Deutsche Dialekte
Die Rettung des Platt

„Moin-Moin“ lautet die plattdeutsche Grußformel für „Einen schönen Tag“|
„Moin-Moin“ lautet die plattdeutsche Grußformel für „Einen schönen Tag“ | Foto (Ausschnitt): © Privatanimaflora - Fotolia.com

Plattdeutsch ist fast komplett aus der deutschen Öffentlichkeit verschwunden. Nur noch drei Prozent der Bevölkerung sprechen die alte Sprache aus dem Norden Deutschlands. Künstler, Theater und Schulen versuchen gegenzusteuern.

„Ik schick di nochmal dat Bummelbian, kiek di dat an“ – diesen Satz sage sie nun öfters, erzählt Susanne Bliemel. Sie ist Lehrerin an einem Gymnasium im norddeutschen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern und unterrichtet auf Plattdeutsch – eine alte Sprache, die im Norden Deutschlands bis ins 20. Jahrhundert weit verbreitet war. Heute existiert sie jedoch in der Öffentlichkeit fast nicht mehr. Damit das nicht so bleibt, paukt Bliemel mit ihren Schülern Plattdeutsch-Vokabeln. Übersetzt auf Hochdeutsch heißt der Satz: „Ich schicke Dir nochmal den E-Mail-Anhang, den solltest Du Dir ansehen.“ Der Bummelbian ist also der Anhang – auch das alte Platt muss mit der Zeit gehen.

Plattdeutsch (auch: Niederdeutsch) gehört zu einer der sechs großen Dialekt-Familien der deutschen Sprache. Das Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas der Universität Marburg, eine der wichtigsten Institutionen zur Dialektforschung in Deutschland, definiert Dialekt als eine eigene, lokal begrenzte Sprache mit eigener Grammatik. Dazu zählen neben dem Plattdeutsch das nordwestdeutsche Friesisch, das mitteldeutsche Sächsisch, das südostdeutsche Fränkisch, das südwestdeutsche Alemannisch und das süddeutsche Bairisch. Entstanden sind sie während der Völkerwanderung im Mittelalter, als die germanischen Stammesverbände sesshaft wurden und jeweils eigene Formen der westgermanischen Sprachen entwickelten.

Niedergang der Dialekte

Mit der flächendeckenden Etablierung des Hochdeutschen in den Massenmedien und Schulen nahm die Verbreitung der Dialekte stetig ab. Besonders betroffen ist das Plattdeutsche, da es von allen Dialekten die größten Unterschiede zum Standarddeutschen aufweist. Bestimmte Lautverschiebungen, mit denen sich das Deutsche im Mittelalter von anderen germanischen Sprachen wie Niederländisch und Englisch abgrenzte, breiteten sich vor allem im Süden aus und drangen kaum nach Norden vor. Nur 2,5 Millionen Menschen reden heute noch aktiv Platt – rund drei Prozent der deutschen Bevölkerung. Andere Dialekte wie das Bairisch haben sich erfolgreicher gegen den Einfluss der hochdeutschen Kultur gewehrt. Noch immer sprechen 13 Millionen Menschen den süddeutschen Dialekt.

Damit das Platt am Leben bleibt, hat die Regierung Mecklenburg-Vorpommerns im März 2017 an sechs Schulen niederdeutsche Unterrichtsklassen eingeführt. Selbst das Abitur kann in der alten Sprache abgelegt werden. Die Leitung der landesweiten Bildungsinitiative hat Susanne Bliemel übernommen. Deswegen unterrichtet sie seit Kurzem nicht nur Jugendliche, sondern auch Kindergärtnerinnen, Studenten und Lehrer, die das Gelernte künftig an eigene Schüler weitergeben sollen.

