© Line Krom
Staub und Dreck in den Archiven des NCBS
Während meines Künstleraufenthalts bin ich oft gefragt worden, wie es dazu kam, mit Staub als künstlerischem Medium zu arbeiten. Die Gründe sind vielschichtig, daher gebe ich meist die einfachste Antwort: Ich bekomme das Material umsonst. Dann gebe ich einen kurzen Überblick über die wirtschaftlichen Gründe: schlechte Bezahlung im Kunstbetrieb. Meine knappe Antwort befriedigt die Neugierde der Meisten. Aber nicht alle Gründe haben einen ökonomischen Ursprung.
Als bildende Künstlerin interessiert mich das, was ich sehe, die Beschaffenheit eines Materials, mit dem ich arbeiten kann, und auch das Potenzial dessen, was ein Material für mich bedeuten könnte, Material als Metapher. Seit einiger Zeit sammle ich Staub aus Museen. Ich verarbeite diesen Staub zu Pigmenten und male mit ihnen. Die Idee dahinter ist, eine Art Pantone-Farbpalette der verschiedenen Museen zu erstellen. Die Farben des Staubes unterscheiden sich voneinander. So wird schnell klar, dass die Museen und auch einzelne Räume unterschiedliche Farbcodes haben. Staub ist ein Fingerabdruck der Architektur und der Menschen, die sich dort aufhalten.
Doch Staub ist mehr als das Material selbst. Er ist eine Metapher für das Alltägliche, das Gemeine und für alle möglichen Assoziationen, die mit dem Schmutz, der sich im Alltag ansammelt, verbunden sind. Der Schmutz, sowohl das All-gemeine als auch die Gemein-heit, ist das, was man am liebsten unter den Teppich kehrt, um es vor den Augen der anderen zu verbergen.
Die Perspektive, aus der ich spreche, und damit auch meine Forschung ist stark von meinen deutschen Hintergrund geprägt, da ich mit dieser Kultur am Besten vertraut bin. Eine kulturelle Nahaufnahme offenbart nicht nur Wissen über Staub, Schmutz und Reinlichkeit aus der deutschen Perspektive, sondern weist auch universelle Konstanten auf, wie ich in meinen Begegnungen und Diskussionen in Bangalore erfahren habe. Die Abneigung gegen Schmutz im Allgemeinen und psychologische Manifestationen, die sich um Schmutz drehen dienen oftmals für irrationale Rechtfertigungen für soziale Ausgrenzung.
Alltag im NCBS
Während meines Aufenthalts lebte und arbeitete ich im National Centre for Biological Sciences (NCBS). Auf dem Campus wird auf den ersten Blick deutlich: Sauberkeit und Ordnung sind zentrale Elemente, die das Leben auf dem Campus strukturieren. Der Kontrast zwischen dem Campus und der Millionenmetropole Bangalore ist enorm. Besucher*innen, die die Anlage betreten, beschreiben ihre Erfahrung als Eintritt in eine Oase. Ein Ort, an dem sie buchstäblich tief durchatmen können, weil die Luft im Vergleich zur Stadt kaum Staub enthält. Dieser Kontrast zeigt, dass die Umgebung an der NCBS nicht natürlich ist, obwohl sie natürlich zu sein scheint.
© Line Krom
Sauberkeit mehr als nur Hygieneprotokolle - Sauberkeit als Symbol
Das NCBS ist eine wissenschaftliche Einrichtung und gleichzeitig eine Gated Community. Der Campus ist von einer Mauer und zahlreichen Wachen umgeben, die rund um die Uhr im Einsatz sind. Der Zutritt ist nur für Mitarbeitende oder Besucher*innen nach vorheriger Anmeldung möglich. Der Zugang zum Gelände ist also reglementiert, und es findet relativ wenig Interaktion mit der Außenwelt statt.
