Kunst Kiosk, ein mehrjähriges Projekt des Goethe-Instituts Kolkata, zielt darauf, einem kunstinteressierten Publikum Zugang zu relevanten Ansätzen und Trends in der zeitgenössischen Kunst aus Deutschland und Indien seit zu ermöglichen. In einer Reihe wechselnder Präsentationen bieten exemplarische künstlerische Arbeiten auf konzentriertem Raum Gelegenheit, unterschiedlichste inhaltliche und formale Facetten des vielfältigen künstlerischen Schaffens seit den 1960er Jahren in beiden Ländern zu erkunden. Der Fokus liegt dabei auf Arbeiten, die Bewegtbilder nutzen und als originale Werke auf Bildschirmen betrachtet werden können.
Gezeigt werden diese Präsentationen in einer eigens dafür entwickelten ortsbezogenen künstlerischen Installation mit dem Titel „Grounded Grid: Encounter of Circles“, geschaffen von dem bekannten Künstler und Kunstvermittler Sanchayan Ghosh. Seine sphärenartige Struktur im Foyer des Goethe-Instituts Kolkata bietet zwei bis drei Betrachter*innen gleichzeitig Raum. Auf drei Bildschirmen werden bis zu zehn Kunstwerke im Wechsel präsentiert; diese können aber seitens der Besucher*innen auch individuell ausgewählt und betrachtet werden, quasi wie in einem temporären Mini-Archiv.
Astrid Wege
Institutsleiterin, Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan Kolkata
GROUNDED GRID: ENCOUNTER OF CIRCLES
„Grounded Grid: Encounter of Circles“ ist eine multimediale künstlerisch-architektonische Installation im Empfangsbereich des Goethe-Instituts Kolkata, die als interdisziplinärer und pädagogischer Ausstellungsort dient. Die Installation besteht aus konvergierenden und divergierenden Kreisen, geschaffen aus natürlichen und industriellen Materialien, die eine materielle Begegnung zwischen dem Ländlichen und dem Industriellen suggerieren. Die Installation versucht, das Zusammentreffen verschiedener Traditionen der visuellen Kultur seit dem Zweiten Weltkrieg bis in die postindustrielle Zeit zu kartografieren und zeichnet diese als eine Collage von Ideen und Ereignissen, die die zeitgenössische Kunst aus lokaler wie globaler Perspektive beleuchten. Die Installation erkundet exemplarisch verschiedene Bildkulturen im Zeitalter der mechanischen Reproduktion und performativer Live-Praktiken sowie den Einfluss der Medien auf die Entwicklung visueller Kunstpraktiken in Indien und Deutschland.
Die Präsentation von filmischen Arbeiten aus Indien in der von Sanchayan Ghosh konzipierten Rauminstallation „Grounded Grid: Encounter of Circles“, wird begleitet durch eine Auswahl exemplarischer Videoarbeiten aus Deutschland, die überwiegend in den 1960er und 1970er Jahren entstanden. Diese Auswahl, der erste Teil eines insgesamt zweijährigen Programms, stützt sich auf das zweiteilige, umfangreiche Forschungsprojekt „40 Jahre Videokunst“ (2006) und „Record Again! 40 Jahre Videokunst, Teil 2“ (2010), das die Geschichte des Bewegtbildes in Deutschland aufgearbeitet und in Form von DVD-Archiveditionen zugänglich gemacht hat. Mit Bettina Gruber/Maria Vedder, Marcel Odenbach, Ulrike Rosenbach, Katharina Sieverding, Wolf Vostell und Ursula Wevers werden in Exkurs: Videokunst aus Deutschland mehrere wegweisende Vertreter*innen der Videokunst mit charakteristischen, zumeist kurzen Arbeiten vorgestellt.
