Interview mit Bernhard Purin, Jüdisches Museum München
Das Ringen um die Erinnerung: 50 Jahre Olympia in München
Während der Olympischen Spiele in München wurden am 5. September 1972 elf israelische Sportler und ein Polizist von palästinensischen Terroristen ermordet. Anlässlich des 50. Jahrestages baten wir Bernhard Purin, Direktor des Jüdischen Museums München, um ein Interview über das Erinnerungsprojekt „Zwölf Monate – Zwölf Namen“.
Von Felix Tamsut
Erzählen Sie uns von den Aktivitäten in München in den Monaten vor dem Jahrestag. Wie erinnert sich München an das Attentat?
München hat seit fast 50 Jahren verweigert, sich an das Attentat zu erinnern. Als die Spiele weitergingen, haben viele den Israelis vorgeworfen, dass sie den Konflikt nach München hereingebracht und so die Spiele beschädigt haben. Die Gedenktafel im Haus, wo die Geiselnahme stattgefunden hat, ist nicht von öffentlichen Stellen initiiert worden, sondern von der jüdischen Gemeinde in München. Dann gibt es das Denkmal des Bildhauers Fritz König, das 1995 auf Initiative von Willi Daume, der 1972 Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) war, eingeweiht wurde. Er hat das damals gegen größte Widerstände der Stadt durchgesetzt.
Erst vor 12 bis 15 Jahren hat sich das geändert, als der Freistaat Bayern die Beziehungen mit Israel durch ein Bildungsabkommen für Austausch-Programme zwischen Bayern und Israel enger geknüpft hat. 2012 war Horst Seehofer als bayerischer Ministerpräsident in Tel Aviv bei der Gedenkfeier als erster hochrangiger deutscher Politiker. Seehofer neigt bekanntlich zu spontanen Dingen: Er hat eine Rede gehalten und gesagt, dass der Freistaat Bayern zusammen mit der Stadt München einen Erinnerungsort planen wird. Die erste Reaktion des damaligen Bürgermeisters darauf war, das brauchen wir nicht. Letztlich wurde das Projekt an mich und das Jüdische Museum München delegiert und die Gedenkstätte konnte 2017 eröffnet werden.
Für das Projekt dieses Jahr war ausschlaggebend, dass mit den European Championships in München das größte Sportereignis seit 1972 stattfand. In einer Pressekonferenz Ende Mai letzten Jahres, an der der Oberbürgermeister, die Geschäftsführerin der Olympiapark GmbH und die Initiatoren der Europameisterschaft teilnahmen, wurde das Attentat weder in der Pressemitteilung noch in den Statements erwähnt. Die damalige israelische Generalkonsulin in München reagierte mit einem offenen Brief an den Oberbürgermeister, was den Denkanstoß gab, dass wir ein Format finden müssen, das das Thema das ganze Jahr über wach hält. Es gab zwölf Opfer des Attentats, elf israelische Sportler und einen Münchner Polizisten, daraus entstand die Idee zu unserem Projekt „Zwölf Monate - Zwölf Namen“. Jeden Monat wird an ein Opfer gedacht, in alphabetischer Reihenfolge.
An David Berger, der aus Cleveland nach Israel kam, wurde beispielsweise mit einer Fassadeninstallation am Amerikahaus in München erinnert. Dem Polizisten Anton Fliegerbauer wurde im Polizeipräsidium und an der Polizeihochschule gedacht. Es ist mir ein wichtiges Anliegen, an die Opfer zu erinnern. Früher wussten wir nichts über sie. Wir kannten lediglich die Namen, ihr Alter und die Sportart. Am Erinnerungsort zeigen wir die Biografien der Opfer, und wir haben auch mit den Familien Kontakt aufgenommen.
Was ich da ganz spannend fand, ist, dass die elf Opfer ein ganz typisches Spiegelbild der damaligen israelischen Gesellschaft waren. Es gab Schoahüberlebende, einen, der erst drei Monate zuvor aus der Sowjetunion nach Israel gekommen war, ein anderer aus Libyen, der 1946 geflüchtet war; also die ganze Bandbreite der frühen israelischen Gesellschaft.
