs Frič schießen lässt, ist derart abwechslungsreich, dass einem schnell schwindelig wird. Das Motiv der Erforschung einer göttlichen Botschaft in einem Genom des Totenkopfschwärmers lässt das Stück in die Ästhetik des Sci-Fi Horrors mit moralischem Einschlag abgleiten. Dieser Rahmen wird allerdings zerstört durch einen pompös-grotesken Moment der Krise, nach dem – vermutlich, damit wir uns nicht zu sehr daran gewöhnen – das Ganze ins Trivial-Romantische umkippt. Auch gut: die leicht befremdende Präsenz eines mutierten Embryos im Schoß von Plánovskýs Doktorandin Anděla.

Alle werden verspottet

Es überrascht nicht, dass Levínskýs Text trotz der ambitionierten Absicht dort am stärksten wirkt, wo er die Wirklichkeit spielerisch parodiert. Ironisch überzeichnete Figuren wie der Fachidiot und Termitologe Jonáš oder der bigotte Astrophysiker Jiří Řehoř amüsieren mit einer gelungenen Verbindung von Karikatur und Autenthizität. Auch die zentralen Figuren, der „Verführer“ Šmíd und der neuzeitliche Faust Plánovský beeindrucken dadurch, dass sie verschiedenen Persönlichkeitstypen, die man für gewöhnlich trifft, als Spiegel dienen. Levínský spart dabei an nichts und niemandem: nicht nur dogmatischer Rationalismus und Messiaskomplexe werden verspottet, sondern auch die nur mit sich selbst beschäftigte Welt der Wissenschaft oder Boulevard-Strategien zur Popularisierung selbiger. Darüber hinaus ist der Text stark in der Topografie Prags und aktuellen Tatsachen verankert, was den komischen Effekt noch einmal verstärkt.

Regisseur Jan Frič machte sich als nonkonformer Showman einen Namen, formale Experimente und pietätslose Annäherungen an ernsthafte Themen scheut er nicht. Er versteht sich gut mit Levínskýs beißendem Humor und schafft es bisweilen, die Vision des Autors durch eindrucksvolle Bühnenarrangements zu ergänzen – einmal raffiniert-verdreht (urbaner Alltag, parallel hinter der Glaswand des Labors abgebildet), dann wieder bewusst billig (die höchst peinliche Zeremonie bei der Verleihung des „erratischen Blocks“, ein vom Tschechischen Klub der Sisyphos-Skeptiker initiierter Preis). Ab und zu gelang es dem Regisseur nicht so recht, seine Ideen im Zaum zu halten, was zu einigen sehr überzogenen Augenblicken und Figuren führt, wie etwa überflüssige Vokalintermezzos und die flach-karikative Auffassung der Frauenfiguren.

Drücke das Weltall und mach weiter begeistert als Aufführung stellenweise – in den komisch aufgeladenen Momenten treibt es einem sogar beinahe vor Lachen die Tränen in die Augen. Nach dem zweiten Akt kommt man aber ins Seufzen: was wäre das für eine großartige Inszenierung, gäbe es da nicht dieses fade, öde Ende. Nun denn, der Text des Stücks endet mit einer Anmerkung, in der von einem zweiten Teil die Rede ist. Aber ist das vielleicht nicht nur eine weitere Mystifikation Levínskýs?

Marta Harasimowicz
Übersetzung: Julia Miesenböck

Copyright: jádu | Goethe-Institut Prag
März 2017
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