Das Video-Tape war Ende der 1960er Jahre eine neue Technologie, die besonders von Künstlerinnen frühzeitig intensiv genutzt wurde. Dieser Tatsache wird dadurch Rechnung getragen, dass die Mehrzahl der hier gezeigten Arbeiten von Künstlerinnen produziert wurde. Tatsächlich ist der medienunspezifische Oberbegriff „Bewegtbild‟ treffender, da in einigen Arbeiten unterschiedliche Medien (TV-Bilder, 16 mm-Film, nachträgliche digitale Bearbeitung etc.) zum Einsatz kommen und konvergieren. Analog zu dieser technologischen Vielfalt soll die vorliegende Auswahl auch ein möglichst breites ästhetisches und inhaltliches Spektrum künstlerischer Herangehensweisen vermitteln: erzählerische und analytische, poetische und politische, medien- und gesellschaftskritische Aspekte nehmen in den Arbeiten jeweils unterschiedlichen Raum ein und verbinden sich häufig miteinander. Gemeinsam ist allen Arbeiten, dass in ihnen die verbale Sprache eine untergeordnete Rolle spielt. Sie setzen vor allem auf die kommunikativen Möglichkeiten verschiedener Bildsprachen und damit auch auf transnationale Lesarten.
Dr. Barbara Hess
Kuratorin
PÄDAGOGIK ALS FREIER AUSDRUCK: DAS PERSÖNLICHE ALS DAS POLITISCHE ZURÜCKGEWINNEN
Als ein sich stets wandelnder öffentlicher Raum dient der Kunst Kiosk als kritisches Forum des zeitgenössischen Diskurses über neue Ansätze in der Kunstpraxis in Indien und Deutschland. In der ersten Phase von Kunst Kiosk werden aus indischer Perspektive verschiedene Experimente und Erkundungen von Video als Werkzeug in der visuellen Kunstpraxis nachgezeichnet. Ziel ist es, diese künstlerischen Unternehmungen zu kontextualisieren, um die sich verändernden Realitäten und Werkzeuge im Medienzeitalter und ihre Auswirkungen auf die individuelle Identität zu untersuchen und die Trends aus indischer Perspektive zu archivieren. Phase #1 umfasst Arbeiten von Künstler*innen wie Ratnabali Kant, Shakuntala Kulkarni, Surekha und Sonia Khurana, die die Videokamera als unmittelbares Werkzeug einsetzten, um Konzepte wie Performance, Ritual, Blick und öffentliches Engagement zu untersuchen. Außerdem wird ein Dokumentarfilm von Suman Mukhopadhay über Badal Sircar zu sehen sein, der den Körper in den 1970er Jahren zu einem zentralen Thema machte. Schließlich werden digitale Fotografien von Werken von Nalini Malini, Rumana Hussain und Vivan Sundaram gezeigt, die Pionierarbeit bei der Einführung der erwähnten Ansätze in die zeitgenössische indische Kunst geleistet haben.
Sanchayan Ghosh
Künstler und Kurator
KUNSTWERKE – KUNST KIOSK #1
DEUTSCHLAND
1963, 5' 15'', b/w, mono
Wolf Vostells (1932–1998) „Sun in your head“ (1963) beruht auf manipulierten, absichtlich verzerrten und schnell geschnittenen Fernsehbildern, die der Kameramann Edo Jansen nach Anweisungen des Künstlers vom Bildschirm abfilmte: Aufnahmen des damaligen amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy, Fernsehansagerinnen, eine Militärparade, Treffen von Politikern, Spielfilmmomente und abstrakte, malerisch wirkende Verwischungen. Laut Abspann entstanden die Aufnahmen 1963 in Köln, 1967 wurde die Arbeit neu geschnitten und auf Videomaterial kopiert.
Vostell, der seit Anfang der 1960er Jahre zu den Akteuren der internationalen Fluxus-Bewegung gehörte, wandte hier zum ersten Mal sein künstlerisches Verfahren der „dé-coll/age‟ auf das Massenmedium Fernsehen an. Der Begriff „dé-coll/age‟ geht unter anderem zurück auf die künstlerische Bewegung der französischen Nouveaux Réalistes, die Ende der 1950er Jahre abgerissene Werbeplakate aus dem öffentlichen Stadtraum zu Tafelbildern verarbeiteten. Vostell spielte allerdings mit der Mehrdeutigkeit des Wortes „décollage‟, das auch das Abheben eines Flugzeugs bezeichnet.
