Kultur

„Ich mag das Ausgraben von Stücken“

Foto: © Arno Declair

Ein Interview mit dem Schauspieler Daniel Hoevels

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Das Deutsche Theater Berlin gilt als eines der progressivsten Theater der Gegenwart. Viele zum Teil auch relativ alte Stücke werden neu inszeniert und ihre Themen in die heutige Zeit übertragen. Aber ist das deutsche Theater damit politisch und multikulturell genug? Unter anderem darüber sprach Michaela Pňačeková mit dem Schauspieler Daniel Hoevels.

Daniel, die Rollen, die du spielst, sind sehr variabel. Welches Theater bevorzugst du: traditionelle Stücke etwa von Shakespeare und Schiller oder zeitgenössische Dramatik?

Im Grunde bevorzuge ich die zeitgenössische Dramatik. Ich habe keine große Lust Klassiker zu spielen, die schon eine lange Aufführungstradition haben. Der Regisseur und die Schauspieler brauchen meiner Meinung nach unglaublich viel Kraft sich über diese Aufführungstradition wegzusetzen. Das Problem hat man mit zeitgenössischen Dramen nicht. Ich mag auch das „Ausgraben“ von Stücken, wenn dieser oder jener Stoff aus irgendwelchen Gründen nicht stattgefunden, oder kaum stattgefunden hat. Wie bei Capitalista, Baby – das ist so eine ideologische Ausgrabungsarbeit. Das ist die Arbeit, die mir am meisten liegt.

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Daniel Hoevels (Mitte) in „Capitalista, Baby“, einer Theateradaption des Buches „The Fountainhead“ von Ayn Rand, Foto: © Arno Declair

„Capitalista, Baby“ ist eine Theateradaption des Buches „The Fountainhead“ von Ayn Rand, das eine liberale Ideologie propagiert. Kann man das als politisches Theater verstehen?

Ich würde sagen, dass es auf jedem Fall insofern politisches Theater über unser Verständnis von der Gesellschaft ist, und dass das Stück reflektiert, wie die Gesellschaft sein soll. Und das tut es über eine Ideologie, die uns scheinbar sehr fern, aber gleichzeitig in unserer westeuropäischen Gesellschaft heute ein großes Thema ist, vielleicht nur im Untergrund oder versteckt, aber es ist auf jeden Fall etwas, was diese Gesellschaft betrifft. Der Begriff politisches Theater ist aber kompliziert. Wir leben in einer sehr unpolitischen Zeit. Zum Beispiel hat das Theater in den siebziger Jahren in Ostdeutschland und wahrscheinlich auch in anderen osteuropäischen Gesellschaften im Widerstand zum Regime funktioniert, alles war immer politisch. Die Frage stellt sich auch erst seit 20 Jahren, weil sich diese Übereinkunft „Was ich jetzt tue?“ sofort als in eine oder andere Richtung wahrgenommen wird – „gegen das Regime oder dafür oder für den Westen oder für den Osten, für die Sowjetunion oder die USA…“ weil sich diese Konflikte in der klaren Form aufgelöst haben. Und wenn du dich zum Beispiel auf die Seite der Globalismuskritiker stellst, verlierst du immer sofort den Boden. Die Grundlage, auf der diskutiert wird, ist eine ganz andere, und so ist es auch mit den Motiven dieser Menschen.

„Capitalista, Baby“, eine Theateradaption des Buches „The Fountainhead“ von Ayn Rand am „Deutschen Theater Berlin“

Nach dem Theater von Peter Brook in den 1980ern hat sich die multikulturelle Situation der Theater nicht besonders verändert. Das Thema kam in den großen Szenen eigentlich nie an. Denkst du, die Situation kann sich ändern?

Das ist tatsächlich auch ein Thema in der Debatte über Theater und auch Theaterintern. Es gibt zaghafte Versuche, das zu verändern und es im Grunde mehr Raum zu geben, aber das deutsche Stadttheater ist eine unglaublich träge Institution, vor allem wenn es um Arbeitsweisen geht. Veränderungen, die in der Gesellschaft offensichtlich zu Tage getreten sind, kann es nicht in dieser Schnelligkeit berücksichtigen, ohne sich selber als Institution in Frage zu stellen. Es gibt Versuche - zum Beispiel im Schauspielhaus Köln oder bei den Münchner Kammerspielen, wo multikulturelle Ensembles gebildet wurden. Komischerweise wehrt sich die Institution Stadttheater dagegen. In den Großstädten gibt es Projekte mit den Schulen mit so genanntem postmigrantischem Theater. In Berlin ist der Regisseur Nurkan Erpulat dafür zuständig – er wurde hier auch ausgebildet. Es gibt also immer wieder Versuche, aber das leisten sich die Theater am Rande, so wie die Jugendarbeit. Im Zentrum steht im Grunde deutsche Theaterkunst, die auch von Deutschen ausgeübt wird, die keinerlei Bezug zum Ausland haben. Ich glaube, etwas wird sich ändern, aber nur langsam.