Die Archive im NCBS
Während meines Aufenthalts erfuhr ich, dass die Sorge der Archivar*in der Stillstand ist. Man ist ständig in Sorge, dass wertvolle Dokumente und Gegenstände in Vergessenheit geraten könnten. Wer rastet, der rostet, oder anders ausgedrückt: Auf allem, was nicht regelmäßig benutzt wird, setzt sich Staub ab. - In den Archiven des NCBS scheint alles immer in Bewegung zu sein. Ein erster Aspekt, der mir bei meinem ersten Besuch im Archiv ins Auge fällt, ist die Klimaanlage. Im Depot des Archives befinden sich zwei Klimageräte, die den Raum abwechselnd von verschiedenen Seiten klimatisieren, indem sie die Luft im Raum umwälzen umso im tropischen Klima Schimmelbildung zu verhindern. Die Klimaanlage ist unmittelbar mit einem Wartungsteam verbunden, so dass sie im Falle einer Störung innerhalb kurzer Zeit repariert werden kann.
Um den Staub, diese kleinen Inseln des Vergessens, in den Archiven des NCBS zu finden, ist eine Menge Spürsinn erforderlich. Und ja, es gibt sie, die Randzonen, die Grenzbereiche, die architektonischen toten Winkel. Es gibt Versorgungsschächte, Ungezieferfallen - klebrige Sticer auf dem Boden, dort hauchen Ameisen oder kleine Eidechsen ihren letzten Atemzug aus. Archivboxen, in denen sich ein wenig verrottende Zellulose auf dem Boden absetzt. Selbst die an der Wand hängenden Fliegenzeichnungen aus der Sammlung von K. S. Krishnan's Office sind nicht sicher vor meinem Versuch, Staub zu finden. Ich finde dort ein paar Spinnweben. Aber letztendlich ist meine Ausbeute nicht der Rede wert, so gering ist sie. Damit bestätigt sich die Prophezeiung meiner Kolleg*innen, die mir mit einem Lächeln auf den Lippen vorschlagen, in anderen Archiven nach Hypnos, dem griechischen Gott des Schlafes und des Vergessens, zu suchen.
© Line Krom
Staub finden oder nicht? Wie sieht es an anderen Orten auf dem Campus aus? Das Elektronenmikroskop
Auf dem Flur müssen die Straßenschuhe ausgezogen und in einen Schuhschrank gesperrt werden. Man erhält Flip-Flops, die nur im Labor getragen werden. Der Arbeitsraum ist mit einer Lüftungsanlage ausgestattet, die die Luft ständig in Bewegung hält. Das Elektronenmikroskop selbst ist in einem zweiten Raum untergebracht. Auch hier gibt es eine Lüftungs- und Klimaanlage, die die Temperaturen sehr niedrig hält, da das Elektronenmikroskop sehr heiß wird. Die Tür zum Arbeitsraum wird so oft wie möglich geschlossen gehalten, um das Eindringen von Staub zu minimieren. Die Computer sind zumindest auf einer Seite mit einer Plastikfolie versiegelt, um sie vor Staub zu schützen. Das Elektronenmikroskop wird im Vakuum betrieben, und auch die Proben werden in Vakuumbehältern gelagert.
Ausnahmen bestätigen die Regel - nicht jeder Ort ist gegen Eindringlinge gesichert
Die Türen zu den einzelnen Gebäuden sind offen. Die Gebäude selbst laden mit ihren zahlreichen großen Fensteröffnungen, Durchbrüchen, Innenhöfen und Atrien ein den weitläufigen Landschaftsgarten zu genießen. Sie laden nicht nur die Menschen zum Spiel zwischen drinnen und draußen ein, auch zahlreiche Tiere fühlen sich auf dem Campus wohl. Das liegt an der unmittelbaren Nachbarschaft zum landwirtschaftlichen Campus des GVKV, einigen unbebauten Freiflächen und einem kleinen Dschungel, der an den Campus des NCBS grenzt. Hier gibt es auch ein Warnschild, dass vermehrt Schlangen gesichtet wurden. Auffällig ist die große Anzahl verschiedener Vögel, Fledermäuse, Libellen, Eidechsen und Kröten, die sich immer wieder in die Gebäude verirren. Natürlich gibt es auch Kulturfolger wie Tauben, Mäuse, Ratten - und streunende Katzen, die nicht direkt gefüttert werden, sondern sich abends von den Essensresten in der Kantine ernähren. Sie bringen auch ihren Nachwuchs mit in die Gebäude, denn dort ist es wärmer, vor allem nachts.