Der kurz eingeblendete, selbstironische Hinweis in englischer Sprache „Silence please! You are in the presence of a Genius at work” wird konterkariert durch den durchgehenden Sirenenton, mit dem der gesamte Film unterlegt ist. Inhaltlich korrespondiert dieser Warnton mit den Aufnahmen eines Flugzeugs der U.S. Air Force, die die zweite Hälfte der Laufzeit dominieren. Dem Technikoptimismus und der Verdrängung der Verbrechen des Nationalsozialismus, die in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft vorherrschten, setzte Vostell komplexe, schwer rezipierbare Bilder entgegen. Nicht zuletzt wirft „Sun in your head“ die Frage auf, inwieweit das öffentlich-rechtliche Massenmedium Fernsehen in Deutschland Anfang der 1960er Jahre seinem staatlichen Auftrag, zu unterhalten, zu informieren und zu bilden, tatsächlich nachkam.
1969, 35', 16 mm-Film, übertragen auf Digitalvideo
In Zusammenarbeit mit: Stephan Runge
Ton: Kraftwerk
Darsteller*innen: Katharina Sieverding, Stephan Runge, Holger Bombusch, Othello
Katharina Sieverding (*1941 in Prag) wurde international bekannt durch ikonische Close-ups ihres Gesichts und durch Großfotos, die sie Mitte der 1970er Jahre als eine der Ersten in die bildende Kunst einführte. Ihre frühe filmische Arbeit „Life-Death“ (1969) markiert eine Wende in ihrer Laufbahn. An der Kunstakademie Düsseldorf studierte Sieverding ab 1964 zuerst Bühnenbild bei Teo Otto; 1967 wechselte sie in die Klasse von Joseph Beuys. Auslöser war ein einschneidendes Ereignis der deutschen Nachkriegsgeschichte: Bei einer Berliner Demonstration gegen den Staatsbesuch des persischen Schahs, Mohammad Reza Pahlavi, wurde der Student Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 von einem Polizisten erschossen. Dies führte zur bundesweiten Ausbreitung der Studentenbewegung; Beuys gründete aus Protest gegen die Berliner Polizeigewalt die pazifistische Deutsche Studentenpartei (DSP).
Die Aufnahmen zu Life-Death entstanden 1969 in Berlin. Der Westteil der Stadt war damals aufgrund seiner Insellage, umgeben vom Staatsgebiet der ehemaligen DDR, ein Experimentierfeld für alternative Lebensentwürfe. Der Sinn für das Experimentelle kennzeichnet auch die ohne Drehbuch gefilmten Szenen von „Life-Death“. Lange verweilt die Kamera auf den oft stark geschminkten Gesichtern der vier Darsteller*innen und auf flamboyanten Requisiten wie einem kardinalroten Mantel. Das metallisch glänzende Make-up erinnert ebenso an Masken wie an die Goldgründe der Ikonen-Malerei. So, wie der Werktitel das Gegensatzpaar „Life-Death“ verknüpft, zelebrieren auch die Szenen und Motive des Films das Verbinden von Gegensätzen und die fließenden Übergänge – zwischen Nacht und Tag, zwischen den Geschlechtern. „Life-Death“ nimmt nicht nur Elemente der Glam-Ästhetik der 1970er Jahre vorweg; wegweisend ist auch der Soundtrack der Düsseldorfer Band Kraftwerk, die zu den Pionieren der elektronischen Musik gehört. Das 16mm-Material der ursprünglichen Filmaufnahmen wurde später auf Digitalvideo übertragen und von der Künstlerin weiterbearbeitet – ein Transformationsprozess, der für die Arbeitsweise Katharina Sieverdings charakteristisch ist.
1974, 8', s/w, Mono
Als führende Vertreterin der Performance- und Videokunst der 1970er Jahre beschäftigte sich Ulrike Rosenbach (*1943 in Bad Salzdetfurth) kritisch mit gesellschaftlichen Klischeevorstellungen von „Weiblichkeit‟. Mitte der 1970er Jahre gründete sie die „Schule des kreativen Feminismus‟.
