Kultur im Quartal
Japanische Teekeramik von der Ostsee
Ob in der Meißner Manufaktur, im Keramion oder der Porzellanwelt Leuchtenburg: Für Keramikfreunde gibt es in Deutschland einiges zu entdecken. Doch kaum einer dieser Orte ist so magisch wie eine kleine Werkstatt in Cismar an der Ostsee.
Von Andreas Platthaus
Als das Reisen rund um die Welt noch möglich war, besuchte ich in Neuseeland einen Töpfermeister, der ein Stück Japan in seine Heimat gebracht hat: Bruce Martin. Martin, mittlerweile 94 Jahre alt, baute sich vor mehr als vierzig Jahren einen Anagama, also einen jener traditionellen holzgefeuerten Brennöfen, in denen die berühmte japanische Teekeramik gebrannt wird. Außerhalb Japans muss man lange nach solchen Öfen suchen, und die kleine weltweite Gemeinde von Töpfern, die mit ihnen arbeitet, sind ein verschworener Haufen. Da wunderte es nicht, dass ich aus Neuseeland einen Auftrag nach Deutschland mitbekam: Bruce Martin händigte mir ein Buch aus, das ich als Gruß an seinen Kollegen Jan Kollwitz übergeben sollte.
Von der Skurrilität eines Ofenbaus
Als das Reisen zumindest in Deutschland wieder möglich war, gerade mal ein paar Wochen ist das her, fuhr ich nach Schleswig-Holstein, ins nördlichste deutsche Bundesland. Dort liegt an der Ostseeküste zwischen Lübeck und Kiel ein Dorf namens Cismar, und hier im örtlichen Pastorat hat Jan Kollwitz seit 1988 seine Werkstatt. Hinter dem Haus steht sein Anagama-Ofen, für dessen Konstruktion einst eigens ein japanischer Ofenbauer eingeflogen kam. Was damals in dem holsteinischen Dorf geschah, ist mittlerweile sogar Literatur geworden: Der Schriftsteller Christoph Peters, ein Freund von Kollwitz, hat den Kulturschock der japanisch-deutschen Begegnung in einen großartigen Roman einfließen lassen, der den Titel Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln trägt. Spätestens mit diesem Buch ist Jan Kollwitz’ Werkstatt auch über die eher kleine Gemeinde der Keramikfreunde hinaus bekannt geworden – gerade durch die Skurrilität der Ereignisse beim Anagama-Bau. Aber es war klug, einen japanischen Ofenbauer zu beschäftigen, denn das ersparte dem damals noch jungen Deutschen – Kollwitz ist Jahrgang 1960 – die bittere Erfahrung des eine Generation älteren Bruce Martin, dessen neuseeländischer Eigenbau erst dann zuverlässig arbeitete, als auch dort ein japanischer Experte Hand angelegt hatte. Der Bau eines Anagama ist ein ebenso großes Kunststück wie die Durchführung eines Brands darin, der sich bei Jan Kollwitz über vier Tage und vier Nächte hinzieht. Währenddessen wird die Temperatur kontinuierlich bis auf 1300 Grad Celsius gesteigert und die Asche des dabei verheizten Holzes mit dem Luftzug durch die riesige Ofenkammer geblasen, wo sie die schönsten zufälligen Muster auf den darin eingestellten Gefäßen hinterlässt.Das Künstler-Gen der Kollwitz’
Es gibt andere faszinierende Orte für Keramikfreunde in Deutschland: das Porzellanikon im fränkischen Selb etwa, das Keramion im rheinischen Frechen, die Porzellanwelt auf der thüringischen Leuchtenburg und natürlich die legendäre Manufaktur im sächsischen Meißen samt der Porzellansammlung im nahen Dresden. Aber nirgendwo ist die Welt der Keramik so groß wie im Atelier von Jan Kollwitz, und das hat nichts mit den weiten Himmeln über der Ostsee zu tun. Es ist vielmehr so: Egal, wo auf der Welt sie