Rosinenpicker
Brillanter Beschwerdeführer
Der österreichische Schriftsteller Franz Schuh hat einen neuen Essayband geschrieben. Darin beruht das Interesse am Tod auf Gegenseitigkeit.
Von Holger Moos
Für Eva Menasse ist Franz Schuh ein „titanisch gebildeter Denker und sprachlicher Stilist von höchster Eleganz“, dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – sei er „unter den erstklassigen Schriftstellern Österreichs der Meistübersehene“. Das schrieb Menasse in der
ZEIT, nachdem Schuhs letztes Buch Lachen und Sterben (2021) erschienen war. Darin gibt es eine Episode, in der Schuh mit einer schweren Krankheit ins Krankenhaus eingeliefert wird. Der behandelnde Arzt hält seinen Tod für wahrscheinlich. Da er Schuhs Werk kennt, fügt er hinzu, der Schriftsteller habe sich ja immer für den Tod interessiert. Schuh erwidert trocken: „Ja, das stimmt, und auch der Tod hat sich für mich interessiert.“
Franz Schuhs neues Buch Ein Mann ohne Beschwerden ist natürlich eine Anspielung auf Robert Musils Mann ohne Eigenschaften. Doch so wenig Schuh ein Mann ohne Eigenschaften ist, so wenig hat er keine Beschwerden mehr – davon abgesehen, dass er im Moment wohl keine akut lebensbedrohlichen körperlichen Beschwerden hat. Beschwerde führen tut er dagegen gewitzt, wortgewandt und gern.
Nur, bitte gleich, den Tod
Neben vielem anderen beschwert er sich über das, was ihm als schwerkrankem Patienten im österreichischen Gesundheitssystem widerfahren ist. „Ich dachte, ich könnte es vermeiden, zum Darsteller meiner Krankheit zu werden. Das hat nicht geklappt“, sagte Schuh in einem Interview, das 2021 in der österreichischen Tageszeitung Der Standard erschienen ist. In seiner Zeit in Klinik und Pflegeheim habe er zwar durchaus empathische Ärzt*innen kennengelernt, doch verlassen solle man sich darauf besser nicht. Plumpe Systemkritik findet Schuh zu billig, so einfach sei das nicht, denn: „System ist ein Zusammenhang von ausdifferenzierten einzelnen Komponenten, die miteinander eine beabsichtigte Wirkung erzielen, es aber nicht immer können … Das kracht und ergibt oft kein freundliches Zusammenwirken.“Nichtsdestotrotz ist Schuh dankbar um das Gesundheitssystem in seiner Heimat Österreich, denn anderswo wäre es ihm vermutlich schlechter ergangen: „In Amerika hätte man mich schlicht auf die Müllkippe geworfen.“ Einen letzten Wunsch hat Schuh trotzdem : „Wenn einer krank wird, sagt der Österreicher, er hat sich was geholt. Ich möchte nicht, dass sie mich wieder holen. Ich möchte nicht, dass ich mir wieder etwas hole. Nur, bitte gleich, den Tod.“
Dialektik mit Witz
Der Arabist und Islamwissenschaftler Thomas Bauer schrieb 2018 den Essay Die Vereindeutigung der Welt, in dem er den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt beklagt. In unserer Kultur und Gesellschaft sei man kaum noch ambiguitätstolerant, d.h. Uneindeutigkeiten und Widersprüche werden nicht mehr ausgehalten. Auch in der Literatur sei das so.In dieser Hinsicht ist Franz Schuh eindeutig eine Ausnahme. Der studierte Philosoph – er promovierte über Hegel – ist in seinem Denken und Schreiben ein klassischer Dialektiker, allerdings verbunden mit Witz. Denn neben Hegel wurde Schuh auch vom Dramatiker Johann Nestroy (1801-62) geprägt. Von ihm lernte er, „was Witz ist, nämlich so etwas wie Intelligenz, die sich an Widersprüchen, am Hin und Her von Rede und Gegenrede aufladen kann. Auf diese Art verknüpfen sich in einer Lebensgeschichte manche Elemente zu Knoten, die einen bis zum Ende seiner Tage fesseln.“ Anbinden, im Sinne von festlegen, wollte sich Schuh dagegen noch nie, schon gar nicht heute: „Was denn wäre besser, als nicht angebunden zu sein in diesen fesselnden Zeiten?“
Wie der Untertitel „Über Ästhetik, Politik und Heilkunde“ verrät, geht es in der Essaysammlung um unsagbar viel mehr. Das Uneindeutige ist wohltuend in einer Welt, in der Schwarz-Weiß-Denken und starke Meinungen dominieren, Schuh spricht von der „Fetischisierung der jeweils eigenen Meinung“. Aber manche der Texte, insbesondere die philosophischen, sind auch herausfordernd, denn man liest nurmehr selten derart gebildete, anspielungs- wie fintenreiche Texte. Ein möglicher und guter Einstieg sind Schuhs Auslassungen über seine Erlebnisse mit der Österreichischen Bundesbahn, zu lesen auf der Website des Standard.
Hoffen wir, dass Franz Schuh noch ein Weilchen bleiben darf, was er nach eigenen Angaben ist: „Ein melancholischer, mit gelegentlichen Lachanfällen gesegneter Mensch“. Wenn es ganz dicke kommt, verweist Schuh gerne auf dieses „Beispiel einer negativen Dialektik“ – man sieht: Schuh hat natürlich auch Adorno gelesen – das allerdings von Nestroy stammt: „Wenn alle Stricke reißen – häng ich mich auf.“
Wien: Zsolnay, 2023. 240 S.
ISBN 978-3-552-07360-9
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe
Franz Schuh: Lachen und sterben
Wien: Zsolnay, 2021. 336 S.
ISBN 978-3-552-07229-9
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe