Alptraum im Friedenslager
Das Theaterstück „Das Schweigen der Biber“ (tsch. Mlčení bobříků) befasst sich mit der Geschichte der Pfadfinderin Bedřiška Synková und der Bildhauerin Marie Uchytilová vor dem Hintergrund der strengen fünfziger Jahre, in der Form eines zweitklassigen Horrorfilms mit Galgenhumor, der einen frösteln lässt.
Terror des Totalitarismus, absurde Beschuldigungen und die Hinrichtung Unschuldiger prägten die kommunistische Tschechoslowakei der fünfziger Jahre. Umso kurioser ist die Geschichte von Bedřiška Synková, die nach dem Verbot der Pfadfinderbewegung eine Pfadfindergruppe leitete und dafür zu zehn Jahren Gefängnis wegen Landesverrats verurteilt wurde. Das unsinnige Urteil erzürnte die Bildhauerin Marie Uchytilová derart, dass sie das beschuldigte Mädchen im Zuge der tschechoslowakischen Währungsreform heimlich auf ihrem Entwurf für das erste 1-Kronen-Stück abbildete. Uchytilovás Entwurf gewann den Wettbewerb und nachdem die Münze von ahnungslosen Genossen dem Volk feierlich präsentiert worden war, galt sie bis ins Jahr 1993.
Das Husarenstück, für das beiden Frauen die Hinrichtung hätte drohen können, inspirierte Tomáš Dianiška für sein Stück Das Schweigen der Biber (Mlčení bobříků), das im Studio Palmoffka (Divadlo pod Palmovkou) gespielt wird. Regie führte Jan Frič, der dabei mit provokativer Übertreibung und zynischem Humor punktet. Um die Ungeheuerlichkeit des totalitären Regimes zu unterstreichen, bediente er sich der Parallelen von Pfadfinderlagern mit Horrorfilmen, in denen eine Gruppe Pfadfinder durch unbezwingbare Kreaturen vernichtet wird.
Die Bühne wird von einem Zelt mit Unterbau dominiert; nicht zu übersehen sind das Rednerpult und die mobile Dusche mit Vorhang, die an den Film Psycho erinnert. Die Wand im Hintergrund lässt an den „Eisernen Vorhang“ denken. Aus dem sozialistischen Lager gibt es kein Entkommen. Auf dem Fernseher oben auf dem Scheiterhaufen laufen Aufnahmen von Feuer. Das Gefühl, vor dem Bildschirm eingeschlafen zu sein, kommt nicht von ungefähr. Man wird Zeuge von Bedřiškas Alptraum von einer Mutprobe. Ihre Aufgabe ist es, mit psychischem Druck, physischer Tyrannei und der Paranoia vor Genossen zurechtzukommen, welche verschiedene Gestalten annehmen: Freddy Krueger aus der Elm Street, der verrückte Modedesigners aus Das Schweigen der Lämmer, ein Exorzist oder der Massenmörder aus Halloween.
Roter Terror auf einem absurden Karussell
Die durch das Pfadfinderduo beschworenen Geister rufen einen Agenten der Staatssicherheit herbei, dessen Gesicht auf eine vertraute Weise verbrannt ist. Unter musikalischer Begleitung – ein Lied der Band Mortal Cabinet über einen Zirkus von Toten – setzt sich das absurde Karussell des roten Terrors in Bewegung. Überreste des Glaubens an die Vernunft des damaligen Präsidenten Klement Gottwald gleichen der Besessenheit durch den Teufel, den ein Gefängnisaufseher der Pfadfinderin Bedřiška während ihres leidenschaftlichen Auftritts mit einer Büste von Gottwald mit bewährten Methoden auszutreiben versucht.