Ausgangspunkt von „Tanz für eine Frau“ (1974) ist der Walzer – ein Paartanz, der in Drehungen getanzt wird. Als Soundtrack wählte Rosenbach eine populäre Komposition von Annunzio Paolo Mantovani (1905-1980), deren Titel „Ich tanze mit dir in den Himmel hinein“ bereits viel über konventionelle Geschlechterrollen und (weibliche) Fluchtfantasien in der deutschen Nachkriegszeit verrät. Tatsächlich performt Rosenbach in dem Video keinen Paartanz, sondern ein Solo. Die Künstlerin steht zunächst im Zentrum einer kreisrunden Fläche. Sie ist von oben zu sehen, da über ihr ein runder, leicht schwingender Spiegel installiert wurde. Gefilmt wurde ihr Spiegelbild mit einer Videokamera, wobei der Spiegel die Assoziation eines kreisenden Plattentellers weckt. Mit dem Einsetzen der Musik beginnt die Künstlerin, sich um ihre eigene Achse zu drehen. Der lange, mit kleinen Spiegeln besetzte Tüllrock ihres festlichen, schulterfreien Ballkleids wirbelt durch ihre Kreisbewegungen um den Körper herum und füllt das Bildfeld. Während sich die Musik in Dauerschleife exakt wiederholt, geraten die Bewegungen der Tänzerin nach einigen Minuten jedoch zunehmend außer Kontrolle. Scheinbar führen Schwindel und Erschöpfung dazu, dass sie schließlich zu Boden sinkt und dort unbeweglich verharrt. Was als ein Akt der Emanzipation und Selbstermächtigung begann, scheint am Ende – wenigstens vorübergehend – zum Stillstand zu kommen, kann aber auch als notwendiger Ausstieg aus einer Endlosschleife und einem weiblichen „Rollengefängnis‟ (Lucy Lippard) gelesen werden.
1978, 3' 40'', s/w, Mono, ½ Zoll Open Wheel PAL
Marcel Odenbach (*1953 in Köln) gehört seit Mitte der 1970er Jahre zu den international renommiertesten Pionieren der Videokunst. 1978 erwarb er einen der ersten tragbaren Open-Reel-Recorder und nutzte dieses Gerät für die Produktion von „Gespräch zwischen Ost und West“. Die Protagonisten sind der ungarische Experimentalfilmer, Drehbuchautor und Theoretiker Gábor Bódy (1946–1985) und der Künstler selbst. Beide sitzen an einem improvisierten Podium mit handgeschriebenen Namensschildern, zwischen ihnen steht eine Pernod-Kanne – Hinweis auf den Drehort Paris, wo Odenbach zu dieser Zeit Stipendiat des Deutsch-Französischen Jugendwerks war; gefilmt wurde in der Wohnung des Schauspielers Udo Kier (*1944).
Das Setting zitiert ein damals populäres westdeutsches Fernsehformat, den Polit-Talk „Der internationale Frühschoppen“. „Frühschoppen‟ bezeichnet das früher in Deutschland und Österreich verbreitete Ritual des vormittäglichen Kneipenbesuchs, zumeist sonntags nach dem Kirchgang. „Der internationale Frühschoppen“ versammelte seit 1952 – zunächst im Radio, ab August 1953 auch im Fernsehen – am Sonntagvormittag „sechs Journalisten aus fünf Ländern‟ (Journalistinnen waren die Ausnahme); Moderator war Werner Höfer. Während der Live-Sendung wurden tatsächlich Wein und Zigaretten konsumiert. Debattiert wurde über außenpolitische Themen; dahinter stand das Leitbild des „government by discussion‟, also eine auf Argumente und Debatten gestützte, demokratische Regierungsführung im Unterschied zur autoritären Herrschaft des Nationalsozialismus.
Dieses Kommunikationsideal der politischen Kultur stellen Odenbach und Bódy in ihrer Performance jedoch ironisch infrage. Anstelle von konstruktiven Gesprächen zwischen Ost und West – zwischen dem „Ostblock‟ unter sowjetischer Vorherrschaft und den „Westmächten‟ unter Führung der USA – produzieren die beiden Akteure nur Blasen aus Spucke. Diese sind ein Sinnbild für die festgefahrenen Verhandlungen während des Kalten Krieges, der erst 1989 mit dem Mauerfall endete. Odenbach unterlegte das Video mit Musik des ungarischen Komponisten Béla Bártok (1881–1945), der 1940 in die USA emigriert war. Angesichts zahlreicher neuer Krisenherde weltweit wirkt die geradezu unheimliche Sprachlosigkeit zwischen den Performern auf dem Podium hochaktuell.
1979, 12' 29'', Farbe, Ton, Zweikanal-Videoinstallation
„Horizontales/Vertikales Springen“ (1979) ist eine mit statischer Kamera gefilmte Zwei-kanal-Videoinstallation für zwei nebeneinander platzierte Monitore; im Rahmen der Präsentation im Goethe-Institut Kolkata wird eine gefilmte Installationsansicht dieser Arbeit gezeigt. Auf den beiden Monitoren sind vor hellem Hintergrund jeweils Beine und Rumpf einer Person zu sehen, die mal horizontal, mal vertikal durch das Bildfeld springt. Nie agieren beide Figuren parallel; dennoch lässt sich die Arbeit nicht betrachten, ohne die Beziehung zwischen den beiden Bildern/Monitoren im Blick zu haben.
Durch den Ton der Arbeit erschließt sich, dass die Figuren Trampolin springen. Zu hören sind außerdem unter anderem Ausschnitte aus dem fantastischen Film „Duelle“ (1976), Teil der Serie „Scènes de la vie parallèle“ (Szenen aus dem parallelen Leben) des französischen Regisseurs Jacques Rivette (1928–2016). In diesem Werk des führenden Vertreters der innovativen Strömung Nouvelle Vague kämpfen die Tochter des Mondes, Leni, und die Tochter der Sonne, Viva, für ihren Aufenthalt auf der Erde. So ist „Horizontales/Vertikales Springen“ nicht nur ein formal raffiniertes Spiel mit den ästhetischen Möglichkeiten des Zwei-Kanal-Videos, sondern auch eine diskrete Hommage an das avantgardistische Kino. Die Arbeit erfüllt auf der Ebene des Bewegtbildes eine Forderung, die Jacques Rivette an gute Musik stellte: dass der nächste Takt überraschend und logisch zugleich sein muss.
Ursula Wevers (*1943 in Hameln/Weser) ist als Künstlerin vor allem durch ihre Arbeiten an der Schnittstelle von Fotografie und Bewegtbild bekannt. Die Anfänge der Videokunst hat sie in mehreren Funktionen mitgeprägt. Zu Beginn ihrer Laufbahn war sie Kooperationspartnerin des avantgardistischen Medienkunstprojekts Fernsehgalerie Gerry Schum (1968–1970), die speziell für das Fernsehen konzipierte Ausstellungen filmischer Kunstwerke produzierte, und Mitbegründerin der Düsseldorfer videogalerie schum (1971–1973), die frühe Arbeiten der Videokunst produzierte und distribuierte. 1972 eröffnete Wevers in Köln die Galerie Projection, in der sie bis 1976 Film- und Videoproduktionen, Bücher, Schallplatten und Fotoarbeiten bildender Künstlerinnen und Künstler zeigte. 1976 gründete sie an der Kunstakademie Düsseldorf die Videoabteilung.
1988, 4' 57'', Farbe, Stereo, U-matic-Low-Band
Darsteller: Fritz Heubach, Flikki
Musik: Bettina Gruber, Igor Tillmann, Uwe Wiesemann, Gerhard Zilligen
Ausstattung: Fritz Heubach, Achim Mantscheff, Christian Toelke
Die Zusammenarbeit der Künstlerinnen Bettina Gruber (*1947 in Minden) und Maria Vedder (*1948 in Köln) in den Jahren 1978 bis 1988 umfasste nicht nur eine Reihe von Videoarbeiten, sondern auch die Veröffentlichung von zwei Standardwerken zur Videokunst (DuMont's „Handbuch der Video-Praxis: Technik, Theorie und Tips“, Köln 1982, und „Kunst und Video. Theorie und Geschichte des Mediums“, Köln 1983).
