Taiwanische Ministerin Audrey Tang
Hacken ist eine Art zu denken

Audrey Tang
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Als Digitalministerin soll Audrey Tang Taiwan in die digitale Zukunft führen. Hier spricht die Politikerin über ihre Transgender-Identität, Hacking und die Probleme taiwanischer Start-ups. 

Von Maximilian Kalkhof
 
Ein Schreibtisch, ein Wandschrank, eine Sitzecke – in Audrey Tangs Büro im Regierungskomplex in Taiwans Hauptstadt Taipeh deutet nicht viel auf ihre Arbeit hin. Tang ist seit Oktober Taiwans Digitalministerin. Ihre Berufung machte Schlagzeilen auf der ganzen Welt: Sie ist die erste Ministerin der Welt, die eine Transgender-Person ist. Tang trägt eine randlose Brille und das schulterlange Haar offen. Sie redet schnell und konzentriert. 
 
Goethe-Institut: Audrey Tang, Sie sind Transgender-Person. Mit welchem Pronomen möchten Sie angesprochen werden, er oder sie?
 
Tang: Für mich ist beides okay. Ich habe eine Zeit lang als Frau gelebt. Ich finde, das ist keine große Sache.
 
Goethe-Institut: Viele Medien haben das anders gesehen und ihre Berufung als Ausdruck von Taiwans Liberalität gedeutet. Hat Ihre Geschlechtsidentität bei der Vereidigung für Probleme gesorgt?
 
Tang: Nein. Ich musste nur ein paar Unterlagen ausfüllen. In das Feld, das für die Geschlechtsangabe vorgesehen ist, habe ich einfach geschrieben: „Keins.“
 
Goethe-Institut: Sie fühlen sich also weder als Mann noch als Frau?
 
Tang: Nein. Transgender bedeutet für mich beides zu sein, Mann und Frau.
 
Goethe-Institut: Was heißt das konkret?
 
Tang: Es heißt, dass ich mache, was ich will – und dass ich nicht darüber nachdenke, ob das, was ich mache, als männlich oder weiblich gilt. Ich beurteile einen Menschen nach seinen Werten, und nicht nach seinem Geschlecht oder seiner Rolle.
 
Goethe-Institut: Welche Rolle spielt Ihr biologisches Geschlecht dabei? Haben Sie eine Geschlechtsangleichung durchführen lassen?
 
Tang: Ich habe wegen meiner gesundheitlichen Probleme Erfahrung mit allen möglichen Operationen. Ich musste mich einer Herz-Operation und eine Blinddarm-Operation unterziehen. Außerdem habe ich ein paar kleinere Eingriffe hinter mir. Ich habe mir die Barthaare entfernen und Botox spritzen lassen. Aber eine Geschlechtsangleichung habe ich nicht durchführen lassen.
 
Goethe-Institut: Wie haben Ihre Eltern reagiert, als sie von Ihrer Geschlechtsidentität erfahren haben?
 
Tang: Meine Mutter verhält sich selbst sehr transgender. Sie wurde burschikos erzogen. Schauen Sie sich Judith Butler an und Sie haben ein ziemlich genaues Bild meiner Mutter. Sie ist frei von Geschlechts-Stereotypen. Mir wurde erzählt, dass mein Opa väterlicherseits auch so war. In meiner Familie wurde das nicht als außergewöhnlich gesehen.
 
Tang gilt als Mischung aus Wunderkind und Enfant terrible. Sie hat keinen Schulabschluss. Mit 16 Jahren gründete sie ihr erstes IT-Unternehmen. Sie hat unter anderem für Apple, die Oxford University Press und die Wikimedia Foundation gearbeitet. Im Alter von 33 Jahren kündigte sie an, in Ruhestand zu gehen. Kurz darauf kehrte sie für den Job der Digitalministerin aber wieder zurück.
 
Goethe-Institut: Sie bezeichnen sich als „bürgerliche Hackerin“. Wie haben Sie hacken gelernt?
 
Tang: Ich denke, es begann, als ich acht Jahre alt war. Ich interessierte ich bereits für Mathematik. Ich war bei einem meiner Onkel und fand ein Buch über die Programmiersprache BASIC. Das muss so ungefähr 1989 gewesen sein, ich besaß damals noch keinen Computer. Ich nahm also einen Stift und ein Blatt Papier und begann zu programmieren. Im Grunde simulierte ich einen Computer. So bin ich zum Hacken gekommen. Ich habe es immer als etwas verstanden, das nicht von Hardware abhängig ist. Es ist eine Art zu denken.
 
Goethe-Institut: Mit wie viel Jahren haben Sie entdeckt, dass es so etwas wie eine Hacker-Community gibt?
 
