Sprechstunde – die Sprachkolumne
Rap hab ich schon länger als meine Tage
So viele Interviews, so oft die falschen Fragen. Taiga Trece mag nicht darüber spekulieren, ob Frauen es im Rap-Business schwer haben. Spannender ist doch, was Rap mit ihr persönlich gemacht hat – weshalb sie hier auf diese nie gestellte Frage antwortet.
Von Taiga Trece
Wie geht es dir? Gut, und dir? Gut. Danke.
Ein floskelhaftes Hin und Her, das bei mir die gleichen Gefühle auslöst wie die immer wieder gestellte Interviewfrage: Ist es schwer als Frau im Rap-Business?
Ich empfinde meine Merchandise-Kiste und meinen Koffer als schwer, wenn ich auf Tour bin. Und ich habe nichts dagegen, mir diese von einem der vielen Jungs tragen zu lassen, die bei der Tour dabei sind. Aber ob es schwer ist, als Frau Rapperin zu sein? Ähm, keine Ahnung. Woher soll ich das wissen, wenn ich noch nie in einer anderen Position war?
Schlechte und gute Interviews
– Seit wann rappst du?– Seit ich 9 bin.
– Wie bist du zum Rap gekommen?
– Über Radio und MTV.
Man merkt an der Knappheit meiner Antwort, dass mich das Interview langweilt. Ich werde es sicher nicht in den Social-Media-Kanälen reposten oder promoten. Ein bisschen Kreativität muss man schon aufbringen, wenn man mit einer Rapperin spricht. Etwas, dass die interviewte Person fordert und den Text der lesenden Person schmackhaft macht. Wer isst schon gern verkochte Spaghetti?
Ein gut geführtes Interview basiert auf Interesse und der Kunst des Zuhörens. Wenn es die Interviewer*innen dann noch schaffen, auf die Antworten einzugehen, entsteht ein Dialog. Definitiv sollte ein Interview keinem Verhör-Setting ähneln, wo eine Person fragt und die andere antwortet. Je offener Fragen gestellt werden, umso spannender sind oft die Geschichten dahinter.
Noch nie hörte ich die Frage: Was hat Rap mit dir gemacht? Ich möchte deswegen gern meine persönliche Geschichte mit dem Hiphop erzählen, wenn ich mir schon meine Fragen selber stelle.
Welche Bedeutung hat die Geschlechterrolle?
Je älter ich wurde, desto bewusster wurde mir der Fakt, dass ich ein Mädchen bin. Je mehr ich heranwuchs, desto mehr merkte ich, wie unterschiedlich die Rollenmuster waren. Deswegen geht es nicht darum, ob es im Rap schwerer oder leichter für das weibliche Geschlecht ist, sondern ob Frauen es im Leben allgemein schwerer haben.Hast du dir als Kind je intensiv Gedanken um dein Geschlecht und um deine gesellschaftliche Rolle gemacht? Wahrscheinlich nicht, denn die gesellschaftlichen Rollen zu erfassen, ist eine Lebensaufgabe. Geschlechterrollen sind ein anerzogenes Problem und somit Thema der Erwachsenen, nicht der Kinder.
Wie so vieles in jungen Jahren, musste ich mir auch die Hip-Hop-Lizenz erkämpfen. Das Zuhause, in dem ich aufwuchs, hörte lateinamerikanische Musik, Rock und Blues, Folk-Musik. Wenn ich das Radio aufdrehte, wurde es schnell ausgemacht. Meine Kassetten wurden auf fünf Minuten Hörzeit beschränkt, denn die Erwachsenen aus meinem Umfeld empfanden den Sound als aggressiv, obszön – vor allem aber klang für sie alles gleich.
In den Texten hörten sie das N-Wort, Geschichten über Freier, die sich Zuhälter nannten und über Männer, bei denen Bitches oder Prostituierte im Backstage auf den Knien saßen. Für meine Althippie-Eltern mit ihrer freiheitsliebenden Einstellung unter dem Motto „Wir sind eine Welt“ und Peace & Love, war das menschenverachtende Musik – wenig gehaltvoll.
Für mich war Hip-Hop jedoch eine Offenbarung. Ich lernte Weltanschauungen, Geschichte und Mentalitätsunterschiede besser verstehen. Musik, die meine Emotionen in Sprache verwandelte. Es war erfrischend und wahrhaftig, das gesprochene Wort in all seiner Tragweite zu hören.
Ich stand kurz vor meiner Pubertät, die bei mir sehr früh einsetzte. Auf sehr anschauliche und direkte Art und Weise hat mir Rap die Welt erklärt und, das, was mich beschäftigte.
Durch den Song Always Ultra von TicTacToe, erfuhr ich, dass es ganz normal ist, dass Mädchen Stimmungsschwankungen ausgesetzt sind, wenn sie ihre Tage bekommen. Der Song Ja, Klar von Schwester S machte mir klar, dass ich mir nicht alles von Männern gefallen lassen sollte, nur weil die auf mich standen. Damals rappte Lill Kim und heute rappt Cardi B darüber, dass auch Frauen Oralverkehr einfordern können. Rap von Frauen behandelt Themen aus Frauen(körper)sicht – gerade wenn es um Sexualität geht, ist das wichtig für junge Mädels.
Rap war mein Dr.-Sommer-Team, das Aufklärungsarbeit leistete, wo die Schule oder das familiäre Umfeld versagten. Und auch 2022 ist dies entscheidend für das Leben einer Frau.
Rap hat mich aufgeklärt
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hat mich Hip-Hop eher maskulin aufgeklärt und männlich sozialisiert. Als ich dann nach Mexiko zog, wurde dies sogar bestärkt. In Deutschland war zu der Zeit weißer Rap Mainstream, und der Gangsterrap stand noch ganz am Anfang.Ich befand mich zwischen den Fronten (zwischen „being a badass“ oder einer „down-ass bitch“). Hip-Hop heißt also wohl auch, Ambivalenz zu leben, denn so wie mir Rap mein Rollenbild als Frau beigebracht hat, so hat mir Rap auch die Eierstöcke in die Hand gegeben, dagegen zu rebellieren.
Heute kann ich sagen, dass es eine Auswirkung hat, was Texte vermitteln. Was wir idealisieren, beeinflusst die persönliche Entwicklung. Was wir cool finden, prägt unser Denken. Das nachzuahmen und zu integrieren, ist ein häufiger Side-Effekt von Musik. Deswegen finde ich es umso wichtiger, gezielt Mädchen anzusprechen.
Und obwohl ich nicht die Rapperin bin, die Feminismus auf jedes T-Shirt schreibt, und jedes Interview unter dieses Vorzeichen stellt, so unterstütze ich den feministischen Ansatz sehr. Aufgrund meiner Erfahrung bin ich heute Fempowerment Coach und arbeite auf anderer Ebene mit jungen Frauen und Mädchen, indem ich ihnen über persönliches Coaching, Stimm- und Schreibarbeit neues Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und Selbstakzeptanz mit auf den Weg gebe. Das ist es, was wir alle wirklich brauchen.
Hip-Hop hat mich geprägt, auch in meiner Rolle als Frau.
Sprechstunde – Die Sprachkolumne
In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.