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Diskussion
Eine Zeit ohne Qualität

Akademie Schloss Solitude:
Akademie Schloss Solitude: | © Akademie Schloss Solitude

Was ist eigentlich eine Künstlerresidenz und wofür ist sie gut? Wer sich immer schon einmal diese Frage gestellt hat, konnte im Februar 2019 im Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan in Delhi auf Antwort hoffen. Jean-Baptiste Joly, der ehemalige Leiter der „Akademie Schloss Solitude“ in Stuttgart, war zu Gast und diskutierte mit drei indischen Künstlerinnen und Künstlern über den Zweck von und Erfahrungen mit Residenzen.

Von Britta Petersen

Joly führte präzise und elegant in das Thema ein, für das es kaum einen besseren Experten gibt als den französischen Germanisten, Kurator und Kulturmanager, der 30 Jahre lang Künstlerresidenzen betreut hat. Dennoch meint Joly, dass Residenzen besser ex negativo zu beschreiben sind: „Eine Residenz ist kein Museum, keine Bibliothek, kein Theater, keine Schule“ sondern „eine Institution ohne Lehrer, ein Rückzugsort außerhalb des täglichen Lebens, ein Labor, eine Networking-Maschine“.
 
Der Ursprung der Künstlerresidenz geht auf das 17. Jahrhundert zurück, genauer gesagt auf das Jahr 1666 als Frankreichs Sonnenkönig Ludwig XIV. die „Academie de France“ in Rom gründete. Die Aufenthalte dort hatten – anders als die heutigen Residenzen – ein spezifisches Ziel, so Joly: Französische Künstler sollten lernen, die meisterhaften römischen Skulpturen zu kopieren. Die Besten unter ihnen wurden dann zu Hofkünstlern berufen.

Im Gegensatz dazu stehe heute der Freiraum im Vordergrund, den eine Künstler-Residenz biete. Näher als die „Academie de France“ in Rom ist uns daher das „Sezessions-Modell“ aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, als Künstlerinnen und Künstler in Europa der Akademie-Kunst und den großen Städten den Rücken kehrten.
 
Aus dieser Bewegung entstanden in Deutschland 1889 die Künstlerkolonie Worpswede bei Bremen und die Gartenstadt Hellerau in Sachsen. Dort wurde 1911 Adolphe Appias legendärer „Theaterraum“ eröffnet, dessen Lichtkonzept das Theater revolutionierte.

In den USA gibt es seit 1907 im Bundesstaat New Hampshire die „MacDowell Colony“, in der seitdem rund 8000 Künstler in residence gearbeitet haben. Ihr Motto lautet: „MacDowell makes a place in the world for artists because art makes the world a better place.“

Weltweit etabliert

Der Großteil der Künstlerresidenzen wendet sich an visuelle Künstler, denen sie Raum und Zeit für ihre Arbeit offerieren. Zwar sind Künstlerresidenzen laut Joly eine „europäische Erfindung“, aber sie haben sich inzwischen auf der ganzen Welt etabliert, mit einer wachsenden Zahl in Afrika und Ozeanien. „Von den weltweit 1525 Künstlerresidenzen sind 56 Prozent in Europa angesiedelt, 24 Prozent in Nord-Amerika, 11 Prozent in Asien, 4,5 Prozent in Süd-Amerika, 2,5 Prozent in Afrika und 2 Prozent in Ozeanien.“
 
Die meisten sind, wie Jolys früherer Wirkungsort, die „Akademie Schloss Solitude“ in Stuttgart, mit einem Ort identifiziert, einer Stadt, einem Gebäude oder einer Landschaft, wie etwa das „Künstlerhaus Bethanien“ in Berlin, die „Cite Internationale des Arts“ auf der Ile-de-France in Paris oder verschiedene Formate in der Wüste von Texas. Inzwischen biete „Schloss Solitude“ aber auch Online-Residenzen an, denn „Kunstpraktiken im Internet brauchen auch Sichtbarkeit“. Relativ neu seien „Mikro-Residenzen“, die meist in Südost- und Ost-Asien auf private Initiativen zurückgingen und unterhalb des Radars der breiten Öffentlichkeit blieben. Sie „tauchen auf und verschwinden wieder.“