Tang: Das muss in Deutschland gewesen sein. Mit elf Jahren zog ich für ein Jahr nach Saarbrücken. Mein Vater promovierte an der Universität des Saarlandes in Politikwissenschaft. Damals gab es schon einen Kreis von Wissenschaftlern, die Computer verwendeten, um Informationen zu teilen. In den Neunzigerjahren waren die Rechner ja schon recht weit entwickelt. Mein Vater hatte als Doktorand Zugang zu den Computern der Universität. Er schrieb seine Doktorarbeit über die chinesische Studentenbewegung. Nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 waren viele Chinesen nach Europa geflohen. Mein Vater interviewte diese Exilanten in unserem Wohnzimmer. In den Gesprächen ging es oft um Computer und die Möglichkeiten der Vernetzung. Als ich dann wieder zurück in Taiwan war, begann ich, das lokale Bulletin Board System zu nutzen.

Goethe-Institut: Mit 14 Jahren haben Sie die Schule geschmissen. Was haben Ihre Eltern von dieser Entscheidung gehalten?
 
Tang: Anfangs dachten sie, dass ich ohne Schulabschluss keine Zukunft haben würde. Aber nach einiger Zeit fassten sie Vertrauen. Ich bildete mich ja weiter – nur eben im Internet und nicht in der Schule. Als ich später an der Nationaluniversität Taiwan als Gasthörer Kurse von Professoren besuchte, bei denen schon meine Eltern studiert hatten, haben sie sich gefreut.

Goethe-Institut: Sie haben eine steile Karriere hinter sich. Sie haben im Silicon Valley gearbeitet und viele namhafte Unternehmen beraten. Wieso hat sich der taiwanische Premierminister dazu entschieden, ausgerechnet Sie als Digitalministerin in die Politik zu holen?
 
Tang: Das ist mir ein Rätsel. Ich weiß es selbst nicht. Seit 2014 habe ich als Coach für taiwanische Beamte gearbeitet. 2016 bekam ich dann einen Anruf. Mir wurde gesagt, dass sich der Premierminister mit mir treffen und über den Plan eines Asia Silicon Valley reden möchte.
 
Zu Tangs Aufgaben als Digitalministerin gehört es, die Regierungsarbeit transparenter zu machen. Außerdem soll sie das Asia Silicon Valley aufbauen, eine Art taiwanischen Industrie-4.0-Park. Umgerechnet 350 Millionen US-Dollar wurden für 2017 zur Verfügung gestellt, um südwestlich von Taipeh Start-ups anzusiedeln, die Software rund um das „Internet der Dinge“ entwickeln.
 
Goethe-Institut: Der Aufbau des Asia Silicon Valley ist eine Ihrer Hauptaufgaben. Was verbirgt sich hinter dem Namen?
 
Tang: Wir planen nicht, ein taiwanisches Silicon Valley aufzubauen, sondern Taiwan mit dem Silicon Valley in Kalifornien zu verbinden. Wir haben dafür die Asia Silicon Valley Development Agency ins Leben gerufen.
 
Goethe-Institut: Was braucht Taiwan, um ein Start-up-Hub zu werden?
 
Tang: Zuallererst eine Kultur, die keine Angst vor dem Scheitern hat. Das ist einer der Hauptunterschiede zwischen Taiwan und dem Silicon Valley. In Taiwan wollen viele Leute ein Start-up gründen, haben aber Angst vor dem Scheitern, weil es mit einem Stigma behaftet ist. Wenn jemand im Silicon Valley drei oder vier Mal gescheitert ist, gilt er dort als guter Gründer, weil er mittlerweile wahrscheinlich viel gelernt hat. Einer der Gründe, warum das in Taiwan nicht so ist, ist, dass wir keine gute Serie-A-Finanzierung haben. Die Leute müssen für ihre Start-ups Schulden machen. Das müssen wir ändern. Es darf so gut wie nichts kosten, ein Unternehmen zu gründen.
 
Goethe-Institut: Die IT-Szene in Peking ist bereits mehrmals als das Silicon Valley Asiens gepriesen worden. Einige der chinesischen Internet-Unternehmen, etwa Tencent und Alibaba, gehören zu den erfolgreichsten Unternehmen des Landes. Kann Taiwan da mithalten?
 
Tang: Nein, das sind ganz andere Dimensionen. Das chinesische Internet hat seine eigenen Regeln, es ähnelt eher einem Intranet. Ausländische Internetunternehmen wie Google und Facebook sind in China mittels Zensur ausgesperrt worden. In dieser Abgeschiedenheit konnten sich chinesische Unternehmen, die mehr oder minder die gleichen Funktionen anbieten, prächtig entwickeln. Taiwan liegt aber außerhalb der chinesischen Internetzensur. Deshalb wird kein taiwanisches Unternehmen jemals so groß sein, um mit den chinesischen Firmen konkurrieren zu können. So verhält es sich im Übrigen für jedes Land, das außerhalb der Firewall liegt, etwa Japan oder Singapur. 

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