Sprechstunde – die Sprachkolumne
Die Mischung macht‘s – Sprachkontakt und Sprachwandel
Sprachen sind lebendig. Das merkt man schon daran, dass immer wieder Wörter und Wendungen aus einer Sprache in eine andere übernommen werden – meist als Bereicherung der Ausdrucksmöglichkeiten.
Von Olga Grjasnowa
Zahlreiche Leser*innenbriefe zu meinem letzten Buch weisen mich immer wieder darauf hin, dass Deutsch sich besonders gut zum Philosophieren eigne. In der letzten Zuschrift wurde dieses Diktum sogar auf den Dichter, Naturforscher und Sprachreformer Michail Lomonossow (1711–1765) zurückgeführt. Ich konnte dafür zwar keinen Beleg finden, aber es ist natürlich unumstritten, dass sehr viele bedeutende philosophische Werke auf Deutsch geschrieben wurden – und nicht nur philosophische, sondern auch lyrische, prosaische, dramatische und selbst komische. Selbstverständlich ist Deutsch eine hochkomplexe Sprache, viele Deutschlernende werden mir zumindest hier bedingungslos zustimmen. Ich fürchte allerdings, dass der Satz „Auf Deutsch kann man besonders gut …“ unsinnig ist und nur bestimmte Vorurteile transportiert. Der Platz in dieser Kolumne reicht leider nicht aus, um aufzuzählen, welche das sind. Zudem beinhaltet dieser Satz zugleich die Negierung der eigentlichen Aussage. Denn wenn man auf Deutsch etwas besonders gut kann, dann müsste es ja Sachverhalte geben, die sich auf Deutsch nicht ausdrücken lassen, und das kann ich als eine deutsch-schreibende Autorin nicht gelten lassen.
Butterbrot und Wunderkind
Tatsächlich gibt es auf Deutsch sehr viele Wörter, die so treffend sind, dass ich immer wieder versuche, sie auch ins Russischen zu integrieren. Ich könnte auch sagen „assimilieren“, aber dagegen sperrt sich die russische Grammatik. Zum Beispiel das Wort „Termin“ – nichts drückt die Dringlichkeit, Unverrückbarkeit und Wichtigkeit so treffend aus, wie dieser Begriff. Doch um ihn ins Russische zu übertragen, muss ich ihn auch deklinieren, so dass er bald kaum noch deutsch klingt. Ich fühle mich wie in einer Zwickmühle: Folge ich der deutschen Grammatik und belasse das Wort im Neutrum oder soll ich es doch lieber auf Russisch durchdeklinieren, obwohl es entsetzlich klingt? Dabei gibt es im Russischen bereits sehr viele Begriffe, die aus dem Deutschen stammten, etwa Butterbrot, Schlagbaum, Gastarbeiter oder Wunderkind, um nur einige zu erwähnen, und diese Wörter werden nach allen Regeln der grammatikalischen Kunst durchdekliniert. Ich stolpere dagegen mitten in meinem Satz und überlege hin und her. Dabei werden Fremdwörter eigentlich recht schnell in eine Sprache übernommen – das Deutsche entlieh sich Begriffe aus dem Griechischen, Lateinischen, Französischen, Englischen und vielen anderen Sprachen und tut dieses noch immer. In der Linguistik bezeichnet man es als „Sprachkontakt“, wenn Menschen sich von den Sprachen, die ihnen im Alltag begegnen, inspirieren lassen und bestimmte Ausdrücke oder Redewendungen übernehmen. So hat es etwa der jetzige amerikanische Präsident Joe Biden gemacht, als er im Präsidentschaftswahlkampf während einer Fernsehdebatte das arabische Wort „inshallah“ benutzte. Zweites Beispiel: In der Nähe meiner Wohnung gibt es eine kleine französische Bäckerei, in der die unglaublichsten Baguettes, Croissants oder Pains au Chocolat von Hand hergestellt werden. Der Laden heißt „Le Brot“.Schneller Wechsel
In meiner Kleinfamilie werden vier Sprachen gleichzeitig gesprochen: Deutsch, Englisch, Russisch und Arabisch – mitunter führen wir ganze Dialoge in unterschiedlichen Sprachen und verstehen uns dennoch. Und falls nicht, liegt es ehrlich gesagt meistens nicht an der Sprache. Auch wenn ich mit Freund*innen zusammen bin, die ebenfalls Russisch und Deutsch oder Russisch und Englisch beherrschen, wechseln wir oft zwischen den Sprachen hin und her. Es passiert nicht, weil wir Defizite in einer der Sprachen hätten, sondern weil es Spaß macht. Und es macht nur Spaß, wenn man genau weiß, wie man vermischt. Vladimir Nabokovs Roman Ada oder das Verlangen wurde auf Englisch geschrieben und ist voller Andeutungen und Wortspiele in Russisch und Französisch. Diesen zu folgen, ist ein einmaliger Lesegenuss. Der Vermischung der Sprachen kommt auch im Deutschrap eine zentrale Rolle zu. Bestes Beispiel ist der Rapper Haftbefehl, er macht dies auf eine höchst künstlerische und intelligente Art. Sprachkontakte und Entleihungen halten unsere Sprachen lebendig – und uns, wenn nicht gerade eine Pandemie wütet.Sprechstunde – die Sprachkolumne
In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.
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