„Der Herzschlag des Anubis“ (1988) macht den kastenförmigen Fernsehapparat der damaligen Zeit zu einem Element des Kunstwerks und transformiert ihn in eine Guckkasten-Bühne, auf der in mehreren Tableaus eine Erzählung über den Übergang vom Leben zum Tod inszeniert wird. Ein wesentlicher Bezugspunkt des Werks ist die altägyptische Mythologie. Darin ist Anubis, der Gott der Totenriten und der Mumifizierung, dargestellt als Mensch mit Schakalkopf. Das erste Tableau zeigt ihn in einem Ruderboot, das auf einem rotierenden Sockel montiert wurde. Seine Aufgabe ist es, die Seelen der Toten ins Jenseits zu bringen. In dieses Tableau wird ein anderes eingeblendet; es zeigt einen wie aufgebahrt liegenden Mann, der auf einem karnevalesken, seitlich mit zwei schwarzen Federn versehenen Blasinstrument spielt. Diese Aufnahme wird unterbrochen durch Zwischenschnitte der nächsten Szene, das „Horus-Tableau‟. Dessen ‚Akteure‛ sind vier Bleistiftanspitzer in Form von Falken, ein Verweis auf die Gottheit Horus, die in der altägyptischen Mythologie vielfältige Bedeutungen hatte und unter anderem mit dem Übergang der Seele ins Jenseits assoziiert wurde. Im folgenden „Flikki-Zerberus–Tableau‟ dient der Kopf eines Hundes (Flikki) als Projektionsfläche für eine Filmszene, in der ein Gepard eine Antilope erlegt; Zerberus ist in der griechischen Mythologie der Hund, der den Eingang zum Totenreich bewacht. Abschließend erscheint erneut das „Anubis-Tableau‟. Mit bewusst einfachen und durchschaubaren Mitteln erzählt „Der Herzschlag des Anubis“ eine Geschichte über den Tod und deutet an, dass das fantasievolle und bildhafte Erzählen selbst eine lebenswichtige Funktion hat.
Indien
1996, Rituelle Installations-Performance, Kamani Auditorium, Parkverbotszone, Open Air, 16–18 Uhr; anlässlich des Uday Sankar Kala Utsav, organisiert von der Sahitya Kala Parishad, Delhi
„In der Performance „Death of Desire“, die den Namen „Ritual Installation Performance‟ trug, performte ich einen beinahe rituellen Akt in einer neuen Anordnung und mit meiner persönlicher Aussage. Ich hatte die Idee, rituelle Handlungen zu nutzen, um den Tod der Begierde darzustellen. Und genau das habe ich getan, indem ich die ‚Gharas‛ (Terrakottatöpfe) rituell verzierte und sie dann in Stücke brach, um das Ende des Verlangens zu symbolisieren. In dieser Performance ist das beteiligte Kind der eigentliche Künstler von spontanen Visionen und Fantasien. Die Performance „Death of Desire“ rückt wichtige Themen wie Loslösung, Entfremdung und Trennung von bloßer Repräsentation in den Vordergrund. Dies macht es erforderlich, sich gleichzeitig durch mehrere Schichten und Ebenen des Verstandes zu bewegen. „Death of Desire“ war eine Installation, die durch Zerstörung in einer Performance zugleich konstruiert und dekonstruiert wurde und eine einzigartige und bahnbrechende Erfahrung in der zeitgenössischen Kunstszene Indiens darstellte.
Während der Performance trug ich einige Gedichtzeilen des griechischen Nobelpreisträgers George Seferis vor, die ich mit meinem gewagten Schritt in die schwierige Kunstpraxis und insbesondere mit der Kunstform ‚Installation Performance‛ in Verbindung bringe.‟
“’The Last Performance’ wurde am 1. Januar 2005 auf dem Rasen des Vithalbhai Patel House, Rafi Marg, in Neu-Delhi aufgeführt und beschloss zwanzig Jahre meiner Erforschung dieser Kunstform. Die Präsentation wurde konzipiert und dem Andenken von Safdar Hashmi und vielen anderen kreativen Personen gewidmet, die für die Menschen arbeiteten und Millionen von ihnen Freude brachten und die doch aufgrund ihrer gewagten kreativen Ausdrucksformen schwer leiden mussten.
