Schnelleinstieg:

Direkt zum Inhalt springen (Alt 1) Direkt zur Hauptnavigation springen (Alt 2)
Logo Goethe-Institut

Max Mueller Bhavan | Indien

Communitys im Mittelpunkt des digitalen Designs
Was digitale Bürger*innen ausmacht

Becoming Digital Citizens
© Arpita Kanjilal

In Indien schreitet die Digitalisierung mit über 650 Millionen Smartphone-Nutzer*innen und mehr als 950 Millionen Internet-Nutzer*innen stetig voran[1]. Doch das Land verzeichnet gleichzeitig auch den höchsten Anteil an Menschen ohne Internetzugang, was eine tiefe gesellschaftliche Spaltung deutlich macht. Ein Paradox, das Fragen nach der Zugänglichkeit und Chancengleichheit auf der digitalen Reise des Landes aufwirft.

Von Osama Manzar and Dr. Arpita Kanjilal

Daten des National Sample Survey Office (NSSO) zeigen eine tiefe Kluft: Nur 24 % der Menschen im ländlichen Indien verfügen über einen Internetzugang, bei städtischen Haushalten sind es dagegen 66 %. Der India Inequality Report 2022: Digital Divide beobachtet gegenläufige und besorgniserregende Trends: In ländlichen Gebieten ist der Internetzugang mit 31 % sehr gering, während er in Stadtgebieten bei 67 % liegt.

Digitale Transformation

Indien hat zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um eine durch die digitale Kluft verursachte Krise zu verhindern. Seit dem Startschuss der Kampagne Digital India im Jahre 2015 gab es eine ganze Reihe von Initiativen, um die Internetkonnektivität im ländlichen Indien zu verbessern, darunter auch die Einrichtung von Zugangspunkten wie Common Service Centers, um die Entwicklung der digitalen Infrastruktur und damit der digitalen Bürger*innen zu unterstützen. Dieser Weg war mit einigen Herausforderungen verbunden.

Nehmen wir zum Beispiel den bargeldlosen Zahlungsverkehr – eine drastische Systemänderung, durch die Millionen von Menschen zum Umstieg auf digitale Bankgeschäfte und Transaktionen gezwungen waren. Für ländliche Haushalte war diese Umstrukturierung mit Nachteilen verbunden, weil sie ihren Lebensunterhalt in der Landwirtschaft und im informellen Sektor bestreiten. Bald darauf wurden auch Grundsicherungsleistungen, Bezüge, Subventionen und Sozialhilfen, einschließlich des staatlichen Systems zur Nahrungsmittelversorgung (Public Distribution System), digitalisiert und mit der zentralen Biometrie-Datenbank Aadhar verknüpft.

Um diesen unvorbereiteten Übergang zur E-Governance – und die damit einhergehende Digitalisierung von Identitäten, Datenbanken und staatlichen Schnittstellen – zu bewältigen, bedurfte es dringend leistungsstarker digitaler Infrastrukturen, die Konnektivität musste ausgebaut, der Zugang über digitale Plattformen erleichtert und insbesondere Bürger*innen ohne Zugang zu Informationen eine digitale Teilhabe ermöglicht werden.

Bestehende Lücken: Infrastruktur und Ungleichheit

In Indien leben zwei Drittel der Menschen in ländlichen Regionen. Trotz umfangreicher Bemühungen zahlreicher Stakeholder in mehreren Sektoren gibt es nach wie vor große Lücken in der Infrastruktur und sozioökonomische Spaltungen, die sich bis in die digitale Welt erstrecken. Die Covid-19-Pandemie hat noch einmal mehr deutlich gemacht, wie dringend die Konnektivität auf jeden abgelegenen Winkel des Landes ausgeweitet werden muss. Wie kann unter diesen Voraussetzungen ein Internetzugang in abgelegenen Gebieten und marginalisierten Gemeinschaften bereitgestellt werden, denen es traditionell an einer Basisversorgung in den Bereichen Verkehr, Elektrizität, Telekommunikation, Gesundheitsfürsorge, Bildung, Banken und Finanzdienstleistungen fehlt? Wie können wir das digitale Design gestalten, damit es den unterschiedlichen Stufen der digitalen Ungleichheit etwas entgegensetzen kann? Wie können wir eine solide Konnektivität und digitale Erreichbarkeit bis zur letzten Meile gewährleisten?

