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Von der „Marg“ über das „Bhavan“ zum Mann höchstpersönlich
Eine Reise in umgekehrter Richtung

Für jemanden, der sich selbst nicht als „Macher“ bezeichnete, hat Max Müller in seiner bemerkenswerten und produktiven Karriere viel erreicht. Welche Bedeutung haben die Ideen dieses intellektuellen Rebellen und „Influencers“ par excellence im heutigen Indien und was sagt er uns über die kulturellen Ängste der Zeiten, in denen wir leben?

Von Palash Krishna Mehrotra

Der Name Friedrich Max Müller war für mich immer mit einer Straße und einem Gebäude verbunden. Die Anschrift des India International Centre in Neu-Delhi lautet 40, Max Müller Marg – eine Straße wie ein Bermuda-Dreieck der Autorickschas. In der Ferne siehst du eine Rikscha auf dich zufahren, bis sie wie von Geisterhand wieder verschwindet. Ganz ähnlich ist es mit Müllers Vermächtnis.

Mit dem Gebäude meine ich das Max Müller Bhavan in Mandi House. Nirad C. Chaudhuri zeigte sich in seiner Müller-Biografie Scholar Extraordinary nicht allzu erfreut darüber, dass dessen Name ein Haus, ein Bhavan, zierte: „Damit haben die Deutschen ihre kulturelle Propaganda über die Erinnerung und das Ansehen Max Müllers gestellt – obwohl dieser an nichts anderem interessiert war, als den modernen Indern das wiederentdeckte Indien der Antike und nicht Deutschland nahezubringen.“ Chaudhuri schrieb diese Zeilen im Jahr 1974, als es zwei deutsche Staaten gab, inmitten einer Zeit der Propagandakriege. Dennoch ist sein Hinweis auf die Wiederentdeckung des antiken Indien ausgesprochen aufschlussreich, denn vor diesem Hintergrund ist Müllers heutige Bedeutung einzuordnen.

© Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan
Das Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan Beschilderung

Von der Person Müllers ging zweifellos eine große Faszination aus. Der fleißige Sanskritgelehrte und angesehene öffentlich Intellektuelle interessierte sich nicht nur für die indische Ideengeschichte. Er unterstützte Reformbewegungen der damaligen Zeit, wie den Brahmo Samaj, und vertrat klare moralische Standpunkte gegen Witwenverbrennung und Kinderehen. Zudem war er ein Mann der Widersprüche: Obwohl er die Niederschlagung des Aufstands von 1857 („Mutiny“) begrüßte, vertrat gleichzeitig die Überzeugung, dass sich die Menschen in Indien selbst regieren sollten, wenn auch unter dem Dach des British Empire.

Als herausragender Denker war er fest von der Bedeutung des Seelenlebens überzeugt. In seiner Autobiografie argumentierte er gegen die Thesen seines Freundes, des Oxforder Universalgelehrten John Ruskin, der sagte: „Was wir denken oder was wir wissen oder was wir glauben, ist am Ende von wenig Bedeutung. Das Einzige, worauf es ankommt, ist das, was wir tun.“ Dagegen führte Müller an, er sei nie ein Macher gewesen. „Ich kann nicht behaupten, daß ich Schlachten gewonnen oder neue Länder mitentdeckt oder einem Syndikus geholfen habe, ein Vermögen anzuhäufen. Ich bin ein Stubengelehrter gewesen und nichts weiter.“ Darüber hinaus hat Müller Prosa in tadellosem Englisch verfasst, deren Lektüre auch heute noch großes Vergnügen bereitet.

Ein Zeitalter des geistigen Aufbruchs

Müller änderte seine Ansichten im Laufe der Jahre. Beispielsweise betrachtete er die Rig-Veda (sein großes Übersetzungsprojekt neben der Herausgabe der Sacred Books of the East) in einer Phase als geistige Kindheit des Menschen, und Kants Kritik der reinen Vernunft (die er vom Deutschen ins Englische übersetzt hatte) sah er als „Menschheit“. Ein Jahr vor seinem Tod bezeichnete er die Vedanta-Philosophie als „System, in dem die menschliche Spekulation offenbar ihren eigentlichen Höhepunkt erreicht hat“.

Als deutscher Philologe im viktorianischen Großbritannien lebte er einer Zeit des großen geistigen Aufbruchs. Der Darwinismus lag in der Luft, und die Wissenschaft machte sich auf, den Platz des Göttlichen einzunehmen. Mit der Ausdehnung des British Empire auf den Subkontinent erhielten Wissenschaftler erstmals Zugriff auf alte indische Schriften. John Davis und Angus Nicholls bemerkten dazu:

Mit seinem Fokus auf Sanskrit und altindischer Kultur betrat Max Müller einen geistigen Raum, der für viele und insbesondere für die deutschen Staaten in Fragen der Philosophie, der Philologie und des religiösen Denkens richtungweisend war. Einige glaubten, dass alte Sanskrit-Texte einen Einblick in vorantike Denk- und Glaubenssysteme und damit neue Erkenntnisse über die Gegenwart boten. Denn es war möglich, Details aus der weiter zurückliegenden Vergangenheit offenzulegen und so die wahre, eigentliche Bedeutung der Philosophie und ihrer Konzepte besser zu verstehen.

