Artur Brauner
Filme gegen das Vergessen

Filmproduzent Artur Brauner
Filmproduzent Artur Brauner | Foto (Ausschnitt): © Ula Brunner

Artur Brauner war eine Produzentenlegende. Wie kein anderer hat er das deutsche Nachkriegskino geprägt, vor allem mit leichter Unterhaltung. Doch schon seit 1947 erinnerte Brauner in seinen Filmen auch an die NS-Zeit. 

Als im September 2016 die CCC-Filmstudios in Berlin-Spandau ihr 70. Jubiläum feierten, hatte ihr damals 98-jähriger Gründer Artur „Atze“ Brauner allen Grund, stolz zurückzublicken. Nicht nur, weil keine andere aktive Filmproduktion in Deutschland solch eine lange Geschichte vorweisen kann. Sondern es ist auch das Verdienst des unermüdlichen Kinomachers, dass die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Diktatur zu einem zentralen Anliegen des deutschen Films werden konnte. Fast jede zehnte der rund 260 CCC-Produktionen widmet sich diesem Thema – das für Brauner ein sehr persönliches ist: 1918 im polnischen Lodz geboren, war der Sohn aus bürgerlich-jüdischem Hause selbst während des Zweiten Weltkriegs der Verfolgung durch die Nationalsozialisten ausgesetzt. Viele seiner Angehörigen fielen dem Massenmord zum Opfer.

„Morituri“ – ein filmisches Denkmal für die Toten

Dennoch sieht Brauner nach dem Krieg seine Zukunft in Deutschland. Als er am 19. September 1946 nach zähem Ringen um die erforderlichen Lizenzen der alliierten Militärbehörden die Central-Cinema-Compagnie, kurz CCC, im US-amerikanischen Sektor Berlins gründet, liegt vor ihm Aufbauarbeit. Denn das deutsche Kino, von den Nazis als Propaganda-Waffe missbraucht, liegt ebenso moralisch wie im Wortsinne in Trümmern – die meisten Studios sind zerstört. Doch Brauner beweist Geschäftssinn und Mut. Nachdem er mit der ersten CCC-Produktion, Herzkönig (Helmut Weiss, 1947), einer seichten Komödie, gutes Geld verdient, wagt der 29-Jährige ein Herzensprojekt: Er beginnt noch im selben Jahr mit den Dreharbeiten zu Morituri (Eugen York), einem semi-autobiografischen Drama über eine Gruppe von Häftlingen, die nach der Flucht aus einem Konzentrationslager ums Überleben kämpft.

In einem Land aber, das das Kriegsende gerade erst zur Stunde Null, dem Neuanfang, erklärt hat, will sich auch im Kino kaum jemand der jüngsten Vergangenheit stellen. Morituri stößt beim Publikum auf Ablehnung. Es kommt sogar zu Krawallen. „Da stand ich da mit einem Film, vielen Schulden und ohne Geld“, erinnert sich Brauner später. „Wir haben dann vor allem Komödien gedreht, die Leute wollten lachen. Mit den Überschüssen aus diesen Filmen habe ich die Schulden von Morituri bezahlt. Und da habe ich mir gesagt: Jetzt kenne ich den Plan, so mache ich das später auch.“

 