© Line Krom
Das Archiv - eine staubfreie Zone, aber ein posthumanes Archiv!
Während meines Aufenthalts am NCBS habe ich gelernt, dass der Begriff Kultur nicht nur das menschliche Zusammenleben beschreibt, sondern auch auf Bakterien angewendet werden kann. Indem ich das Konzept der Kultur auf nicht-menschliches Leben ausdehnte, keimten in mir neue Fragen auf. Was, wenn das Archiv selbst von verschiedenen Nutzern verwendet wird oder ihnen als Lebensraum dient? Was könnte aus dem weggeworfenen Material des Archivs, dem Staub und dem Schutt, wachsen? Kurzum, ein Perspektivwechsel auf ein Archiv, das mehr als nur Menschen als Nutzer*innen dient, hat mich neugierig gemacht. In diesem Sinne bin ich zwei Aspekten nachgegangen: der Suche nach den lebendigen und den unbelebten Akteuren im Post-Humanen Archiv.
Das Archiv als Lebensraum
Meine bakteriellen Kulturen stammen aus den Archiven. Ich habe sie auf Alltagsgegenständen gefunden, insbesondere auf der Eingangstür. Zeitgenössische Kulturen sozusagen. Aber ich habe auch aus Erinnerungsstücken, Artefakten aus der Sammlung "Artefacts Obaid Siddiqi" gesammelt. Hintergrund dafür war die Überlegung, dass die Spuren, die wir an einem Ort hinterlassen, unsere Anwesenheit dort überdauern.
Das nachhaltige Archiv
Gemeinsam mit Aditi Mishra habe ich aus dem überschüssigen Papier des Archives eine Papierbatterie entwickelt, um nachhaltige Energie im Archiv zu gewinnen. Während meines Aufenthalts hatte ich Zugang zu verschiedenen Bereichen des Archivs im NCBS und dem Campus des NCBS. In den Archiven arbeitete ich sowohl mit dem öffentlichen Bereich als auch im Depot. Durch die enge Zusammenarbeit mit dem Team von Mitarbeitenden, Gastwissenschaftler*innen und Gastkünstler*innen konnte ich verschiedene Perspektiven auf dem Staub in den Archiven kennen lernen. Mir stand der gesamte NCBS-Campus offen. Ich konnte die tägliche Routine der Wartungsarbeiten mitverfolgen (Facility Management, Kantine), lernte Bereiche kennen, in denen wissenschaftliche Mitarbeiter*innen forschen (Fly Kitchen) und hatte Wissenschaftler*innen, die mich bei meinen Staubexperimenten in den Laboren unterstützten.
© Line Krom
Innerhalb kürzester Zeit wurde ich mit einer Vielzahl von neuen Erfahrungen konfrontiert, die ich in meinem Arbeitsjournal „Dust and Debris in the Archives - A Working Journal“ zusammenfasste. Entstanden ist ein Künstlerinnenbuch das in den Archiven gesammelten Originalmaterialien enthält. Da es sich bei meinem Arbeitsjournal um ein von Hand zusammengestelltes Künstler*innenbuch handelt, existiert es nur in einer limitierten Auflage von 80 Exemplaren - ein Exemplar ist in den Regalen des Archivs im NCBS, eines im Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan Bangalore und ein weiteres in der Basis e.V. Frankfurt öffentlich zugänglich.
Das Material, das ich während meines Aufenthalts am NCBS gesammelt habe, wird nach meiner Rückkehr nach Deutschland weiter sortiert und ausgewertet. Ich möchte Archives at NCBS, insbesondere Venkat Srinivasan und Ravi Kumar Boyapati für ihre bedingungslose Unterstützung all meiner Ideen danken. Des Weiteren möchte ich dem Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan, Michael Heinst, Maureen Gonsalves und Riya Matthew, sowie Basis e.V. dafür danken, dass sie mir mir ermöglicht haben, ein neues Kapitel in meiner Forschung über Staub zu schreiben.