„Comme le feu“ von Philippe Lesage
Wo Rauch ist...
Aurélia Arandi-Longpré, Noah Parker (beziehungsweise ihre Hände) in „Comme le feu“ von Philippe Lesage | © Balthazar Lab
Zuerst ist es nur ein Funke, eine Hand, die sucht, ungeschickt nach einer anderen Hand. Ein unbeantwortete Frage, eine pikante Information, die im Dunkeln und mit leiser Stimme ausgetauscht wird, Neckereien, die sich zu feurigen Streitereien entwickeln. Schließlich sind es die Funken, aus denen das Feuer wird...
Von Tatiana Braun
Im Wald
Comme le feu von Regisseur Philippe Lesage ist eine filmische Dekonstruktion der psychosozialen Strukturen einer Gruppe von Jugendlichen und Erwachsenen in einer Hütte im Wald von Québec. Der Film wurde als Weltpremiere in der Sektion Generation 14plus des Festivals gezeigt, eine Auswahl, die sich auf Filme konzentriert, die in ihren Erzählungen und ihrer Filmsprache Kinder und Jugendliche in den Mittelpunkt stellen. Die Filme dieser Sektion versuchen einen Einblick in ihre Realität und halten der Welt der Erwachsenen ihren Spiegel vor. Als einer von drei Filmen aus Quebec, die auf dem Festival gezeigt werden, seziert Comme le feu das Ego seiner Protagonisten, um ihre zerbrechlichen Männlichkeiten zu entblößen.Zwischen den Ausflügen in die Natur und den intimen Abendessen am großen Tisch steigt die Spannung zwischen den Erwachsenen und ihre Sticheleien verwandeln sich - angeheizt durch den Wein - in offene Konflikte. Jeff, zunächst voller Bewunderung für den Regisseur und verwirrt über die Signale, die er von Aljoscha zu erhalten glaubt, findet sich bald - buchstäblich und metaphorisch - in einem Strudel zwischen Demütigung, Wut und Enttäuschung wieder, aus dem er sich nur befreien kann, indem er sich von der vermeintlichen Reife und Autorität der Erwachsenen und ihrem Wertekanon emanzipiert.
Die Saison der Feuer
Die Funken in diesem geschlossenen Raum verwandeln sich schnell in viele kleine offene Feuer und die Situation droht außer Kontrolle zu geraten. Doch im Gegensatz zu dem Film Roter Himmel des deutschen Regisseurs Christian Petzold, der bei den Berliner Filmfestspielen 2023 den Silbernen Bären gewann und ähnliche Themen behandelt, insbesondere das zerbrechliche Ego eines Schriftstellers, der vorgibt, gequälter zu sein, als er ist, bleibt das Feuer hier nur metaphorisch. Die beiden Filme sind vom Setting her vergleichbar: In Roter Himmel geht es um eine Gruppe von Erwachsenen - alte und neue Freunde -, die sich im Sommer in einem Haus an der Ostsee treffen. Es ist wochenlang nicht wärmer geworden, der Wald ist trocken und die Gefahr von Waldbränden ist real. Am Abendbrottisch im Garten bauen sich die Spannungen auf: Es gibt Eifersucht, Liebe und Groll. Die Emotionen flammen auf, ebenso wie die vertrockneten Wälder, die sie umgeben. Während Petzold das Ausmaß der durch Waldbrände verursachten Schäden drastisch in Szene setzt - als Folge des Klimawandels und im Gegensatz zu den - angesichts dieser Realität - kleinen Sorgen seiner Hauptfigur, bleibt das wörtliche Feuer bei Lesage kontrolliert: Es ist ein Kaminfeuer oder ein Lagerfeuer. Das Feuer, von dem im Titel des Films die Rede ist, ist jedoch sicherlich weniger zerstörerisch, aber nicht weniger gefährlich: „In meinen Filmen gibt es oft ein Monster“, sagte Philippe Lesage bei einem Treffen während des Festivals.Das Monster hier - der Werwolf, wenn man so will - scheint Blake zu sein, der wilde, etwas düstere Mann mit Dreitagebart und kariertem Hemd, der Regisseur, der Pilot, der Möchtegern-Jäger, -Fischer und -Kajakfahrer, männlich und unnahbar. Von Jeff zu einem seiner frühen, weitgehend autobiografischen Filme befragt, ob er wirklich versucht habe, seinen Großvater zu töten, antwortet er, indem er ihm seine Version des Drehbuchs für seinen ersten großen und erfolgreichen Film leiht. Doch unter der Oberfläche steckt die Monstrosität im Detail. Sie zeigt sich in Jeffs Überschreitungen, und in den mehr oder weniger offenen Vorwürfen, die Albert Blake macht, in einem dummen und bösartigen Witz. - Die Hölle, das sind die anderen, sagt man (bzw. Sartre, angeblich).
Rund um den Tisch
Die Inszenierung der Abendessen und der Gemeinschaftsmomente in der Hütte ist von bemerkenswertem Einfallsreichtum: Während dieser Momente - des Teilens, der Konfrontation und des berauschten Loslassens - scheint die Kamera am Tisch oder in der Mitte des Kreises Platz zu nehmen und zu einer eigenständigen Figur zu werden. Die Dialoge zwischen Blake und Albert, ihre Witzeleien, die sich in einen verbalen und schließlich wörtlichen Schlagabtausch verwandeln, sind zu einem großen Teil improvisiert.Der Regisseur verrät uns, dass er für jede Szene des Abendessens zwei Tage gebraucht hat, um sie zu filmen, und das Ergebnis ist beeindruckend. Obwohl die Kamera selten nah an die Protagonisten herankommt, sondern fast immer einen Sicherheitsabstand einhält, schafft es der Film, die Spannung über zweieinhalb Stunden aufrechtzuerhalten. Auf der einen Seite authentisch in seinen Dialogen, scheut er sich nicht, den Surrealismus zu erkunden, indem er einige seiner Einstellungen mit Details spickt, die „ein bisschen magisch“ sind, wie der Regisseur sagt.
Der Film entlarvt die Erwachsenen als selbstmitleidige Figuren, von denen man keine Unterstützung erwarten sollte. Er kann als Kommentar zum Generationenkonflikt gelesen werden und als Ermutigung für die jüngere Generation, die Autorität, die Reife der Älteren sowie deren Konzepte von performativer und toxischer Männlichkeit aktiv in Frage zu stellen. Comme le feu ist ein psychologisches Drama voller Spannung, Liebe zum Kino und großer Experimentierfreude, getragen von außergewöhnlichen schauspielerischen Leistungen, die das Zuschauen und Zuhören zu einem enormen Vergnügen machen.
Comme le feu von Philippe Lesage wurde mit dem Großen Preis der Internationalen Jury für den besten Film in der Sektion Generation 14plus ausgezeichnet.