Sprechstunde – die Sprachkolumne
Deutsch lernen leicht gemacht
Nicht alle Politiker*innen sind Freund*innen des Genderns. Daran knüpft Olga Grjasnowa an – und präsentiert einige wirklich radikale Reformvorschläge für die deutsche Sprache.
Von Olga Grjasnowa
Mein Mann hat in einem Monat seine B1-Deutschprüfung beim Goethe-Institut in Berlin, und ich bin mir überhaupt nicht sicher, ob er sie bestehen wird. Er muss sie aber bestehen, um die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen zu können, und die Staatsbürgerschaft braucht er, um aktiv am Leben hier teilzunehmen, mit uns zu reisen und um nicht immer wieder bei der Ausländerbehörde vorsprechen zu müssen. Wir sind also gerade alle sehr aufgeregt und schließen heimlich Wetten darüber ab, ob er es schaffen wird. Die Einsätze werden immer höher und absurder, aber er ist uns noch immer nicht auf die Schliche gekommen.
Gendern nur am Esstisch
Vor diesem Hintergrund las ich besonders aufmerksam ein Interview, in dem ein deutscher Politiker forderte, das Gendern außerhalb der eigenen vier Wände per Gesetz zu verbieten – die geschlechtergerechte Sprache sollte also nicht mehr in Schulen, Universitäten oder Behörden verwendet werden dürfen. Nur noch zu Hause „beim Abendbrot“ dürfe gegendert werden. Seine abenteuerliche Begründung beinhaltet auch das Argument, dass eine Syrerin oder ein Afghane die deutsche Sprache kaum erlernen könnten, wenn das Gendersternchen verwendet wird.Mein Mann hat zwar die syrische Staatsbürgerschaft, ist aber ein Syrer und keine Syrerin. Gelten die Lockerungen der deutschen Sprache dann auch für ihn? Der von mir indirekt zitierte Politiker gehört einer christlichen Partei an, deshalb bin ich mir sicher, dass er ausschließlich aus Nächstenliebe gegenüber der Einwanderungsgesellschaft sprach. Ich fürchte nur, dass das gesetzliche Verbot des Genderns alleine nicht ausreichen wird, wir müssen die Sache radikaler angehen.
Weg damit!
Deshalb war ich schon einmal so frei, eine kleine Liste mit Vorschlägen zu überschätzten grammatikalischen Feinheiten zusammenzustellen. Sie könnten aus der deutschen Sprache gestrichen werden, damit sich diese leichter erlernen lässt: Genitiv, Dativ, Akkusativ, bestimmte Artikel, unregelmäßige Verben, Konjunktiv, deutsche Redensarten (z.B. Jemandem auf die Schliche kommen), Präpositionen, indirekte Rede und nicht zuletzt: richtiges Zitieren in den Doktorarbeiten! Das ist eine Disziplin, an der viele unserer Politik*innen meistens scheitern. Wenn wir erst einmal die deutsche Sprache von der Grammatik her neu gestaltet haben, müssen wir auch unbedingt ein paar „hässliche“ Wörter streichen. Auch hier biete ich eine Liste an: Abendbrot, Ehefähigkeitsurkunde, Schleswig-Holstein, Eichhörnchen, Sternenschweif, Schadenersatz, das N-Wort und alle anderen Bezeichnungen, die entmenschlichen. Das wäre tatsächlich eine progressive Sprachpolitik.Sprechstunde – die Sprachkolumne
In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.
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