Mit der Zeit gab Müller die Sprachwissenschaften auf und wandte sich stattdessen einer Theorie der vergleichenden Religionswissenschaften zu. Dafür musste er von der Gleichwertigkeit aller Religionen ausgehen – ein radikaler Gedanke in der damaligen Zeit. Müller musste seine eigene christliche Orthodoxie überwinden. In seiner 1883 veröffentlichten Einleitung in die vergleichende Religionswissenschaft schreibt Müller dazu: „Haben wir erst einmal gelernt in der Beurtheilung der heiligen Schriften anderer Religionen Vorsicht und Nachsicht zu üben, so werden wir dasselbe auch viel williger bei der Beurtheilung unserer eigenen thun.“

Auch wenn Teile der hinduistischen Rechten Schwierigkeiten mit Müllers Haltung zur missionarischen Dimension des Christentums hatten, darf nicht vergessen werden, dass er eine differenzierte Position einnahm. Wie Johannes H. Voigt in Max Müller: the Man and his Ideas bemerkte, trat Müller für ein „liberales“ Christentum ein, das eine persönliche Auslegung und nationale Besonderheiten erlaubt. Die Missionsarbeit diene nicht dazu, nicht-christliche Menschen in den Schoß des dogmatischen Glaubens zu holen, sondern die Verbreitung derjenigen christlichen Grundsätze zu ermöglichen, die für die gesamte Menschheit akzeptabel und vorteilhaft seien. In einem Brief an den Duke of Argyll schrieb Müller 1865: „Das Christentum unseres 19. Jahrhunderts wird wohl kaum das indische Christentum sein.“ Davon war Müller allerdings nur in den ersten vier Jahrzehnten seines Lebens überzeugt. Wie bereits erwähnt, entwickelte er in seinen letzten Lebensjahren eine unerschütterliche Begeisterung für die Philosophie des Vedanta.

Ein Haus für Max Müller oder geteilte Loyalitäten?

Müller hinterlässt ein zweifaches intellektuelles Erbe. Der Anführer der Brahmo Samaj, Pratap Chunder Mazoomdar, schrieb in seinem Nachruf auf Max Müller: „Er interpretierte nicht nur den Osten für den Westen, sondern auch den Osten für den Osten.“ Die Veröffentlichung des Rig-Veda war ein Prüfstein für die indische Geistesgeschichte. Dies hatte Müller erkannt, als er schrieb „Das Werk war ihre Bibel, und es war in den drei- oder viertausend Jahren seiner Existenz nie zuvor verlegt worden.“ Nirad Chaudhuri erinnert sich daran, dass ihm sein Vater als Schüler davon erzählte. Es veränderte das Selbstbild indischer Nationalisten. Wenn die Geschichte aus einer Reihe von Wendepunkten besteht, dann war dies ohne Frage eine dieser Zäsuren, und darin liegt die heutige Bedeutung Max Müllers.

Lord Curzon zeigte sich verärgert und besorgt. Er fürchtete, dass rebellische Inder ihre glorreiche Vergangenheit wiederentdecken und „mit europäischen Ideen als externe Zugaben in einem großen Schmelztiegel vermischen“ könnten. In einem Brief an Müller schrieb Curzon: „Es besteht keinerlei Zweifel, dass in Indien eine quasi-religiöse, quasi-metaphysische Bewegung um sich greift, die in ihrer allgemeinen Tendenz sogar als rückwärtsgewandt bezeichnet werden könnte.“

Müller vollzog derweil einen Balanceakt. Voigt erzählt in einer köstlichen Anekdote, wie Müller seine Loyalität gegenüber Großbritannien und seine Sympathien für Indien durch eine Sanskrit-Übersetzung der britischen Nationalhymne „God Save the Queen“ zum Ausdruck brachte, „die im Übrigen der Königin scheinbar besser gefallen hat als ihren Ministern.“

1875 Vanity Fair Karikatur von Friedrich Max Müller. 1875 Vanity Fair Karikatur von Friedrich Max Müller. | © Carlo Pellegrini, Public domain, via Wikimedia Commons Müller ließ sich in seiner Unterstützung für Indien nicht beirren. In Briefen und Kolumnen in der Times argumentierte er gegen die vorherrschende Überzeugung, dass Indien mit „Blut und Eisen“ erobert worden sei und nun auch mit harter Hand regiert werden müsse. Er protestierte gegen Macaulays hochmütige Worte von der Überlegenheit der englischen Sprache und gegen die Verachtung, die das Empire seinen Untertanen entgegenbrachte. Er befürwortet das „Ilbert Bill“, laut dem auch indische „Einheimische“ über ihre britischen „Herren“ zu Gericht sitzen können sollten.