Konzept: Wut und rohe Gewalt, Gewaltexzesse und Blutvergießen können weder die kreative Ausdruckskraft eines Künstlers wegspülen noch seine oder ihre gewagte, kreative Stimme zum Schweigen bringen. Aus den bedrohlichen schwarzen Wolken werden überall und jeden Tag hunderte Regenbogen aufsteigen, die das Glimmern der schöpferischen Kraft des Künstlers widerspiegeln.
Während der Performance verlas ich einige einprägsame Zeilen aus Pablo Nerudas Gedichten.‟
– Ratnabali Kant
Wann und warum ich mit Performance Art begann
„Mitte der 1980er Jahre begann ich mit Body-Art Performance und nutzte meinen Körper als Medium und Ort für meine Kunstpraxis. Ich verbrachte viele Jahre in Griechenland, wo ich mit einem staatlichen Stipendium an meiner Promotionsrecherche an der Athens University arbeitete. Nach meiner Rückkehr nach Indien verband ich Performance mit Installation und nannte diese Kunstform ,Installation Performance‛. Damit hatte ich eine performative visuelle Kunstform entwickelt und zum ersten Mal in Indien bekanntgemacht. Ich begann, diese Art der Kunst in unterschiedlichen Live- und Videoperformances an verschiedenen universitären Kunsteinrichtungen in Indien zu verbreiten. Meine Bemühungen in diesem Bereich inspirierten später weitere Künstler*innen aus den bildenden und darstellenden Künsten und haben so eine Kunstbewegung in der zeitgenössischen indischen Kunstszene geschaffen.“
– Ratnabali Kant
„Sonia Khurana gehört zu den Künstlerinnen, die mittels ihres Körpers in einen Raum erotischer Entfaltung vordringen, der als (fast endgültig) blockiert, vereitelt und problematisiert dargestellt wird und daher, wenn überhaupt, nur mittels zugespitzter Formen der Selbstentblößung gewonnen werden kann. Lässt sich Ironie durch kontrollierte Zustände der Neurose in Ernsthaftigkeit verwandeln? Ich beziehe mich auf Khuranas Performance-Video ‚Bird‘, in dem die Künstlerin, unbeholfen nackt, sich als Tänzerin dreht, springt, mit den Armen um sich schlägt und versucht abzuheben, wobei sie die Kamera dicht an ihren Körper hält. Als Tänzerin scheitert sie beim Fliegen, doch als Künstlerin, die die Geschwindigkeit moduliert und die Choreografie wie Chaplin als stakkatoartige Ballettparodie gestaltet, gelingt es ihr. Das kurze Schwarzweiß-Video liefert eine Art autografische Spur selbstgesteuerter Befreiung, gleichwohl durch eine neckische Travestie schablonenhafter Autonomie. ‚Bird‘ ist ironisch, weil es peinlich ist, und weil es so klassisch anti-sublim ist, ist es paradoxerweise ikonisch.“
- Dr. Geeta Kapur, 2007, Auszüge aus ihrem Essay in ihrem Buch „Global feminisms“ für die gleichnamige Ausstellung im Brooklyn Museum, New York.