Anzeichen von sexueller Begierde und Gewalt simulieren die Befriedigung der autoritären Libido auch in weiteren Szenen. Beispielsweise während des Gerichtsprozesses, bei dem ein Weihnachtslied andeutet, dass Hinrichtungen für sattelfeste Kommunisten fast wie Weihnachten sind. Der unsterbliche Anführer in Gestalt eines Zombies mit Sauerstoffmaske holt sich seine Ration an Lust bei der Bildhauerin Marie. Diese erscheint uns durch ein Prisma von Vorstellungen über Künstler als destruktive Elemente und zugekiffte Bohemiens. Wenn Marie in Wut gerät, ist es egal, ob sie eine Motorsäge oder Hammer und Sichel in den Händen hält. Sie hat auf jeden Fall Sinn für Gerechtigkeit und so erschafft sie nach einem Foto von Bedřiška, wie diese beim Lagerfeuer Würste grillt, eine Münze mit einem Mädchen, das einen Lindenbaum pflanzt. Die tschechoslowakische Krone wird in diesem Horror zu so etwas wie einem beschützenden Amulett, vor dem die in Angst und Schrecken versetzten Genossen zurückweichen.
Das Hauptaugenmerk der Inszenierung ist zweifellos die Gegenüberstellung gnadenloser Übertreibung mit Situationen, die der historischen Realität näher sind. Ein freundlicher Gefängniswärter bringt Bedřiška den Text für ein ausgeklügeltes Geständnis bei, weil seine Karriere davon abhängt, ob ihn die Angeklagte vor Gericht verleugnet. Das Werbeprospekt der U. S. Army im Pfadfinderzelt und das kaputte Funkgerät verweisen auf das Unterschummeln von Beweisen über eine angebliche Zusammenarbeit mit Imperialisten. Der mit Minderwertigkeitskomplexen beladene Pfadfinder tauscht sein braunes Tuch gegen ein rotes und wird Anführer der Pioniere, um dadurch ehemalige Pfadfinder schikanieren zu können. Es ist ein Präzedenzfall – die Anhänger der Kommunistischen Partei hatten die Macht über das Leben anderer Staatsbürger. Diese treten im Stück in der Gestalt des von Bedřiškas Vater auf, ein ängstlicher Beamter mit Brille.
Wo leben wir eigentlich?
Das körperlich anstrengende Theater, bei dem Blut und Schaum aus dem Mund fließen, und bei dem sich die Figuren direkt auf der Bühne verwandeln, krönen die Leistungen der Schauspieler. Mit präziser Mimik und körperlichem Einsatz treffen sie den richtigen Ton des Stücks, das sich ansonsten leicht als kontroverse Provokation abtun ließe. Bis auf Barbora Kubátová (Bedřiška), die sich von der verantwortungsvollen Führerin über einen vom Teufel besessenen Wildfang bis zu Lara Croft wandelt, ist jeder Schauspieler in mehreren Rollen zu sehen. Tereza Dočkalová als Pfadfinderin mit rollenden Augen erinnert an ein neugieriges Schulmädchen im finsteren Wald, welches keine Zweifel an der Existenz von Geistern hat, und das Bloody Mary ruft, damit diese sie den Anführer der Pioniere hinter die Wand zieht und ihn in die imperialistische Hölle schickt. In der Rolle der Bildhauerin Martina gibt sich Dočekalová hingegen gebührend frei.
Der große, schlanke Tomáš Dianiška (der Autor des Stücks) spielt im Grunde genommen alle Vertreter der Macht, jeden davon als andere Art böser Geist. Er schafft es grausam, berechnend oder scheinbar nachsichtig zu sein, während er seine Interessen verfolgt. Jan Hušek stellt als Bedřiškas Vater einen ängstlichen Bürger dar, welcher erst allmählich begreift, in was für einem Staat er lebt.
Dianiška und Frič nutzen die Stilmittel eines anrüchigen Filmgenres, das uns im Theater im bequemen Plüschsessel Momente unbegründeter Angst erleben lässt. Damit verweisen die beiden auf die Brutalität des totalitären Regimes. Ihr Humor „zweiter Klasse“ ist zwar grausam und stellenweise geschmacklos lustig, aber die Atmosphäre der Zeit, auf die er sich bezieht, trifft er auf jeden Fall.
Übersetzung: Julia Miesenböck