Ich gehe aus dem Flughafen und die Luftfeuchtigkeit umarmt mich wie eine lang Vermisste.
Gleich zu Anfang kommt es mir vor als ob alles eingenommen wird – Hauswände, Strassen, Boote, mein Körper, meine Haare. Im Laufe meines siebenwöchigen Aufenthalts in Kochi wird die Natur ihre Stärke noch offensiver präsentieren.
Direkt werde ich mit dem Biennale Team bekannt gemacht, für alles gibt es jemanden den ich anrufen kann. Ich merke schon jetzt, was sich später bestätigt: Man hat alle Freiheiten so zu arbeiten wie man will, und wenn man etwas braucht ist immer jemand da. Ich weiß natürlich noch gar nicht was ich fragen könnte also leihe ich mir von dem Hotel ein Fahrrad.
Es regnet nur ab und zu in den ersten zwei Wochen und ich radele, sehr gemütlich, die ganze Insel ab. Obwohl ich es erwartet hatte, ist es nicht penetrant laut. Für mich verschwimmt der Klang mit der Luftfeuchtigkeit. Wie ein durchgehender Teppich aus tausenden Geräuschen wabert er über der Stadt und scheint nicht aufzuhalten. Die Häuser sind von Mustern verziert, überall Ecken und Löcher. Und keine großen Flächen die den Sound stoppen oder gradlinig zurück schmeissen könnten. Die ‘Vermusterung’ des öffentlichen Lebens ( Muster: in Kleidung, Häusern, Pflanzen und Tieren, Alphabeten, Teppichen, überall!) wird einen starken Einfluss auf meine Arbeit haben.
© Lisa Premke
Die ersten Wochen treibe ich umher, wie ein Teil des Klangteppichs, fremd aber langsam Teil der Verschiedenheit werdend. Alles scheint mir voller Gegensätze, die im Alltag nicht konkurrieren. Ich kaufe neue Klamotten, meine sind zu kurz. Nachts jagen sich Flughunde und Krähen vor dem Hotel. Tagsüber liegen Hund, Katze und Ziege in gleicher Position, Vorderbeine überschlagen, im Schatten eines Baumes, Autos oder Bootes. Überall entspannte Tiere, ihre trägen Körper liegen im Gewusel der Straßenhektik und verlangsamen das Zeitgefühl.
Abends zurück im Atelier. Zwei indische Künstlerinnen haben ihre letzten Residence-Tage und bereiten die Open Studios vor. Im Pepper House ist ein stetiges Kommen und Gehen. Ich sitze im großen Atelier, schaue den Containerschiffen beim Parken zu und wie der Regen der an der Regenkette hinunter in die Erde sickert, gehe in den Comicworkshop im Nachbaratelier und höre mir Geschichten über Kochi an.
Plötzlich regnet es nur noch. Massen an Wasser kommen runter, die Dämme im Norden werden geöffnet und es kommt auch von unten. Unglaublicherweise bleibt die Insel weitestgehend verschont. In Ernakulum kann man die Verwüstung sehen, das Wasser steigt immer höher.
Ich lasse das Fahrrad im Hotel und laufe durch die Straßen. Fischer laden ihre Boote auf Lastwagen und fahren in die stark überfluteten Gebiete. Viele meiner Freunde – Rikschafahrer, Hotel-und Restaurantbesitzer, Büromenschen – fahren. Unberührt vom Schlimmsten scheint die ganze Insel zusammenzuarbeiten um zu helfen. Das Hotel bereitet jeden Tag Essen für die neuen Flüchtlingshallen in der Stadt zu. Ich bin der einzige Gast und es gibt zur Zeit kaum Möglichkeiten in die Stadt zu kommen. Der Flughafen ist geflutet, Fähren, Busse und Züge fahren nicht und die Lastwagen sind vollgeladen mit Hilfspaketen für die überfluteten Gebiete.
© Lisa Premke
Durch meine Spaziergänge komme ich noch mehr in Gespräche, sitze in Wohnzimmer und höre Geschichten, und sehe die Stadt mehr von Innen. Nachts, in Regenpausen, fahre ich mit einem Freund zu den Backwaters außerhalb der Stadt um das Quaken der riesigen Kröten aufzunehmen. Ich arbeite ab und zu im Biennale Office, das Pepper House ist für einige Tage zu.
Es entsteht eine Offenheit, der Monsoon reißt uns alle aus unseren Mustern.
Der Regen lässt endlich nach und ich verbringe mehr Zeit im Atelier. Wir sind jetzt drei Artists in Residence und es können auch wieder Workshops stattfinden.
Langsam drückt mein Projekt sich in den Vordergrund, alle Eindrücke finden zusammen. Ich fahre noch viel durch die Gegend, besuche Orte, werde fündig.
Während der Diskussion nach meiner Endpräsentation wird mir bewusst wie viel ich mitnehme, wie groß der Austausch war, obwohl ich nur einen Bruchteil gesehen habe. Ich freue mich darauf alles noch mal anders zu sehen.
© Lisa Premke
Singing Patterns, das Ergebnis von
Lisa Premkes bangaloREsidency@PepperHouse, wurde am 7-8 September 2018 im Pepper Haus gemeinsam mit einer Künstlerpräsentation vorgestellt.