Ihre skulpturalen Arbeiten und Installationen entstehen aus Fragestellungen, die Architektur und Alltagsgegenstände betreffen. Dabei hinterfragt sie die gesellschaftliche Rollenverteilung von Funktion und Dysfunktion, und stellt die Beziehung zwischen Menschen und gebauten Strukturen und deren wecheslseitiger Beeinflussung in den Vordergrund. Diese Beziehung entsteht durch Materialassoziationen und kulturell geprägten Sehgewohnheiten, welche in Havliceks Arbeiten aufgegriffen und verzerrt werden. Statische Elemente mit Flexibilität, Bewegung und Transformation aufzuladen, stellen zentrale inhaltliche Themen ihrer künstlerischen Praxis dar.
Sandra Havlicek interessiert sich für das Verhältnis von Bürgern und ihrer Metropole Bengaluru sowie deren gegenseitige Beeinflussung unter zunehmendem Einsatz von Technologie. Technologie, Architektur und Menschen bilden ein System inhaltlicher und formaler Beziehungen zueinander. Wie und wo diese Inhalte und Formen sichtbar werden plant Sandra Havlicek vor Ort zu untersuchen: die komplexe Verzahnung von Materialien, Gesten, Objekten und Symbolen, ebenso wie die Kommunikation und Misskommunikation dieser Elemente untereinander. Außerdem interessiert sich die Künstlerin für traditionelle Methoden des Häuserbauens aus Lehm, und dem aus der Zeit gefallenem Gefühl fähig zu sein, sich eine Unterkunft selber bauen zu können.
Nach meiner Kollision mit der Stadt Bangalore haben sich für mich mehr Fragen als Antworten aufgetan. Das ist wahnsinnig bereichernd. Eine Erfahrung, die mich vor Ort jeden Tag mit Eindrücken gefüttert hat, bis zum platzen - genügend Material an dem ich mich noch lange abarbeiten kann.
Ich bin ohne konkretes Projekt in Bangalore angereist, da ich mich an Ort und Stelle mit Materialen der Stadt und Zusammenhängen der Stadt-Mensch Beziehung auseinander setzen wollte.
Lediglich eine konkrete Sache hatte ich im Vorfeld recherchiert, nämlich dass es innerhalb der indischen Architekturszene eine Auseinandersetzung mit ökologischer Bauweise anhand traditioneller Bautechniken mit Lehm gibt, die in Hands-On Workshops vermittelt werden. Mit der Aussicht auf zwei Monate Aufenthalt in einer pulsierenden Stadt wie Bangalore, fand ich es eine gute Idee mir so im Vorfeld die Möglichkeit zu schaffen, meine Hände zwischendurch in Lehm graben zu können.
Nach einer guten Woche Crashkurs Bangalore: im Verkehr überleben, diese Essen ok - dieses Essen no no, was kostet wieviel, es gibt keinen Platz zum verweilen außer in den eigenen vier Wänden, die Tiere auf der Straße, das Müllproblem, das Wasserproblem, die Stromleitungen vor denen man sich fürchtet, der konstante Lärm - konstant!, die Huperei, wie komme ich von A nach B und vor allem wann ist die Beste Zeit sich in Bewegung zu setzen, der Staub, das Tempo, der Flow im Chaos, die verrückten Geschmäcker…. ich bin angekommen und fühle mich irre gut. Ich will mehr von dieser Stadt.
Pause. Ich unterbreche den Stadtaufenthalt für den Wochenendworkshop von Masons Ink Studio (Planungs- und Konstruktionsbüro aus Bangalore) in Kozhikode (Südwestküste). Wir mischen verschiedene Rezepturen von Lehm an, zur Herstellung von Ziegeln oder zum verputzen von unterschiedlichen Untergründen. Wir stellen selber Kalkputz her, aus gebrannten Muscheln, die durch Zugabe von Wasser chemisch exotherm reagieren und je nach weiteren Zuschlagstoffen bekommt der Kalkputz unterschiedliche Konsistenzen.
Es macht Spaß bei 35° im Schatten physisch zu arbeiten und schweißgebadet über Einsatzmöglichkeiten von nachhaltige Materialien im Bauwesen zu lernen. Ich fühle mich als einzige Künstlerin unter all den anderen Workshop Teilnehmenden die ausschließlich Architekturstudenten sind dennoch etwas fremd und merke, dass ich die Auseinandersetzung mit der Stadt so wie sie jetzt ist vermisse.
Zurück in Bangalore schmeiße ich mich wieder in die Straßen. Die Stadt verursacht eine anhaltende Spannung die mich anzieht und verwirrt, ebenso die Anstrengung sich durch die Stadt zu bewegen. Wie das undurchdringbar Gefüge zusammenhält wird zu meiner täglichen Frage. Mein Mantra.
Bangalore ist wegen des IT Sektors schwindelerregend schnell gewachsen (Bangalore zählt zu den am schnellst wachsenden Städten der Welt), die Infrastruktur kommt da nicht annähernd hinterher und die Stadt platzt aus allen Nähten. INDIA TODAY stellt in einem Artikel die Frage nach dem Kollaps. Der Begriff lässt mich nicht los und entlockt mir wilde MadMax Phantasien. Die Stadt als Fragiles Gleichgewicht, als Sehnsuchtsort, als Versprechen, als Fluch, als konstante Improvisation und Umgestaltung, als erdrückende Kraft mit toxischem Ausmaß und als Spielplatz aller Möglichkeiten, interessiert mich brennend. Ich will diese Zustände bildhauerisch aufgreifen.
Visuell beeindruckend waren für mich, jeden Tag auf’s neue die unglaubliche Dichte des Verkehrs und die Präsenz von Schreinen, sie sind überall in jeglichem Format. Verkehr und Gebetsstätten sind physische Erfahrungen denen ich mich nicht entziehen kann. Die Schreine sind omnipräsent, Rituale und Gebete der gelebte Alltag. Sie definieren den öffentlichen Raum und das Puja (Ritual) die zeitlichen Abläufe auf den Straßen. Die Straßen sind voll von Helmen. Der scooter: das letzte Versprechen einer autonomen Mobilität. Ich entwickle eine Obsession zu dem Helm als Readymade, als Symbol der menschlichen Verwundbarkeit im selbstgebauten Nest.
Ich leihe mir ein Buch von meinem Host MOD Institute, „The Sacred and the Public“, eine Einordnung der Ashwath Katte (Schreine die um heilige Bäume gebaut werden) als städtebauliches Element das den öffentlichen Raum durch die Anwohner selbst gestaltet. Ich besuche verschiedene Ashwath Katte und betrachte die Anhäufung der Naga, die sieben- oder fünfköpfige Schlange und denke über Stadtentwicklung nach und wie sehr wir von unserer gebauten Umgebung geprägt sind. Das Symbol der Schlange hat im Hinduismus komplexe Bedeutungen. Sie ist keine gefährliche Kreatur sondern eine Gottheit die sowohl Materielles, Leben und Tod sowie Zeit und Zeitlosigkeit repräsentiert. Außerdem die drei Erschaffungsprinzipien: Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung.
Ich kaufe mir einen Motorradhelm.
Ich beginne an Skizzen und Texten zu arbeiten. Ich bleibe weiter Schwamm und sauge auf was mir die Stadt zu bieten hat: wie Tiere und Menschen zusammen leben. Die Hunde, die Kühe, die Raben, die vielen anderen Vögel, die Ratten, die Streifenhörnchen und Ziegen. Die Spezialisierungen der Geschäfte. Überhaupt nicht spezialisierte Geschäfte. Politische Stimmungen. Ich esse alles und von allem zu viel. Höre Geschichten aus dem Alltag von Frauen. Treffe Künstler. Tanze auf Dächern. Ich fahre Metro, Taxi, Rickshaw, Scooter und laufe. Bis in die Electronic City schaffe ich es leider nicht mehr.
In der Ausstellung „Regarding the City“ in 1Shanti Road habe ich die Ergebnisse meiner Auseinandersetzung ausgestellt. Zwei Skulpturen ein gefundenes readymade und ein Text sind der ausgekochte Sud meines zweimonatigen Aufenthalts in Bangalore. Zum Glück ist nichts abgeschlossen. Eine zweite Reise ist sehr wahrscheinlich.