Wolfram Eilenberger
Feuer der Freiheit
Intellektuell anregend und thematisch reichhaltig: Wolfram Eilenbergers Feuer der Freiheit ist eine kollektive Biografie von vier Frauen, die sowohl die Philosophie als auch die Literatur des 20. Jahrhunderts mitgestaltet haben – ein Buch, das auch Leserinnen von Francesca Wades Square Haunting ansprechen wird.
Im Jahr 1933 stand die Welt auf Messers Schneide. Hitlers Machtübernahme, die Schrecken des Holodomor, die Vertreibung und das Exil Tausender Menschen in ganz Europa, das langsame Voranschreiten des Totalitarismus. Es war der Beginn eines Jahrzehnts der Gewalt und des Terrors, und viele der klügsten Köpfe des Jahrhunderts fragten sich, wo es überhaupt enden würde.
Feuer der Freiheit ist eine kollektive Biografie von vier herausragenden Schriftstellerinnen und Denkerinnen, die sich auf ein einziges Jahrzehnt bezieht: 1933 bis 1943, „das schwärzeste Kapitel der europäischen Moderne“. Die Tatsache, dass Simone de Beauvoir, Hannah Arendt, Ayn Rand und Simone Weil alle Frauen waren, ist natürlich kein Zufall – das Buch funktioniert gewissermaßen als Gegenpol zu Zeit der Zauberer, Eilenbergers Gruppenporträt von Benjamin, Heidegger, Cassirer und Wittgenstein – doch Fragen des Geschlechts und des Stellenwerts von Frauen in der Gesellschaft ergeben sich hier als eher zweitrangig. Stattdessen konzentriert sich Eilenberger auf die wichtigsten Philosophien und Interessen dieser Frauen und zeigt auf, wie die Welt sie geprägt hat und wiederum von ihnen beeinflusst wurde.
Indem er sich nicht nur mit der geopolitischen Lage, sondern auch mit uralten existenziellen Fragen auseinandersetzt, ist Feuer der Freiheit eine Art Einführung in dieses Jahrzehnt sowie in vier sich überschneidende, aber dennoch unterschiedliche Denkrichtungen. Ähnliche Ansätze sind in letzter Zeit im englischsprachigen Raum beliebt – zum Beispiel Square Haunting, Francesca Wades Gruppenbiografie von fünf Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts, oder Clare Mac Cumhaills und Rachael Wisemans Metaphysical Animals, das auch das Leben von vier Philosophinnen unter die Lupe nimmt. Für alle, die sich einen Überblick verschaffen und vielleicht ein Thema finden wollen, mit dem sie sich eingehender befassen möchten, ist dies ein guter Einstieg, und Feuer der Freiheit eröffnet tatsächlich zahlreiche Möglichkeiten. Ein einfacher Eindruck ist es jedoch nicht: So wie Beauvoir, Arendt und Co. sich mit beispiellosen Situationen konfrontiert sahen, so wird auch von uns erwartet, dass wir uns intellektuell mit ihnen auseinandersetzen. Eine solche Leseerfahrung erfordert Geduld, ist aber schlussendlich lohnend.
Nicht zuletzt deshalb, weil wir uns mit der starken Stimme von Simone Weil vertraut machen dürfen. Die vielleicht am wenigsten bekannte der vier Frauen (am Ende ermutigt uns Eilenberger, ihr Werke aufzuspüren), lebte diese zierliche Philosophin und Aktivistin nach einem strengen Moralkodex, kämpfte kurz im Spanischen Bürgerkrieg und wurde später zur Mystikerin. Mit Hilfe zahlreicher Zitate vermittelt Feuer der Freiheit einen starken Eindruck von Weil als Person, sowie von der Persönlichkeit jeder der vier Frauen – auch wenn Ayn Rand, die russisch-amerikanische Autorin, manchmal zu kurz kommt. Das ist vielleicht unvermeidlich: Es gibt eine große Menge an Material für jede einzelne Frau zu verdichten, ganz zu schweigen von allen vier, und auch wenn Eilenberger der Herausforderung gewachsen ist, kann er gelegentlich etwas ungeduldig wirken.
Und dennoch: Wie könnten wir sonst einen Eindruck von dem rasanten Tempo bekommen, in dem diese vier Frauen dachten und schrieben? In einer Reihe kurzer Abschnitte springen wir von einem Leben zum nächsten; Eilenberger erzählt oft aus einer nahen Perspektive in der dritten Person, um direkt in die Gedankengänge der jeweiligen Frau einzudringen. Eine Struktur, die das Lesen in mundgerechten Häppchen zerlegt, ist daher sehr willkommen.
Am Ende des Buchs steht eine kurze „Coda“, die sich mit den Jahren nach 1943 befasst, und man bekommt eindeutig das Gefühl, dass wir gerade erst an der Oberfläche gekratzt haben. Ein faszinierender Einblick in brillante Geiste – und vielleicht ein Leitfaden dafür, wie wir den ebenso realen und beängstigenden Ereignissen der modernen Welt begegnen können – Feuer der Freiheit ist ein anspruchsvolles und informatives Werk, das zum Weiterdenken anregt.
ÜBER DIE AUTORIN
Eleanor Updegraff liest extrem gerne, besonders übersetzte Literatur. Sie ist Ghostwriterin, Übersetzerin aus dem Deutschen, Lektorin und Buchrezensentin, sowie Autorin von Kurzgeschichten und Essays. Sie ist in Großbritannien aufgewachsen und wohnt nun seit 2015 in Österreich. Wenn sie nicht gerade liest, sitzt sie im Kaffeehaus oder läuft um einen österreichischen See herum.Der Artikel wurde zuerst vom Goethe-Institut Glasgow im Dossier Buchblog: Literaturverkostung veröffentlicht.