Teil I
1997−1999
Auszüge aus frühen Schlüsselwerken, entstanden im R.C.A. Video, Foto, Bewegtbild, kinetische Objekte, Installation
Breath
Anhad
I’m tied to my mother’s womb
Big sleep
Waters, forgotten of the foot
Lone women don’t lie
Bird
Zoetrope
1999−2000
Frühe Arbeiten, entstanden in Delhi und Modi Nagar in der internationalen Künstlerwerkstatt Khoj
The Thing
Closet
Wailing well
Flower carrier I
2001−2004
Ausgewählte Werke, entstanden in Delhi, Amsterdam und Kamerun während einer Residenz der Rijksakademie
Meat
The world
Teil II
2001−2004
Ausgewählte Werke, entstanden in Delhi, Amsterdam und Kamerun während einer Residenz der Rijksakademie (Fortsetzung)
Mona’s song
Tantra
Head hand
Skin
2005−2007
Ausgewählte Werke, entstanden in Delhi und anderen Städten und Residenzen
Laura’s song
Sleep
tramping
Flower Carrier III
Logic of birds
Vier Kurzfilme in voller Länge
Bird
The world
Head hand
Flower carrier III
2001, 2' 5'', Ton, Aufgezeichnet auf Mini-DV im Jahr 2001, später digitalisiert, Kamera/Konzept: Surekha
In „Line of Control“ zieht ein Filzstift eine wahllose Linie. Eine Ameise wird in dieser Rahmenlinie gefangengenommen und kann nicht mehr entfliehen – für sie wird die gezogene Linie zu einer Grenze. Die Ameise zögert, ob sie die Grenze überqueren soll, läuft aber beständig hin und zurück, in Erwartung des Unvorhersehbaren. Ob mutwillig oder zufällig – am Ende des Videos findet sie schließlich hinaus, überquert die Grenze. In diesem spontanen One-Shot-Video betrachtet die Künstlerin das Verhalten eines Lebewesens, das mit Grenzen konfrontiert wird – mit echten, erfundenen und metaphorischen.
Grenzen entstehen durch menschlichen Einfluss und werden häufig verordnet, vorausgesetzt, akzeptiert und anerkannt. Das Video thematisiert zahlreiche dieser Vorstellungen über ,Grenzen‛, die als Mechanismen zur Kontrolle, Machtausübung und Spaltung genutzt werden – über Regionen, Gender, Hautfarbe und andere. Es spielt mit der Unklarheit unserer Entscheidung, ob wir ,drinnen‛ oder ,draußen‛ bleiben, mit unserer Unentschiedenheit und dem euphorischen Bewusstsein gegen etwas, das uns grundlegend anerzogen wurde. Durch den künstlerischen Diskurs wird uns bewusst, dass eine Grenze nur ein Konstrukt ist – genau wie die Filzstift-Linie für die Ameise.
2006/7, 5', Ton, Triptych
Die Videoinstallation zeigt eine Tätigkeit in einer Küche. Der alltägliche Akt des Kochens verwandelt sich in ein anregendes Spiel innerhalb der häuslichen Routine, die sich wiederholt und doch verändert, als würde sie einem bestimmten Schema der Abschweifung folgen. Die einfache, beiläufige und alltägliche Handlung wird im Verlauf des Videos zu einem überlebensgroßen Ereignis. Das Vermischen und Kneten von Teig erinnern dabei an eine Berglandschaft und verschiedene Körperorgane. Am Ende verwandeln sie sich in Erscheinungen, die sowohl Körperteile als auch Blumen sein könnten.
„I can see you all“ ist ein Videofilm aus dem Projekt „reduced spaces“ von 2001. Ich befasse mich hier mit Räumen von Frauen, die verletzt werden, in denen sie Angst erleben und sehr wenig Freiheit haben, sich im privaten und öffentlichen Raum auszudrücken und zu bewegen. Der Titel suggeriert einen Mangel an Sichtbarkeit.
„Confinement“
Konzept, Produktion, Aufführung von Shakuntala Kulkarni
Der Film handelt von Hoffnung und Verzweiflung, Hoffnung und Resignation.
Als ich hörte, dass 2000 während der Unruhen in Gujarat Frauen und Kinder in einem Gebäude lebendig verbrannten, war ich wütend. Die einzige Möglichkeit, meine Wut auszudrücken und diese schreckliche Tat anzusprechen, waren bewegte Bilder, in denen mein Körper als Schauplatz dient.
Dies ist mein erster Versuch, einen Videofilm mit einer Hi8-Kamera zu drehen. Ich nutzte Dunkelheit und Licht, Ton und Stille und einen engen Innenraum, um die klaustrophobische und verzweifelte Situation zu vermitteln.