Technikangst
„Ein kritischer Blick kann zu mehr Sorgfalt führen“
In Deutschland wird weniger in innovative Tech-Start-Ups investiert als etwa in den USA. Ist das ein Zeichen für größere Technologieskepsis?
Herr Vater, seit jeher schürt die Einführung neuer Technologien immer auch Ängste vor Veränderungen und deren Folgen. Nimmt die Computertechnologie unter den bisherigen disruptiven Technologien, wie dem Buchdruck oder der Dampfmaschine, eine Sonderstellung ein, etwa hinsichtlich Künstlicher Intelligenzen (KI) – also Maschinen, die sich potentiell selbst weiterentwickeln können?
Das Verfahren des maschinellen Lernens ist im Detail unspektakulär – es ist aber gleichzeitig eine beeindruckende Technik, von der unsere Vorfahren vor 80 Jahren noch nicht geglaubt hätten, dass es so etwas geben wird. Das führt zu Mythenbildung, sowohl was Angsterzählungen, aber auch was die Formulierung von Hoffnung angeht. Etwa: Künstliche Intelligenz wird unseren Planeten besser durch die Klimakatastrophe steuern können als jeder Mensch. Oder: Künstliche Intelligenz wird selbstständig werden und uns alle vom Planeten tilgen. Wenn wir in das Regal mit Science-Fiction-Literatur oder in die Cinethek gucken, dann ist das alles schon da und auch nicht seit gestern. Mindestens seit der Romantik mit Frankenstein und auf jeden Fall in der Frühgeschichte des Kinos mit Metropolis lässt sich so etwas finden.
Wie berechtigt sind diese Sorgen: Wird Frankenstein bald Wirklichkeit?
Maschinen, die sich eigenständig rekonfigurieren können, umgeben uns bereits. Hat das dazu geführt, dass wir es plötzlich mit intelligenten, anthropomorphen Androiden zu tun haben? Nein. Wir haben nun Geräte, neben die wir keine Hilfskraft stellen müssen, die ständig alles umstöpselt. Und wir haben Geräte, die zum Beispiel Messreihen durchführen können, ohne dass ein*e Expert*in dabei ist. Unsere Technik ist adaptiv geworden. Nicht mehr und nicht weniger.
Dennoch entwickeln sich diese Maschinen für Laien zunehmend zu Blackboxen: Sie können nicht mehr nachvollziehen, wie genau sie funktionieren. Führt der Einsatz von solchen Technologien nicht potentiell zu einem gesellschaftlichen Kontrollverlust? Ich denke hier zum Beispiel an Predictive Policing, bei dem Algorithmen auf einer Datengrundlage zukünftige Verbrechen vorhersagen sollen und präventive Polizeieinsätze rechtfertigen.
Predictive Policing ist ein Versuch, Prognosewerkzeuge zu bauen, die stark datengestützt sind. Dahinter stecken Modelle darüber, wie Menschen Verbrechen verüben, oder auch in welchem Viertel Menschen wohnen, die welche Verbrechen auf welche Art und Weise begehen. Diese Merkmale sollen den Konstrukteur*innen der Maschinen dabei helfen, ihre Annahmen zu treffen und zu begründen. Diese Annahmen kann man auflisten und Stück für Stück prüfen zum Beispiel unter Zuhilfenahme soziologischer Werkzeuge, wenn man sie transparent vorgelegt bekommt. Das ist allerdings sehr viel Arbeit.
Wie sind wir diesbezüglich in Deutschland aufgestellt – macht sich jemand diese Arbeit?
Wir haben in Deutschland einen auffällig aktiven und sehr ernst genommenen Verein, der sich mit diesen Fragen beschäftigt: den Chaos Computer Club (CCC). Er ist in jedem entsprechenden Expertengremium der Bundesregierung vertreten und wird inzwischen auch bei den Bundestagsanhörungen gehört.
Gerade der CCC warnt aber häufig vor Missbrauch und den Risiken neuer Technologien.
Ein kritischer Blick muss kein destruktiver und auch kein pessimistischer Blick sein – er kann auch zu mehr Sorgfalt führen.
Start-Up-Unternehmen gelten heute als Garant für innovative Technologieentwicklung. Im Vergleich mit dem Silicon Valley wirkt die deutsche Start-Up-Szene jedoch vorsichtiger. Ist man in Deutschland gegenüber neuen Technologien skeptischer?
Bei uns sind vor allem die Finanzierungsstrukturen anders. In Deutschland gibt es nicht besonders viele Hedgefonds, die sich auf Seed-Investment spezialisiert haben. Diese spekulieren darauf, dass, wenn sie zehn kleine Start-Ups finanzieren, eines davon genug Gewinn abwerfen wird, dass sich alle anderen Investitionen amortisieren. In Deutschland sind Sparkassen und Volksbanken typischerweise die ersten Investor*innen für ein neues Geschäft. Da sie mehr oder minder das Geld der Gemeinschaft verwalten, sind sie vorsichtige Geschäftspartner*innen, die weniger leicht in Projekte investieren.
Es handelt sich also eher um ein Strukturproblem.
Und zudem eines, das sich ändern mag: Universitäten haben diese Lücke zum Beispiel identifiziert und betreiben jetzt selber Investment durch universitätsinterne Inkubatoren, die in der ersten Phase von der Idee zur Planung unterstützen. Diese Förderung ist ganz niedrigschwellig: Die Inkubatoren bieten einen Raum, eine Internetleitung, ein Postfach. In Deutschland gibt es zudem viele Hacker-Spaces, in denen die Spitzentechnologie der Gegenwart dank öffentlicher Förderung oder Sponsoring für alle interessierten Laien zur Verfügung steht, etwa Drohnen oder 3D-Drucker. Und es gibt zunehmend, als Erweiterung der Hacker Spaces, spezielle Coworking-Spaces. In Darmstadt etwa sind um die Hacker Spaces Lab3 und Hub31 Büroräume für die erste Phase der Start-Up-Gründung entstanden.