Deutsch-deutsche Grenze
„Ort der Erinnerung und der Hoffnung“
Der ehemalige innerdeutsche Grenzstreifen, der Bundesrepublik und DDR teilte, zieht sich heute als sogenanntes Grünes Band der Natur quer durch Deutschland. Das Biotop bietet Flora und Fauna eine neue Heimat – und zeugt zugleich von seiner konfliktreichen Geschichte.
Von Wolfgang Mulke
Langsam holpert die kleine Feldbahn im thüringischen Blankenberg in Richtung der alten Papierfabrik durch die grüne Landschaft. Die Schmalspurbahn verläuft direkt entlang der früheren innerdeutschen Grenze. So friedlich wie heute war es in den Jahren der deutschen Teilung nicht, wie sich der Lokführer erinnert. „Ich musste damals auf Knien mit einer langen Stange in der Hand nach Minen suchen“, sagt er. Das war in den 1980er-Jahren, als er seinen Wehrdienst in der Armee der DDR absolvierte.
Quer durch das ganze Land, von der Ostsee bis in den Süden nach Bayern, verlief einst der Eiserne Vorhang. Metallzäune, die erst mit Minen, später mit Selbstschussanlagen ausgestattet wurden, sicherten den Grenzstreifen. Geschätzt sind hier in den Jahren der Teilung Deutschlands bis zur Wiedervereinigung 1990 mehrere Hundert Menschen bei dem Versuch gestorben, die DDR gen Westen zu verlassen.
Heute hat die Natur den ehemaligen Grenzbereich zurückerobert: Als Grünes Band windet er sich von Nord nach Süd, ganze 1.393 Kilometer ist er lang. Über Jahrzehnte durfte dieser Bereich nicht ohne Erlaubnis betreten werden, und so entwickelte er sich zu einem Rückzugsort für eine Vielzahl seltener und gefährdeter Tier- und Pflanzenarten. Große Teile des Gebiets stehen heute unter Naturschutz und bieten eine einmalige Mischung aus Natur, Geschichte und Kultur.
Frühe Kontakte zwischen Naturschützern
Dazu hat auch Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND), viel beigetragen. Der Verband entwickelte einst das Konzept für das Grüne Band und erwirbt oder tauscht bis heute Grundstücke in der ehemaligen Grenzregion, die dann zu Biotopen umgewandelt werden.
Die Idee, den ehemaligen Grenzstreifen als Naturschutzgebiet zu erhalten, entstand unmittelbar nach dem Fall der Mauer im Jahr 1989. Weiger, der aus Westdeutschland stammt, hatte zuvor schon Kontakte zu ostdeutschen Naturschützern geknüpft. Vier Wochen nach der Grenzöffnung lud der BUND zu einem gemeinsamen Treffen ein. 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen dazu nach Hof in Bayern. „Da fiel zum ersten Mal das Wort vom Grünen Band“, sagt Weiger.
Leicht war die Umsetzung des Planes nicht: „Der Aufbau von Grenzen ist offenbar leichter als ihr Abbau.“ Ein alternativer Vorschlag landete schnell wieder in der Schublade. Dieser sah den Bau einer Autobahn auf dem Grenzareal vor. Stattdessen werden die Umweltschützer seit vielen Jahren vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) unterstützt. In einer Studie bestätigte das BfN die Besonderheit des ehemaligen Grenzareals als zusammenhängendes Band wertvoller Biotope und investierte bis 2019 rund 56 Millionen Euro in eine Vielzahl von Projekten in den verschiedenen Regionen. Hinzu kamen Spenden und Fördermittel der Länder.
Konfliktträchtiges Idyll
Bis zu 200 Meter breit ist der alte Grenzstreifen. Über 5.200 Tier- und Pflanzenarten siedeln darauf, darunter wenigstens 1.200, die auf den Roten Listen der vom Aussterben bedrohten Arten verzeichnet sind. Entlang der Strecke weist der einstige Kolonnenweg die Richtung. Die düstere Geschichte ist hier immer wieder erkennbar: Einige der fast 600 Wachtürme sind erhalten geblieben und lassen das scharfe Grenzregime noch erahnen. Doch wo einst Grenzsoldaten patrouillierten, wandern oder radeln heute Touristen.
Doch ganz so friedlich ist das vermeintliche Idyll nicht. Konflikte entzünden sich einerseits, weil Kommunalpolitiker oder Landwirte nicht auf wertvollen Boden verzichten wollen. Denn noch sind längst nicht alle Flächen für den Naturschutz gesichert: Auf 170 Kilometern ist der Grenzverlauf derzeit nicht mehr erkennbar, unter anderem, weil die Flächen für Ackerbau genutzt werden. „Das Schließen der Lücken ist eine der großen Herausforderungen für die Zukunft“, stellt der beim BfN für das Grüne Band zuständige Abteilungsleiter Uwe Rieken fest.
Mitunter sind es aber auch Kleinigkeiten, die für Streit um die grüne Grenze sorgen. Davon weiß der Bürgermeister der thüringischen Gemeinde Tettau, Peter Ebertsch, ein Lied zu singen. Seine Idee war es, einen Radweg auf dem Grenzstreifen anzulegen. Das gelang erst nach langen Diskussionen mit Naturschützern, die dadurch eine zu gravierende Teilung ihres Biotops fürchteten. Am Ende konnte Ebertsch mit seinem Vorschlag überzeugen.
Naturschutz über Grenzen hinweg
Das Grüne Band steht heute auch für eine länderübergreifende Zusammenarbeit an Orten, wo einst der Eiserne Vorhang für Trennung sorgte. Bayern arbeitet zum Beispiel im Naturschutz eng mit dem Nachbarland Tschechien zusammen. „Das Grüne Band ist für uns ein Ort der Erinnerung und der Hoffnung zugleich“, sagt Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber, „es bietet eine einmalige Chance für den Erhalt der biologischen Vielfalt in Europa.“ 346 Kilometer gemeinsame Grenze verbindet beide Länder. In den kommenden sechs Jahren würden beide Seiten unter Federführung des Nationalparks Šumava beim Moor- und Klimaschutz kooperieren, erläutert Vladimir Mana, Vizeminister in der Staatsverwaltung Tschechiens.