Jean Baptist Joly Jean Baptist Joly | © Jean-Baptiste Joly Residenzen, so Joly, sind Orte, an denen Künstlerinnen Zeit und Energie für ihre Arbeit haben. Sie müssten allerdings – und das ist ein wichtiger Aspekt – ihre finanziellen Angelegenheiten geklärt haben, bevor sie „in Residenz“ gingen. „Nur zehn Prozent der Residenzen bieten Fellowships oder Stipendien an.“ Dafür versprechen sie neben Zeit und Raum auch den Austausch mit Gleichgesinnten, Anerkennung „als ernstzunehmende Künstler“ sowie Unterstützung bei der Organisation von Ausstellungen und öffentlichen Veranstaltungen.
 
Der leere Rahmen oder die „Zeit ohne Qualität“ ist jedoch kein Garant für erfolgreiche Kunstproduktion. Im Gegenteil. Aus eigener Erfahrung berichtete Joly, dass eine Residenz auch „Angst vor dem Unbekannten“ auslösen könne. Einmal aus dem geschäftigen Alltag herausgerissen, müsse man „mit sich selbst klarkommen“ Doch das Gute sei, dass man sich auch „über das Scheitern freuen“ könne. „Am Ende der Residenz kennt man sich selbst besser“, so Joly.

„Angst vor dem Unbekannten“

Das konnten die indischen KünstlerInnen bestätigen, die im Max Mueller Bhavan  Delhi von Programmdirektor Dr. Leonhard Emmerling moderiert über ihre persönlichen Erfahrungen mit Residenzen berichteten.
 
„Die Residenz auf ‚Schloss Solitude‘ hat mein Leben verändert“, so Jasmeen Patheja, Künstlerin und Aktivistin aus Bangalore. Die Gründerin des Projekts „Blank Noise“, das mit Straßenaktionen gegen sexuelle und Gender-basierte Gewalt mobil macht, hat über drei Jahre hinweg insgesamt 14 Monate auf „Schoss Solitude“ verbracht. „Ich arbeite viel auf der Straße, dort ist alles dringend. Die Residenzen in Deutschland haben mir geholfen, das Tempo zu ändern“, so Patheja.  Dies habe ihr geholfen, ihren Film produzieren. „Ich hatte die Zeit dazu!“
 
Prashant Prakash, Schauspieler und Schriftsteller aus Neu-Delhi, ist bekannt dafür, mit seiner Theatergruppe „Crow“ an Grenzen zu gehen – an Persönliche und die des Theaters gleichermaßen. Er gestand, dass er zu denen gehört, die „sich am Scheitern erfreuen“ mussten. „Wir konnten nach einem Jahr auf ‚Schloss Solitude‘ unser Projekt nicht rechtzeitig abschließen“, berichtete er. „Aber es war eine extrem wertvolle Gelegenheit, diesen fördernden Raum zu haben.“
 
Shuddhabrata Sengupta, Künstler, Schriftsteller, Kurator und Mitbegründer des „Raqs Media Collective“ in Delhi war drei Mal auf „Schloss Solitude“, aber nicht als Resident sondern als Mitglied der Jury, was ihm Einblick in die Erfahrungen vieler Künstlerinnen und Künstler verschafft hat, die dort gearbeitet haben. „Eine Residenz hat wirklich Einfluss auf das Leben“, sagt Sengupta. Sie sei eine „geschenkte Zeit“ und als Juror suche er daher nach Personen, die „verstehen, was es bedeutet, Zeit zu verbringen“.
 
„Ich will keine Standard-Proposals, die zugleich bei anderen Institutionen eingereicht werden. In einer Residenz sollen die KünstlerInnen etwas tun, was sie noch nie getan haben, etwas was ihr Leben transformiert“, sagt er. Die Erfahrung der Künstlerresidenz bringt für Sengupta eine Zeile des türkischen Dichters Nazim Hikmet auf den Punkt:

Leben wie ein Baum, einzeln und frei, doch brüderlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht."

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