Die Einrichtung drahtgebundener Internetverbindungen auf dem riesigen indischen Subkontinent mit seiner vielfältigen Topografie ist für Internetdienstanbieter mit hohen Kosten verbunden. Eine Demokratisierung des Zugangs zur digitalen Infrastruktur und die Akzeptanz der E-Governance bei den Bürger*innen hat sich – insbesondere auf Ebene der Gram Panchayats – haben sich hier als wesentliche Voraussetzung erwiesen. Dafür war wiederum eine Dezentralisierung, Demonopolisierung und Demokratisierung des Konnektivitätsangebots und Informationszugangs erforderlich. Beispielsweise wurden Community-Radios in ländlichen Gebieten versuchsweise als Internetanbieter eingesetzt und später durch die indische Telekom-Regulierungsbehörde TRAI (Telecom Regulatory Authority of India) als „Öffentliche WLAN-Netze“ zugelassen. Diese von den lokalen Gemeinschaften errichteten, verwalteten und genutzten Community-Netzwerke haben einen wichtigen Beitrag zum Ausbau der lokalen Telekommunikationsinfrastruktur geleistet, insbesondere in Gebieten, die von kommerziellen Diensten nicht abgedeckt wurden. Allerdings haben sie mit Herausforderungen in den Bereichen Kosten, Skalierbarkeit und Nachhaltigkeit zu kämpfen.

Initiativen und Innovationen

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat Indien grundlegende Anstrengungen unternommen, um die digitale Kluft zu überwinden.

Die National Digital Literacy Mission war eine der ersten von der Digital Empowerment Foundation entwickelten Initiativen, die anschließend von der indischen Regierung für eine flächendeckende Umsetzung bis zur letzten Meile angenommen wurde. Die Initiative löste eine Breitband-Revolution im ländlichen Indien aus und konnte mit Hilfe des National Optic Fibre Networks (NOFN) die Konnektivität der Gram Panchayats sichern.

Darüber hinaus wurden auch einfache Konnektivitätslösungen geprüft und Testläufe mit lizenzfreien Frequenzen durchgeführt. Das Ziel bestand darin, erschwingliche Konnektivitätslösungen in abgelegenen und nicht vernetzten Gebieten bereitzustellen. Diese Lösung erforderte keinen Internetanbieter. Für den Vertrieb oder die Nutzung war lediglich der Aufbau einer privaten Verbindung erforderlich, für die regelmäßige Abonnementgebühren anfielen.
Es gab mehrere vergleichbare Initiativen zur Bereitstellung und zum Ausbau der Internetkonnektivität und des digitalen Zugangs für ländliche oder schlecht vernetzte Gemeinschaften in Indien.

Bürgernahes digitales Design

Ungeachtet dieser Bemühungen besteht wie vor eine erhebliche Lücke und zunehmende Kluft bei der Zugänglichkeit und Akzeptanz der Digital Public Infrastructure bei Bürger*innen und Gemeinschaften. Das Aufkommen der KI hat die Akzeptanz der Digitalisierung zusätzlich erschwert, denn sie wirft kritische Fragen nach Datennutzung, Speicherung, Bias und ethischen Leitlinien auf. Wo liegt der Fehler? Sind „Wir, die Menschen in Indien“ überhaupt Teil des digitalen Designs? Dient das digitale Design den Bürger*innen oder den Verbraucher*innen?

Aktuell haben etwa 2,4 Milliarden Menschen weltweit keinen Internetzugang. In Indien kämpfen viele Gemeinschaften noch immer mit digitaler Ausgrenzung und sind größtenteils vom grundlegenden digitalen Ökosystem ausgeschlossen – darunter Weber, Handwerker, Frontline Worker, Frauen, Jugendliche, Menschen mit Behinderungen, Queere und Transgender-Personen, Fischer, Angehörige von Nomadenstämmen sowie der Dalit- und der Adivasi-Gemeinschaften, Slumbewohner*innen in den Städten, ältere Menschen und Gemeinschaften in abgelegenen oder Bergregionen. Wie können wir ein digitales Design gestalten, das die soziale Gerechtigkeit stärkt und das Wissen und die Weisheit der nicht vernetzten und indigenen Gemeinschaften an der Basis einbezieht?

Dafür braucht es einen Perspektivwechsel. Die digitale Landschaft funktioniert auch heute noch vor allem von oben nach unten, indem sie Bürger*innen als reine Datenpunkte behandelt. Um ein digitales Design zu entwickeln, bei dem Inklusion von Anfang an ein wesentlicher Teil des Design-Thinking-Prozesses ist, anstatt erst im Nachgang berücksichtigt zu werden, müssen wir anstelle des Top-Down-Ansatzes einen Bottom-Up-Ansatz verfolgen, der die Gemeinschaften als zentrale Interessengruppen in die politische Entscheidungsfindung einbezieht. Hyperlokale Lösungen für spezifische Rahmenbedingungen können dazu beitragen, die unterschiedlich stark ausgeprägten digitalen Ungleichheiten durch einen Ausbau der lokalen digitalen Ökosysteme zu überwinden.

Konnektivität darf nicht nur als technologischer Meilenstein betrachtet werden. Denn sie kann als soziale Revolution auch dazu beitragen, die Lücke zwischen dem eigentlichen Anspruch und der tatsächlichen Zugänglichkeit zu schließen.

Erwähnte Links im Text:

  • Ein Systemfehler ist aufgetreten. Versuchen Sie es später noch mal.
Top