Positives Image

An Bliemels eigener Schule, in der mecklenburgischen Stadt Crivitz, hat sich rund ein Drittel der neuen Schülerinnen und Schüler für das Plattdeutsche entschieden. „Davon waren wir positiv überrascht. Wir haben nicht damit gerechnet, dass sich so viele dafür interessieren.“ In letzter Zeit erlebe sie immer mehr Eltern, die die Sprache selbst nie erlernt hätten und sich Platt-Unterricht für ihre Kinder wünschen würden. „Plattdeutsch hat ein positives Image bekommen.“

Für den Unterricht mussten die Plattdeutsch-Retter zudem eine kleine Revolution starten. Denn bis heute kann im Plattdeutschen jeder schreiben, wie er will. Eine festgeschriebene Rechtschreibung gibt es nicht. Für den Schulunterricht soll es aber nun eine formalisierte Schreibweise geben – die erste seit Jahrhunderten.

Besonderer Klang

Neben der staatlich geförderten Bildungsinitiative versuchen auch lokale Künstlerinnen und Künstler die in Vergessenheit geratene Sprache wieder auf die Bühne zu holen. So zum Beispiel die Hamburger Popband Tüdelband oder die Fernsehmoderatorin Wiebke Colmorgen, die zusammen mit der Musikerin Meike Schrader eine plattdeutsche Hymne auf ihre Stadt Hamburg geschrieben hat und sich mittlerweile aktiv dafür einsetzt, Kinder für Plattdeutsch zu begeistern. Selbst die bekannte NDR-Moderatorin und Sängerin Ina Müller ging bereits mit plattdeutschen Lesereisen auf Tour.

Wiebke Colmorgen | Foto (Ausschnitt): Kathrin Brunnhofer www.picturekat.net

Die aber wohl wichtigsten Kulturhochburgen des Niederdeutschen sind die beiden plattdeutschen Theaterbühnen, das Ohnsorg-Theater in Hamburg und die Fritz-Reuter-Bühne in Schwerin. „Das Besondere am Platt ist der Klang“, sagt Rolf Petersen, Direktor der Reuter-Bühne. Er spielt plattdeutsches Theater, seitdem er 14 Jahre alt ist. „Es hat eine Melodie, wie Musik.“ Da heute kaum Theaterstücke auf Platt geschrieben werden, bedient sich die Reuter-Bühne am hochdeutschen Repertoire. Die Stücke werden dann einfach ins Mecklenburger Platt umgeschrieben.

Platt lebt

Petersens liebstes niederdeutsches Wort ist Schietbüdel, ein Kosewort für kleine Kinder: wörtlich übersetzt: der Scheißbeutel, also die Windel. Ein sehr bildlicher Ausdruck – wie so häufig im Plattdeutschen. Auch die Mischung aus gemütlichem und harmonischem Klang und eigentlich derber Bedeutung ist typisch für den Dialekt. Ein weiteres Beispiel sind plattdeutsche Flüche, von denen einige in der heutigen Alltagssprache erhalten blieben: Döspaddel (Dummkopf), Klookschieter (Besserwisser) und Trantüte (Schlafmütze) werden von vielen Deutschen verstanden, selbst wenn sie nicht aus Norddeutschland kommen.

Wiebke Colmorgen | Foto (Ausschnitt): Kathrin Brunnhofer www.picturekat.net
 

HörProbe Plattdeutsch Wiebke Colmorgen

Wat mutt dat mutt (wörtlich: was muss, das muss (im übertragenen Sinne: Da führt kein Weg dran vorbei)

Na, mien lütt Schietbüdel (Na, mein kleiner Schatz)

Du büst aver uk'n Döösbaddel (Du bist aber auch ein Dummkopf)

Das Niederdeutsche sei nicht am Ende, sagt Petersen, „denn das Platt verändert sich“. Auch jetzt kämen neue Worte hinzu, die es früher im Platt nicht gegeben habe. Huulbessen zum Beispiel, was wörtlich übersetzt Heulbesen heißt und einen Staubsauger meint. Solange sich eine Sprache verändere, findet Petersen, solange könne sie nicht tot sein.

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