Zum 50. Todestag von Erich Kästner
Der Doppelte Erich: Zwischen Dresden und Jerusalem
Die Kinder- und Jugendliteratur hat er maßgeblich geprägt, wurde zu einem der wichtigsten Vertreter dieses Genres in Deutschland und weltweit. Zugleich wirkte er als Journalist, Dramatiker und Drehbuchautor, seine Bücher gehörten zu jenen, die die Nationalsozialisten öffentlich verbrannten. Am 29. Juli 2024 jährt sich der Todestag von Erich Kästner nun zum 50. Mal.
Von Edwina Shilian
Zu diesem Anlass hatte das Leo Baeck Institut in Jerusalem in Zusammenarbeit mit der Vereinigung der Israelis mitteleuropäischer Herkunft, dem Goethe-Institut Israel, dem Minerva Center für deutsche Geschichte und dem Institut für deutsche Sprache und Literatur an der Hebräischen Universität Jerusalem zu einer Konferenz über Erich Kästners Person und Werk eingeladen.
Wissenschaftler, Literaten, Übersetzer – sie alle teilten ihre Erkenntnisse, Expertise und Erinnerungen, darunter Yehuda Atlas, Michael Dak, Prof. Moshe Zimmerman, Prof. Giddon Ticotsky, Dr. Michal Peles-Almagor, Dr. Sharon Gordon, Dr. Sharon Livne, David Witztum, Prof. Ofer Ashkenazi, Prof. Zohar Shavit, Esther Gradei, Avner Shapira und Dr. Naama Jager.
Die Liebe zu ihm findet in keiner anderen Sprache ihr Pendant, seine Bücher und insbesondere seine Kinderbücher sind seit Beginn seines Schaffens immer wieder ins Hebräische übersetzt worden und werden in Israel von Generation zu Generation gelesen.
Dr. Sharon Livne
Über Jahrzehnte war Kästner einer der bekanntesten deutschen Autoren in Israel. In den 30er Jahren wurden die ersten Bücher ins Hebräische übersetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg, aufgrund des sensiblen Charakters aller Deutschland betreffenden Themen, wurden in den meisten frühen Übersetzungen ins Hebräische sowohl die Namen der Personen (z.B. Lotte wurde zu Ora, Luisa zu Li) und auch der Orte geändert oder einfach weggelassen. Orte in Deutschland wurden verlegt (z. B. München nach Zürich) oder mit hebräischen Namen versehen, die sie weit von der geografischen Realität entfernten. Erst die neuen Übersetzungen von Michael Dak stellten die ursprünglichen Namen und Orte wieder her.
Ein kurzer Rückblick auf die Programmpunkte der Konferenz
Als er noch ein junger Leser war, hatte Übersetzer Michael Dak das Glück, Erich Kästner in einem Wiener Buchladen persönlich zu treffen. Er berichtete über seine faszinierende Arbeit, Kästners Büchern in die hebräische Sprache zu übersetzen, erzählte von den Herausforderungen, den Feinheiten und der Freude, die mit dem Übersetzungsprozess verbunden waren. Michael Daks Kindheitserlebnisse mit Kästner und seine heutige Arbeit als Übersetzer zeigen, wie Kästners Bücher als Brücke zwischen dem alten Deutschland der Weimarer Republik und den Überlebenden des Holocaust dienen. Sie bieten eine helle, harmlose Erinnerung für diejenigen, die mit seinen Geschichten aufgewachsen sind.Prof. Moshe Zimmermann bezog sich auf das Schreiben Kästners für Erwachsene: Zeitungsartikel, Romane, Theaterstücke, Drehbücher und tiefgreifende Gedichte, wie ‘Stimmen aus dem Massengrab’.
Dr. Sharon Gordon setzte sich kritisch mit der Welt der Frauen und Männer in Kästners Büchern sowie in seinem privaten Leben auseinander`- Kästners innige Beziehung zu seiner Mutter, die Charaktere der Eltern u. a. von Pünktchen und Anton, Das doppelte Lottchen, Fabian.
Dr. Michal Peles-Almagor nahm das Publikum mit auf eine Reise durch die Gedichte von Erich Kästner. Mit Beispielen zeigte sie, wie Kästner in seinen Gedichten bei der historischen Realität verweilt, aber gleichzeitig in seiner Dichtung die Hoffnung eines Kindes und die Zuversicht eines Erwachsenen bewahrt.
Yehuda Atlas bezog sich in seinem Vortrag auf das populärste Buch Kästners Das doppelte Lottchen, dieses magische Buch, das Kästners Sensibilität für Kinder und für humane Werte widerspiegelt und gleichzeitig Sensibilität, Mitgefühl, Verständnis, Menschenliebe und menschliche Werte vermittelt.
Dr. Sharon Livne vom Leo Baeck Institut thematisierte Erich Kästners Rolle als Redakteur der Kinderzeitung Pinguin, die in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in München erschien.
Esther Gardei untersuchte anhand des 1942 in der Zeitschrift "Orient" veröffentlichten Gedichts „In Memoriam Erich Kästner“ die kritische Sichtweise auf Kästner, die in dem Gedicht zum Ausdruck kommt und die in der Belegschaft dieser Zeitschrift eine Kontroverse auslöste.
David Witzthum hielt einen unterhaltsamen Vortrag über Kästner und das Kino, begleitet von verschiedenen Filmausschnitten.
Im Mittelpunkt des Vortrags von Dr. Naama Jager stand die Rezeption von Kästners Werk bei hebräischen Lesern in Israel in den 1950er und 1960er Jahren, insbesondere bei Lesern aus deutschsprachigen Familien.
Prof. Zohar Shavit thematisierte die Auseinandersetzung mit Erich Kästners Entscheidung, während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland zu bleiben, und wie die israelische Gesellschaft ihn dennoch angenommen hat: "Die Rezeption Kästners in der israelischen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg und der Shoah ist besonders bemerkenswert, da sich die deutsche Kultur von einer bevorzugten zu einer verabscheuten gewandelt hatte. Trotzdem wurde Kästner in der hebräischen Kultur angenommen, was unter anderem durch die ‘Überarbeitung’ seiner Biographie und die textuellen Veränderungen, die die Übersetzer vornahmen, ermöglicht wurde."
Trotz der Verbrennung seiner Werke und seiner kritischen Haltung blieb Erich Kästner im Dritten Reich in Deutschland, setzte seine Veröffentlichungen fort und arbeitete sogar mit der Filmindustrie (bei Münchhausen als Drehbuchautor) zusammen. Nach dem Krieg thematisierte er die NS-Zeit selten in seinen Werken. Sein anhaltender Erfolg und die Tatsache, dass er - anders als andere Autoren - nicht für sein Verhalten während des Nationalsozialismus sanktioniert wurde, bleibt bemerkenswert und war Gegenstand der abschließenden Paneldiskussion Baron Münchhausen - Der politische Kästner.