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ERFAHRUNGEN AUS DER ZUSAMMENARBEIT
THEATERSTÜCKE ÜBERSETZEN

Neil_Blackadder
© Neil_Blackadder

Von Neil Blackadder

Seit fast zwanzig Jahren übersetze ich zeitgenössische deutschsprachige Dramatik ins Englische. Mehrere dieser Übersetzungen sind in den USA und Großbritannien inszeniert worden, in einigen Fällen sind die Texte veröffentlicht worden, und viele sind in szenischen Lesungen vorgestellt worden. Dabei habe ich die Zusammenarbeit nicht nur mit Autor:innen sondern auch mit Regisseur:innen als faszinierend und höchst bereichernd erlebt.

Ich bin auf die Idee gekommen, Theaterstücke aus dem Deutschen zu übersetzen, als ich 2002 in einer Aufführung von Hund, Frau, Mann von Sibylle Berg im Kasino am Schwarzenbergplatz in Wien saß. Auf einmal wurde mir klar, dass meine Ausbildung – zunächst Germanistik und Romanistik, später Vergleichende Literaturwissenschaft – und meine Erfahrung als Hochschullehrer für Theaterwissenschaften mich geradezu prädestiniert hatte, Dramatik ins Englische zu übertragen. Nachdem ich Hund, Frau, Mann übersetzt hatte, machte ich mich auf die Suche nach weiteren neuen Stücken für die sich englischsprachige Theater eventuell interessieren könnten.
Mit einem meiner ersten Fundstücke, Die Sexuellen Neurosen unserer Eltern des Schweizers Lukas Bärfuss, hatte ich viel Erfolg und Vergnügen. 2007 wurde meine Übersetzung in London und ein Jahr darauf in New York inszeniert. Seitdem waren drei weitere meiner Übersetzungen auf der Bühne zu sehen: hamlet ist tot. keine schwerkraft von Ewald Palmetshofer, Bärfuss’ Malaga, und Testosteron von Rebekka Kricheldorf.
Bei der Uraufführung von The Sexual Neuroses of Our Parents in London führte Carrie Cracknell (damals Intendantin am Gate Theatre) Regie, und während der Proben arbeitete ich mit ihr zusammen am letzten Schliff der Übersetzung. Das haben wir meistens per Mail gemacht, wobei sie regelmäßig berichtete, wie ihre Schauspieler:innen mit dem Text umgegangen sind und was ihr dabei auffiel. Carrie schlug Veränderungen vor, und in manchen Fällen bin ich ihren Vorschlägen gefolgt – insbesondere, wenn sie erklärt hat, warum die Interaktion der Figuren, also der Schauspieler:innen, mit einem etwas einfacheren Text wirkungsvoller wäre. Häufig jedoch erläuterte ich Carrie, warum ich eine bestimmte Stelle auf diese und nicht auf jene Weise übersetzt hatte. Wenn die Sprache im Stück etwas stilisiert ist, also nicht ganz wie Alltagssprache – was bei fast allen der Stücke der Fall ist, die ich übersetzt habe - muss der Übersetzer diese Eigenschaft unbedingt beibehalten.
Ich habe mehrere Stücke von der deutschen Schrifstellerin Rebekka Kricheldorf ins Englische übertragen und mich mit ihr über besonders viele Fragen ausgetauscht. Es gibt etwas Poetisches an Stücken wie Die Ballade vom Nadelbaumkiller oder Rosa und Blanca: Die Zeilen sind in Versen geschrieben, ohne Interpunktion, und mit vielen Bildern. Oft frage ich sie, ob eine gewisse Formulierung eine stehende Redewendung ist, oder eher eine Erfindung von der Autorin. Und manchmal, indem sie meine Fragen beantwortet, erklärt mir Rebekka, dass sie eine Stelle vor allem des Rhythmus’ und Tons wegen auf eine gewisse Weise geschrieben hat – vielleicht auch im Widerspruch zu Grammatikregeln.
Auch drei Stücke des Österreichers Thomas Arzt habe ich übersetzt, und bei seinen Texten gibt es ganz besondere Herausforderungen. Man findet darin fast immer sowohl Dialog zwischen Figuren als auch Teile, die von einem Chor gesungen werden sollen, und diese Szenen schreibt er auf Dialekt. Thomas hat mir viel dabei geholfen, indem er diese Zeilen ins Hochdeutsch quasi übersetzt hat. In Alpenvorland wird es noch schwieriger, weil die Chöre auch Bearbeitungen von österreichischen Liedern und Hymnen sind – Anspielungen, die jeder Österreicher erkennen würde, die sich aber fast unmöglich übersetzen lassen. Bei Werkstätten und Künstlerresidenzen hatten Thomas und ich Gelegenheit, meine Übersetzungen seiner Stücke ausführlich zu diskutieren, und schließlich haben wir zusammen praktisch neue Fassungen auf Englisch von den Chören komponiert. Das ist ein extremer Fall der Zusammenarbeit zwischen Autor:in und Übersetzer:in, aber meiner Ansicht nach darf man sich beim Übersetzen nicht auf eine einzige Herangehensweise beschränken.
