Fabelhaftes Physiktheater
Sie erforschen, welche Töne Lampen erzeugen, bringen mit Hilfe von menschlicher Energie Weihnachtskarten zum Klingen und legen sich ohne Angst und Meditations-Schnickschnack auf ein Nagelbett. Damit versetzen sie bereits seit fünf Jahren ein begeistertes Publikum aus Jung und Alt ins Staunen. Die Mitglieder des ÚDiF („Úžasné divadlo fyziky“ – „Das fabelhafte Physiktheater“) sind wie Kinder, die mit ihrer Neugier die Umwelt auseinandernehmen und keine Frage unbeantwortet lassen.
„Prinzipal und Visionär des Physiktheaters ist Ondráš Přibyla. Als Student der theoretischen Physik hatte er im Jahre 2003 an einem Festival der Straßenkünstler teilgenommen, wo er die Auftritte der Clowns und Musiker beobachtete. „Und dann dachte ich, dass das, was die machen, auch mit Physik funktionieren müsste. Dass es also möglich sein müsste, sich auf die Straße zu stellen und den Leuten Experimente zu zeigen, sie zu erklären, und dass so gut zu machen, dass die Menschen stehenbleiben und uns Münzen in den Hut werfen“, erinnert sich der Theatergründer. Einen Beleg dafür sowie Unterstützung für die weiteren Aktivitäten lieferte das erste öffentliche Experimentieren im September 2007 auf dem Platz Náměstí Svobody in Brno (Brünn), das von der städtischen Polizei als angebliche „Demonstration“ auseinander getrieben wurde. Um die Physiker rottete sich nämlich eine Menschenmenge von über 50 Personen zusammen. Und so entstand das fabelhafte Physiktheater.
Vollzeit-Profis
In Tschechien gibt es eine Menge Theater, experimentelle und alternative, Autorentheater, Stadttheater usw., physikalische Theater haben hier aber keine Tradition. Es gibt zwar einige kleinere Gruppen, aber das ÚDiF ist das einzige professionelle Theater dieser Art – das bedeutet, dass es für seine Mitglieder den Lebensunterhalt erwirtschaftet und das Repertoire stets um neue Nummern und Experimente erweitert wird, man sich also nicht mit dem Abspulen von ein paar Erfolgsnummern begnügt. In den fünf Jahren seiner Existenz hat es das Ensemble schon auf ein Repertoire von 24 Stunden reine Experimentzeit gebracht. Vergleichen kann man die Gruppe vielleicht mit den deutschen Physikanten, die allerdings hauptsächlich auf Effekte setzen und nicht so sehr das Verständnis für das Experiment und die Nachvollziehbarkeit des Versuchs in den Vordergrund stellen.
Kann man aber wirklich von einem Theater sprechen? „Wir haben das Wort Theater im Namen um zu zeigen, dass wir etwas anderes als die anderen machen“, erklärt Barbora Mikulecká, die organisatorische Seele und inoffizielle Produktionsleiterin des ÚDiF, wie man auf den Internetseiten über sie lesen kann. „Es ist vor allem die technischen Elemente, die wir vom Theater übernehme, Licht, Ton usw.“, ergänzt ihr Kollege Vojtěch Hanák, der „Chefentertainer“. „Wir haben im Grunde genommen noch nicht mal ein Drehbuch. Wir improvisieren, wobei einige Elemente ihren festen Platz haben. Wenn wir feststellen, dass sie funktionieren, dann wiederholen wir sie. Wir haben uns die Konkurrenz im Ausland angeschaut, und abgesehen davon, dass das in Tschechien kaum jemand macht, haben wir festgestellt, dass alle einfach nur Experimente aneinanderreihen und fertig. Wir bemühen uns, das Ganze zu verknüpfen, eine Geschichte mit Anfang, Ende, Höhepunkt zu erzählen“, erläutert Bára.
Theatercharakter hat auch eine ganzheitliche Vorstellung des ÚDiF, Die Geschichte der Glühbirne, die von zwanzig Minuten bis anderthalb Stunden dauert. „Die Geschichte der Glühbirne ist im Grunde die Geschichte von ihrer Erfindung bis zu ihrem angeordneten Ende durch die Europäische Union. Die Glühbirne ist auch das letzte Leuchtmittel, das man einem Laien verständlich erklären kann“, konstatiert Vojta mit Melancholie in der Stimme. „Physik ist nicht schwer“, so Bára, „das ist es, was wir den Leuten klar machen wollen, dass Physik nicht nur irgendwelche Zahlen, Buchstaben und Formeln sind, die man auswendig lernt, sondern das Physik zum Nachdenken und Forschen anregt“.