  • Morituri (Eugen York, 1947/1948) mit Lotte Koch (li) und Winnie Markus Foto (Ausschnitt): © Deutsches Filminstitut, Frankfurt
    „Morituri“ (Eugen York, 1947/1948) mit Lotte Koch (li) und Winnie Markus
  • Der 20. Juli (Falk Harnack, 1955) Foto (Ausschnitt): © Deutsches Filminstitut, Frankfurt / Artur Brauner Archiv
    „Der 20. Juli“ (Falk Harnack, 1955)
  • Artur Brauner am Set von Der 20. Juli Foto (Ausschnitt): © Deutsches Filminstitut, Frankfurt / Artur Brauner Archiv
    Artur Brauner am Set von „Der 20. Juli“
  • Zeugin aus der Hölle (Zika Motrovic, 1965-1967) Foto (Ausschnitt): © Deutsches Filminstitut, Frankfurt / Artur Brauner Archiv
    „Zeugin aus der Hölle“ (Zika Motrovic, 1965-1967)
  • Charlotte (Franz Weisz, 1980) Foto (Ausschnitt): © Deutsches Filminstitut, Frankfurt
    „Charlotte“ (Franz Weisz, 1980) mit Birgit Doll
  • Die Spaziergängerin von Sans-Souci (1982, Jacques Rouffio) mit Romy Schneider Foto (Ausschnitt): © Deutsches Filminstitut, Frankfurt
    „Die Spaziergängerin von Sans-Souci“ (Jacques Rouffio, 1982) mit Romy Schneider
  • Eine Liebe in Deutschland (Andrzej Wajda, 1983) mit Piotr Lysak, Hanna Schygulla Foto (Ausschnitt): © Deutsches Filminstitut, Frankfurt
    „Eine Liebe in Deutschland“ (Andrzej Wajda, 1983) mit Piotr Lysak, Hanna Schygulla
  • Blutiger Schnee (Jerzy Hoffmann, 1983/84) mit Sharon Brauner Foto (Ausschnitt): © Deutsches Filminstitut, Frankfurt / Artur Brauner Archiv
    „Blutiger Schnee“ (Jerzy Hoffmann, 1983/84) mit Sharon Brauner
  • Hanussen (Istvan Szabó, 1987/88) mit Klaus Maria Brandauer Foto (Ausschnitt): © Deutsches Filminstitut, Frankfurt
    „Hanussen“ (Istvan Szabó, 1987/88) mit Klaus Maria Brandauer
  • Der Rosengarten (Fons Rademakers, 1989) mit Liv Ullmann, Maximilian Schell Foto (Ausschnitt): © Deutsches Filminstitut, Frankfurt
    „Der Rosengarten“ (Fons Rademakers, 1989) mit Liv Ullmann, Maximilian Schell
  • Hitlerjunge Salomon (Agnieszka Holland, 1989/90) Foto (Ausschnitt): © Deutsches Filminstitut, Frankfurt
    „Hitlerjunge Salomon“ (Agnieszka Holland, 1989/90)
  • Artur Brauner am Set von Hitlerjunge Salomon (Agnieszka Holland, 1989/90) Foto (Ausschnitt): © Deutsches Filminstitut, Frankfurt
    Artur Brauner am Set von „Hitlerjunge Salomon“ (Agnieszka Holland, 1989/90)
  • Babij Jar (Jeff Kanew, 2001-2003) mit Michael Degen Foto (Ausschnitt): © Deutsches Filminstitut, Frankfurt
    „Babij Jar“ (Jeff Kanew, 2001- 2003) mit Michael Degen
  • Wunderkinder (Markus Rosenmüller, 2010/11) mit Mathilda Adamik (li), Elin Kolev, Imogen Burrell Foto (Ausschnitt): © CCC-Film/Deutsches Filminstitut, Frankfurt
    „Wunderkinder“ (Markus Rosenmüller, 2010/11) mit Mathilda Adamik (li), Elin Kolev, Imogen Burrell
  • Auf das Leben! (2013/14, Uwe Janson) mit Hannelore Elsner, Max Riemelt Foto (Ausschnitt): © Deutsches Filminstitut, Frankfurt, Camino Filmverleih, Julia Terjung
    „Auf das Leben!“ (2013/14, Uwe Janson) mit Hannelore Elsner, Max Riemelt

Starverträge auf der Serviette

Als in den Fünfzigerjahren das Kino in Deutschland boomt, erlebt die CCC mit Melodramen und Komödien, Abenteuer- und Musikfilmen ihre Hochzeit. Atze Brauner avanciert zum Wirtschaftswundermann des deutschen Films. Um expandieren zu können, hatte er 1949 das Gelände einer ehemaligen Giftgasfabrik in Berlin-Spandau zu modernen Filmstudios umbauen lassen. Nun geben sich dort deutsche Stars wie Romy Schneider, Heinz Rühmann, Sonja Ziemann oder O.W. Fischer die Ehre. Im Rekordjahr 1958 produziert CCC 19 Filme, Brauner steigt zu Europas erfolgreichstem unabhängigen Produzenten auf. Das Magazin Der Spiegel widmet ihm gar eine Titelstory. Die Journalisten zeigen sich fasziniert vom umtriebigen, stets im eleganten Dreiteiler gekleideten Kinomogul: „Bei Brauner ist es durchaus nicht ungewöhnlich, dass er nach zweiminütiger Denkpause über einen 1,2-Millionen-Mark-Film entscheidet und seine Projekte, Star-Verträge und Kalkulationen in irgendeinem Hotelspeisesaal zwischen Entrecôte und Birne Helene auf einer Papierserviette entwirft.“