Ein weiterer Autor, mit dem ich eng zusammengearbeitet habe ist Ewald Palmetshofer (auch Österreicher). In hamlet ist tot. keine schwerkraft begegnet einem etwas, das mittlerweile “Palmetshofer-Stil” genannt wird, wo die Figuren fast nur in unvollendeten Sätzen sprechen. Da muss der Übersetzer erraten, was die Person gesagt hätte, wenn sie den Satz zu Ende gesprochen hätte; und natürlich ist der deutsche Satzbau oft sehr anders als der englische. Ewald erklärte mir, dass die Figuren in hamlet ist tot entweder gar nicht reden oder nicht mehr aufhören können zu reden: Mehrere Szenen bestehen aus langen Monologen, in denen sie sich in nicht enden wollenden Sätzen über Himmel, Liebe, Schwerkraft usw. auslassen.
Als meine Übersetzung 2014 in Chicago inszeniert wurde, konnte ich bei den Proben dabei sein und nicht nur den Regisseur, sondern auch die Schauspieler:innen kennenlernen und besonders schwierige Stellen erläutern. Ich konnte den Mitwirkenden Einblicke aus meinen Gesprächen mit Ewald vermitteln – zum Beispiel über die Ideen von Alain Badiou und die Grundlagen der Mengenlehre, die das Stück prägen. Solche Hintergrundinformationen haben sogar im Bühnenbild Ausdruck gefunden. Das heißt, ich habe zum Teil auch als Dramaturg fungiert, was bei meiner Arbeit als Übersetzer ziemlich oft der Fall ist. Meine Erfahrung als Lehrer der Theaterwissenschaft trägt ebenfalls dazu bei. Ich übersetze besser, weil ich Stückeschreiben unterrichtet habe, und führe besser Regie, weil ich Stücke übersetzt habe. Im Theater sind solche Zusammenhänge sehr wichtig.
Palmetshofers Stück die unverheiratete hat eine neue Herausforderung aufgeworfen: Beinahe den ganzen Text hat er jambisch geschrieben – das heißt, in einem Rhythmus, wobei unbetonte und betonte Silben sich abwechseln. Ewald sagte mir, er möchte, dass die englische Übersetzung ebenfalls fast durchweg jambisch sei. Das hieß, ich musste bei Bedarf die Wortfolge sorgfältig verändern, um den Rhythmus durchzuhalten – genau wie der Autor selber. Das war schon anspruchsvoll, hat aber auch Spaß gemacht. Und als ich mich damit abmühte, hat mir Ewald klargemacht, es würde ihm weniger darum gehen, dass der Rhythmus durchgehend jambisch sei, als dass der Text sich einigermaßen wie ein klassisches Stück anfühle – im Deutschen Schiller oder Kleist, in der Übersetzung also eher Shakespeare oder Marlowe. Nach den Proben und einer szenischen Lesung in New York konnte ich mit den Schauspielerinnen darüber reden, und sie bestätigten mir, dass sie die Sprache als ungewöhnlich und wie aus einer anderen Zeit erlebten.
Neben Thomas Arzt und Ewald Palmetshofer ist Ferdinand Schmalz der dritte österreichische Autor, dessen Stücke ich ins Englische übertragen habe. Bei seinem Dosenfleisch musste ich mich noch mehr als zuvor mit Wortspielen beschäftigen. Das Stück spielt in einer Autobahnraststätte, wo ein Versicherungsbeamter auf den nächsten Unfall wartet. Da spielt Schmalz viel mit zum Beispiel Wörtern, die Verkehr enthalten, aber andere Bedeutungen haben – wie verkehren, und verkehrt. Außerdem schreibt er – ähnlich wie, aber auch anders als Kricheldorf und Palmetshofer – auf eine poetische Weise, wobei er kaum versucht, seine Figuren wie echte Menschen sprechen zu lassen, und viel Wert auf die Musikalität der Zeilen legt. Wenn man solche Stücke übersetzt, muss man einen entsprechenden Stil im Englischen finden – was alle die Autor:innen, mit denen ich arbeite, durchaus einsehen. Oft machen sie mir deutlich, dass es ihnen vor allem darauf ankommt, dass sich die englische Fassung richtig anhört und anfühlt.
Beim Übersetzen von Theaterstücken, die aufgeführt werden sollen, handelt es sich nicht nur um einen Text, den ein:e Autor:in geschrieben hat und den ein Übersetzer:in in eine andere Sprache überträgt. Im Idealfall übersetze ich ein Stück für eine bestimmte Inszenierung – in enger Mitarbeit nicht nur mit dem Autor oder der Autorin sondern auch mit der Regie und als Mitglied des Teams. So entsteht die neue Fassung durch die für die Theaterarbeit so grundlegende Zusammenarbeit.

 

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