Obwohl Müller niemals indischen Boden betreten hat, war sein Haus in Oxford ein Treffpunkt indischer Nationalisten und – gesellschaftlicher, politischer und religiöser – Reformer auf Besuch in England. Swami Vivekananda schwärmte in höchsten Tönen von seiner Reise. So wie auch Pratap Chunder Mazoomdar: „Das schattige Häuschen an den Norham Gardens war eine bekannte Pilgerstätte für alle Besucher aus dem Osten, die als Studenten, Geschäftsleute oder Reisende nach England kamen...“

Es war ein Treffpunkt auf neutralem Boden. Dort konnten Inder über ihr Streben nach autonomen Institutionen debattieren, beispielsweise durch die Ausweitung der Befugnisse der indischen Legislativräte. Müller zögerte nicht, seine guten Kontakte – ob zu Queen Victoria oder Premier Gladstone – zur Unterstützung der indischen Sache zu nutzen, beispielsweise als er sich für die unverzügliche Freilassung des Sanskrit-Gelehrten Lokmanya Tilak einsetzte.

Brücken bauen

Max Müller starb als berühmter Mann. Im heutigen Sprachgebrauch würde man ihn als „Influencer“ bezeichnen. Die Weltpresse, von Amerika bis Japan, berichtete über ihn. Leider haben seine Ideen nicht überdauert. In meiner Zeit als Student der indischen Philosophie am St. Stephen’s College war Müller nicht Teil unseres Lehrplans. Während meines Philosophiestudiums in Oxford lasen wir Kant und Leibniz (Müller und Leibniz besuchten in ihrer Kindheit dieselbe Schule), aber nicht Müller.

Ranjit Nair kommentiert dies in seinem Vorwort zu Müllers Sammlung von Vorlesungen an der Universität Cambridge, Indien in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung, wie folgt:

Die eigenartige Mischung aus Sprachenwissenschaften und Romantik, die den indologischen Diskurs in Europa mit Müller als einer seiner Leitfiguren bestimmte, ist in die Kritik geraten... Der Trost, den dieses Buch Generationen von Inderinnen und Indern in Zeiten der Kolonialherrschaft schenkte, ist nicht länger notwendig. Und auch für das europäische Selbstverständnis sind die Abhandlungen nicht besonders wertvoll, wenn sie es denn jemals waren. Doch über das anhaltende Interesse dieses Werks, das so offen von den kulturellen Ängsten unserer Vorfahren gesprochen hat, besteht keinerlei Zweifel.

In Indien erleben wir heute zweifellos eine Zeit der kulturellen Wiederbelebung – der Wiederbelebung des Hinduismus -, in der es keinen Platz für Ängste gibt, sondern nur für Zuversicht. Doch könnte diese neugefundene „Zuversicht“ nicht ein erneuter Ausdruck derselben alten Ängste sein? In dieser Hinsicht ist Müller noch immer relevant.

Die Ideengeschichte ist eine Geschichte von Ideen, die in Mode sind und aus der Mode kommen. Wie zum Beispiel Müllers erste Liebe, die Sprachwissenschaften, die schließlich in einem Prestigekampf mit den Naturwissenschaften unterging. James Turner schreibt dazu in Philology: The Forgotten Origins of the Modern Humanities (2014):

Bevor die Naturwissenschaften sie im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts von ihrem Thron stießen, boten die Sprachwissenschaften das vermutlich einflussreichste Lernmodell. Die überwältigende Strahlkraft der Philologie als Paradigma des Wissens ist heute weitaus weniger bekannt als die vergleichbare Wirkungskraft der Naturwissenschaften – denn die Naturwissenschaften haben gewonnen und die Sprachwissenschaften haben verloren. Sieger verwischen oft die Spuren der Besiegten.

Wie dem auch sei, Müller lag es immer ganz besonders am Herzen, das gegenseitige Verständnis zu fördern und Brücken zwischen Nationen und Kulturen zu bauen. Seine Lehre stößt nach wie vor auf Resonanz in der heutigen Welt, die immer häufiger von Kriegen erschüttert wird, ob zwischen Russland und der Ukraine oder Israel und Palästina. Müller lehrt uns, dass unsere Gemeinsamkeiten weitaus wichtiger sind und das überwinden, was uns trennt. Wir sind, wenn man es so sagen will, aus demselben „Holz“ geschnitzt.

Der Vorwurf, er sei ein Handlanger der East India Company gewesen, ist falsch. Doch es stimmt, dass die Ostindien-Kompanie und die Oxford University Press Max Müller mit dem Zugang zu ihren Archiven sowie finanziell unterstützt haben. Immerhin hatte er sich keine leichte Aufgabe gestellt: Müller widmete ein Viertel seines Lebens der Veröffentlichung einer kritischen Ausgabe des Rig-Veda in sechs Bänden. So war sogar die gaunerhafte Kompanie zu etwas gut gewesen.

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