sich befinden, in Öfen wie dem seinen steckt immer fernöstliche Kultur. Und nach was wäre man derzeit begieriger als nach kulturellem Austausch, wie wir ihn ein Leben lang gewöhnt waren und nun nicht mehr einfach betreiben können, indem wir andere Länder aufsuchen? In Cismar trifft das japanische Töpferhandwerk außerdem auf eine deutsche Familientradition: Jan Kollwitz ist der Urenkel der berühmten Grafikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz, die vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg in expressionistischen Grafiken und Plastiken die Lebenswelt vor allem der Armen und Verwundeten festhielt. Ihre Kunst galt unter den Nationalsozialisten als „entartet“. In den beiden Generationen zwischen ihr und ihrem Urenkel schien das Künstler-Gen verlorengegangen. Der Vater von Jan Kollwitz war Arzt. Er finanzierte seinem Sohn den Bau des Anagama – und dieser Ofen ernährt seit 1988 seinen Töpfermeister: Aus der deutschen Werkstatt von Jan Kollwitz kommen Gefäße, die den Vergleich mit den japanischen Vorbildern nicht zu scheuen brauchen.Reis, Salz und Sake für die Ofengeister
Neuseeland ist weit weg. Dennoch sind Jan Kollwitz und Bruce Martin sich im Geiste nah – und im bedingungslosen Einsatz für ihre Keramikkunst. Rund um den tunnelförmig aufgemauerten riesigen Ofen im Cismarer Garten sind wandhoch Holzscheite aufgestapelt: Brennmaterial für die nächste Feuerung, die im November stattfinden soll. Zunächst wird der Ofen mit langsam verbrennendem Buchenholz auf sechshundert Grad hochgeheizt, dann erst kommt das in Japan übliche Kiefernholz zum Einsatz, das bisweilen unberechenbare Temperaturspitzen erzeugt, die dem Brandvorgang schaden könnten. Alle drei Minuten muss Holz nachgelegt werden, weshalb Kollwitz und ein seit Jahrzehnten als Helfer bewährter Freund sich die vier Tage und Nächte in wechselnde Schichten eingeteilt haben. Ist die eigentliche Feuerphase vorbei, muss der Ofen wieder abkühlen, was länger dauert als der Brand selbst. Dann reist der Freund schon wieder ab; das Resultat interessiert ihn nicht mehr. „Er macht einfach gerne Feuer“, sagt Kollwitz.Wenn man durch die Räume des Pastorats geht und die großartigen Keramiken auf den eigens nach japanischem Vorbild angefertigten halbhohen Schubkästen präsentiert sieht, möchte man den Freund bedauern. Das blankgeschliffene deutsche Holzparkett harmoniert aufs Schönste mit den Tatami-Matten: „Die puritanische Strenge des protestantischen Pfarrhauses passt eben zur japanischen Teezeremonie“, sagt Kollwitz. Er hat tatsächlich Japan an die Ostsee geholt. Und seine Treue zur fremden Tradition geht so weit, dass ganz oben auf seinem Ofen drei kleine Schalen stehen, die regelmäßig mit Reis, Salz und Sake gefüllt werden – als Tribute an die Ofengeister. „Wenn es die nicht geben sollte“, habe ihm der japanische Ofenbauer seinerzeit gesagt, „ist nicht viel mit dem Opfer verloren. Aber wenn es die Geister gibt, dann hat man besser daran getan, sie zu besänftigen.“ Kollwitz lacht: „Wenn man während des Brennvorgangs in den zum Schluss weißglühenden Ofen schaut und dann nach der Abkühlung die prachtvollen Gefäße herausholt, fällt es schwer, nicht an Ofengeister zu glauben.“ Im Pastorat von Cismar ist Platz auch fürs Übersinnliche. Neben all der Sinnlichkeit der Keramiken.
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