Das ÚDiF tritt selten auf einer Bühne auf, es verfügt auch über keine festen Stammsitz oder ein regelmäßiges Programm. Meistens tritt die Truppe in Schulen, bei Firmenfeiern, in Museen oder Sternwarten, auf Festivals, Konferenzen oder auch Wettbewerben auf. Man ist also eher so eine Art Wanderbühne.
Verständliche Physik für alle
Geheimnisvollen Zauberern, magischen Tricks und Illusionen begegnet man schon von klein auf. Die ÚDiF-Crew gehört zu diesen Zauberern, allerdings mit dem Unterschied, dass sie ihre Tricks gerne verraten. Und das ist auch eines der Hauptziele ihrer Tätigkeit, wie Vojta erklärt: „Die Welt ist schöner, wenn man weiß, wie sie funktioniert. Und wir haben uns entschieden, dass wir den Leuten dabei helfen, die Welt, die sie umgibt, zu verstehen. Das machen wir eben mit Physik, die wir den Menschen näher bringen.“ Und die Menschen nehmen dieses Angebot mit erstaunten Augen an, wodurch auch die Hemmschwelle abgebaut wird, die viele seit den Schulzeiten gegenüber diesem Fach haben. Dazu trägt auch ein weiteres wichtiges Element des ÚDiF bei – Humor. „Wenn man so einen Plastik-Kabelschutzschlauch aus dem Baumarkt über dem Kopf zum Rotieren bringt, entdeckt man ein neues Musikinstrument, und wenn man dann vom Sicherheitsdienst des Hauses verwiesen wird, fällt einem ein, dass die Trinkhalme im KFC genauso aussehen. Und dann hat man auch da Hausverbot“, so Vojta.
Das ÚDiF hat sich auf dem „Markt“ Schritt für Schritt durchgesetzt. „Es ist irgendwie immer mehr geworden. Wir haben nie Werbung gemacht, aber es kamen immer mehr Anfragen, sodass wir seit einem Jahr von dieser Tätigkeit leben können. Am meisten Freude haben wir, wenn es uns mit unseren kleinen ,Spielzeugen‘ gelingt, jemanden von seinen Arbeitspflichten abzuhalten“, erinnert Vojta an die Geschichte mit dem Kontrabassisten der bekannten Band Čechomor, der zum Soundcheck zu spät kam, weil er sich am ÚDiF-Festivalstand nicht von deren Wasserwirbeln losreißen konnte.
Den größten Erfolg konnte die Gruppe 2011 verbuchen, als sie in Dänemark mit ihrem Programm Töne sehen, Licht hören den internationalen Wettbewerb Science on Stage gewinnen konnte. Bei diesem Auftritt haben sie beispielsweise mit Hilfe einer Fotozelle eine optische Gitarre kreiert, die von der bereits erwähnten deutschen Gruppe Physikanten inspiriert wurde. Und weil sie gehört haben, dass IKEA am bekanntesten ist, besorgten sie sich dort eine kleine Lampe, um mit Hilfe von Photovoltaikzellen deren Sound zu prüfen – und tatsächlich, die Lampe klang ganz anders als ähnliche Lampen aus der Markthalle.
Gute Aussichten für Wissenschaftler
Von der Wissenschaftsgemeinde bekommt das ÚDiF durchweg positive Resonanz. „Es kommt darauf an. Einige betrachten uns sehr amüsiert, denen gefällt es, dass es so etwas gibt, dass es jemanden gibt, der mit Dingen unterhalten kann, die auf ihrem Niveau sind. Nur selten gelingt es irgendwelchen Fachleuten, die sich beispielsweise mit speziellen Messprozessen befassen, der Öffentlichkeit ihre Arbeit so zu zeigen, dass sie verstanden wird. Wir vermitteln diese Erfahrung“, sagt Vojta und erläutert zugleich die Zukunftspläne der Gruppe. Weil sie die witzige und spielerische Vermittlung von Physik so gut beherrschen, wurden sie vom Institut für Maschinentechnik der Tschechischen Akademie der Wissenschaften kontaktiert (Nur wenige wissen im Übrigen, dass dieses Institut das Elektronenmikroskop erfunden hat). Die Zusammenarbeit funktioniert schon seit drei Jahren. Gemeinsam bemühen sie sich um Fördermittel, damit die Zusammenarbeit noch intensiviert werden kann. Dann könnte das ÚDiF für das Institut maßgeschneiderte Auftritte konzipieren, in denen die Arbeit der Wissenschaftler einer breiten Öffentlichkeit vermittelt wird – und die dadurch erfährt, dass in ihrem Land und in ihrer Stadt Wissenschaft auf Weltniveau betrieben wird. Ein ideelles Ziel des Fabelhaften Physiktheaters ist es nämlich zu erreichen, dass die Menschen aufhören, mit ihrem physikalischen Unverständnis zu kokettieren.