Wir baten die Familien um ein bedeutungsvolles Erinnerungsstück, und Mark Slavin, der aus der Sowjetunion kam und noch fast kein Hebräisch konnte, hatte ein Russisch-Hebräisch-Phrasenbuch dabei in das jemand geschrieben hatte „Möchtest du mit mir ausgehen?“ – sehr berührend. Das Projekt zeigt die Menschen hinter den Namen.
Wie sind die Reaktionen darauf?
Wir bekommen viele positive Reaktionen. Es passiert manchmal, dass wir in Rundgängen Menschen haben, die selbst Zeitzeug*innen sind. Kürzlich hatte ich den Fahrer von der jamaikanischen Mannschaft hier, die ein paar Häuser weiter von der israelischen Mannschaft untergebracht war, und er hatte seine eigenen Erinnerungen. Sie kommen ganz bewusst und teilen sich uns mit, weil sie, eigentlich sehr ähnlich wie die Familien der Opfer, so nah dran waren und sich seit 50 Jahren damit beschäftigt haben. Es gibt aber auch in München Leute, die das Attentat auch heute noch als etwas von außen her eingetragenes sehen, was manchmal sogar in eine antisemitische Richtung geht. Ganz vereinfacht gesagt: Die Israelis, die Juden haben unsere schönen Spiele verhagelt.
Wie haben die Familien der Opfer auf die Idee reagiert?
Ich habe von ihnen weitere Fotos bekommen, nach denen sie offenbar gesucht haben. Die Familien sind sehr froh, dass man sich an ihre Angehörigen individuell erinnert. Bei anderen Gedenkfeiern spricht man über eine Gruppe von elf Personen und einem Polizisten, da bleibt wenig Platz, die einzelnen Personen herauszustellen. Wir arbeiten auch mit Schulen und Sportvereinen zusammen, sodass viele sich über die Sportart mit den Einzelnen identifizieren.
Was macht die jüdische Gemeinde München, um an das Attentat zu erinnern?
Die jüdische Gemeinde hat 1972 die Gedenktafel gemacht, aber eine Schwierigkeit ist, dass die Familien der Opfer nicht religiös sind und von daher mit der jüdischen Gemeinde nichts am Hut haben. Die Gemeinde wird von einem orthodoxen Rabbiner geführt und ist dieses Jahr ein bisschen außen vor bei der Gedenkfeier.
Wie reagierte die jüdische Gemeinde damals als es passiert ist?
Sie waren schon sensibilisiert. Es gab ja schon 1970 den Anschlag auf das jüdische Gemeindehaus. Eine Gruppe von Studierenden aus der Gemeinde hat nach dem Attentat eine Demo organisiert und gefordert, dass die Spiele abgebrochen werden.
... wenn man das Olympia-Attentat mitdenkt, kann man nicht von einem Festjahr sprechen.
Wie kooperieren offizielle Stellen der Münchner Gesellschaft, um an das Attentat zu erinnern?
Es gibt kaum einen Flyer oder Prospekt, in dem nicht daran erinnert wird. Selbst der Oberbürgermeister ist in seiner Eröffnungsrede zur Europameisterschaft darauf eingegangen. Als das Programm für 50 Jahre Olympia rauskam, war noch die Rede von einem „Festjahr“. Der Begriff wird jetzt nicht mehr verwendet, sondern es wird als „Jubiläum“ bezeichnet. Wenn man das Olympia-Attentat mitdenkt, kann man nicht von einem Festjahr sprechen.
Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft der Erinnerung an das Attentat aus?
Ich denke, dass dieser Prozess, den wir als unsere Aufgabe als jüdisches Museum sehen, zum Teil der Münchner Erinnerungskultur werden wird. Es gibt keine andere deutsche Stadt, wo mehr Terroranschläge stattgefunden haben als in München. Das passt natürlich überhaupt nicht zum Selbstbild der Münchner von ihrer heiteren sonnigen Stadt. Es hat lange gedauert bis München sich der Tatsache gestellt hat, dass es die Hauptstadt der nationalsozialistischen Bewegung war, aber das ist mittlerweile Teil der Geschichtserzählung von München geworden. Ebenso sind wir gezwungen, das Olympia-Attentat als Teil der Geschichte zu erwähnen, genauso wie das Oktoberfest.