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Daniel Hoevels in „Capitalista, Baby“, einer Theateradaption des Buches „The Fountainhead“ von Ayn Rand, Foto: © Arno Declair

Du spielst in einer Bühnenadaption von Joseph Conrads Buch „Herz der Finsternis“ mit. Das Buch erzählt vom europäischen Kolonialismus in Afrika am Ende des 19. Jahrhunderts. Woher kam die Idee, „Herz der Finsternis“ auf die deutsche Bühne zu bringen?

Der Regisseur Andreas Kriegenburg wollte es als schwarzes Märchen erzählen, das sozusagen keine Zeitbezüge herstellt, etwa wirtschaftliche Interessen der EU im Kongo oder Einsätze der Bundeswehr im Ausland, sondern als eine zeitlose Fabel. Es ist eigentlich eine Reise in die eigene Seele, eine Erzählung von einem Menschen, der in die eigenen seelischen Abgründe schwimmt. Das steht im Vordergrund. Es ist keine Kritik vom deutschen oder europäischen Kolonialismus.

Wenn man auf deine Rollen blickt, spielst du in vielen deutsch- und englischsprachigen Stücken mit. Warum gibt es nicht so viele Inszenierungen von zeitgenössischen osteuropäischen Stücken? Sind die so anders?

Ich habe nur in einem zeitgenössischen russischen Stück gespielt: Sauerstoff von Iwan Wyrypajew. Es ist ein großartiges Stück, bei dem ich aber eigentlich nur fünfmal eingesprungen bin. Warum es nur eins von so wenigen ist, das kann ich nicht erklären. Ich finde britische zeitgenössische Dramatik auch ein bisschen überschätzt. Ich glaube, Westeuropa hat noch Angst von Osteuropa. Und das ist wirklich ein kulturelles Phänomen. Es ist Angst, aber auch zugleich eine große Faszination. Der osteuropäische Raum wird noch als Hexenkessel wahrgenommen. Allerdings spielt auch spanische oder italienische Literatur nicht so eine große Rolle, selbst französisches Theater nicht, wenn man von Yasmina Reza absieht. Ich glaube nicht, dass das ein angelsächsischer Kulturimperialismus ist, aber ich könnte mir schon vorstellen, dass Deutsche das angelsächsische Kunst- oder Kulturverständnis besser verstehen.

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Daniel Hoevels mit Susanne Wolff in „Diebe“ von Dea Loher, Regie: Andreas Kriegenburg, Foto: © Arno Declair

Du bist auch in Tschechien aufgetreten. Gibt es Unterschiede zwischen dem Publikum in Deutschland und im Ausland?

In Prag hatte ich den Eindruck, dass sich das Publikum eher nach den Klassikern sehnt und dass die zeitgenössische Komödie dort nicht so geschätzt wird. Aber das Stück Diebe, in dem ich in Prag gespielt habe, hat sehr gut in Mexiko funktioniert, das kulturell noch viel weiter entfernt liegt. Ich glaube, dass die Entfernung fast eine Hilfe ist. Je größer sie ist, desto mehr nimmt man den Theaterabend als merkwürdige Farbe von einem anderen Kontinent wahr.

Das Interview führte Michaela Pňačeková

Copyright: Goethe-Institut Prag
July 2012

    Daniel Hoevels

    Geboren 1978 in Schweden. Von 2004–2009 war er Ensemblemitglied am Thalia Theater Hamburg. Dort arbeitete er in zahlreichen Inszenierungen mit den Regisseuren David Bösch, Jorinde Dröse, Andreas Kriegenburg, Stephan Kimmig und Nicolas Stemann. Seit der Spielzeit 2009/10 ist er Ensemblemitglied am Deutschen Theater Berlin und hier u.a. in den Inszenierungen Diebe und Herz der Finsternis von Andreas Kriegenburg sowie in Maria Stuart in der Regie von Stephan Kimmig zu sehen.

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