Kommerz finanziert Kunst

Der Erfolg ermöglicht es Brauner, nun auch wiederholt „unpopuläre“ Stoffe umzusetzen. So kann er etwa für die Gerhart-Hauptmann-Verfilmung Die Ratten (1955) den jüdischen Remigranten Robert Siodmak als Regisseur gewinnen. Das Drama über eine schwangere junge Polin im Nachkriegs-Berlin, mit Maria Schell in der Hauptrolle, wird auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin mit einem Goldenen Bären ausgezeichnet. Trotzdem steht Brauner vor allem für leichtverdauliche Massenware.

Als in den Sechzigerjahren das Kinosterben einsetzt und Rufe nach einer Erneuerung des deutschen Films laut werden, polemisiert der Filmkritiker Joe Hembus, Brauner gehöre zu den Produzenten, denen es nicht aufs Überleben des Films ankomme, sondern allein auf ihren Profit. Tatsächlich steht Brauner in den Folgejahren abseits des sich formierenden Neuen Deutschen Films. Statt mit innovativem Kino begegnet er der Krise mit antiquierten Monumentalfilmen, Karl-May-Western und Edgar-Wallace-Krimis und springt vorübergehend auf die Sexfilmwelle auf. Auch mit TV-Produktionen versucht er, den Betrieb des Studios zu erhalten. Dennoch muss Brauner 1965 den Großteil seiner Mitarbeiter entlassen. Von 1972 bis 1980 produziert die CCC nur etwa zehn Filme.

Der jüdische Zyklus

Ab den Achtziger- und Neunzigerjahren konzentriert sich Brauner ganz auf seinen „jüdischen Zyklus“. Die Spaziergängerin von Sans-Souci (Jacques Rouffio, 1982), Romy Schneiders letzter Film, gehört dazu oder Eine Liebe in Deutschland (Andrzej Wajda, 1983). In Blutiger Schnee (Jerzy Hoffman, 1984) spielt Brauners Tochter Sharon das jüdische Mädchen Ruth, das mit knapper Not einem NS-Tötungskommando entkommt. Auch diese ambitionierten Filme sind keine Kassenschlager, doch verschaffen sie Brauner die Anerkennung, die ihm die Kritik lange versagte: Seine wohl bekannteste Produktion Hitlerjunge Salomon (Agnieszka Holland, 1990) wird mit einem Golden Globe ausgezeichnet, das Drehbuch zu Hanussen (István Szabó, 1988) für einen Oscar nominiert. Nach der Jahrtausendwende setzt Brauner den Zyklus mit Filmen wie Babij Jar (Jeff Kanew, 2003) fort.

Allen Kommerzproduktionen zum Trotz – die filmische Erinnerung an den Holocaust bleibt seine eigentliche Lebensaufgabe. Natürlich, so Brauner rückblickend, habe er angesichts der finanziellen Verluste oft gedacht, ob er nicht besser die Finger von solchen Stoffen lasse. „Aber ich weiß, wenn ich nicht mehr lebe, dann gibt es keinen mehr, der solche Filme macht.“ So pessimistisch brauchte Artur Brauner freilich nicht zu sein: Seit 2006 führt seine Tochter Alice die Geschäfte der CCC. Und mit Filmen wie Wunderkinder (Markus Rosenmüller, 2011) und Auf das Leben! (Uwe Jansen, 2014) knüpft sie an das Lebenswerk ihres Vaters an. 

Am 7. Juli 2019 ist Arthur Brauner im Alter von 100 Jahren gestorben.

Artur Brauner hat seine Filme über den Holocaust dem Goethe-Institut für die Kulturarbeit im Ausland zur Verfügung gestellt. Die Filme sind außerdem im Jüdischen Museum Berlin sowie im Visual Center der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem verfügbar.