Dimitri Hegemann
„Menschen unter Berlin!“
Dimitri Hegemann, Betreiber des Tresor, der kurz nach dem Mauerfall im ehemaligen Todesstreifen zwischen Ost- und Westberlin eröffnet wurde und sich heute in einem alten Heizkraftwerk befindet, berichtet von den Anfängen der Techno-Clubszene, der Verbindung zu Detroit und dem Zauber dieser Zeit.
Welche magischen „Ersten Male“ verbindest du mit Techno?
Dimitri Hegemann
| © Tromla via Wikimedia Commons
Dimitri Hegemann: Das waren die ersten Nächte im Tresor im März 1991. Die erste Nacht, die kein Ende nahm zum Beispiel. Ich kannte es so, dass man ausging, Konzerte besuchte oder sich in einer Kneipe in Berlin dann anschließend traf, um ein bisschen zu quatschen. Aber irgendwann um zwei oder drei Uhr war man im Bett, oder auch mal um fünf. Aber jetzt wurde durchgefeiert. Das war wirklich etwas Neues. Es war der Beginn einer neuen Zeit. Man muss das auch in Bezug auf Berlin betrachten, wo nach dem Mauerfall einfach eine Bombenstimmung herrschte. Das hatte eine ganz neue Intensität, vor allen Dingen, weil es kein Ende nahm. Es gab dieses Gefühl von Freiheit; so lange bleiben zu können wie man will und unglaubliche tolle Gespräche führen zu können. Man wurde auch so aufgefangen, in seinem Schutzraum, dem kleinen Mikrokosmos im Club.
Der Raum hat uns alle in eine Parallelwelt gelockt
…und das alles dann auch zu neuer Musik.Natürlich war der Sound wesentlich. Wir haben uns damals sehr an Detroit orientiert, an diesem instrumentalen Techno, also zweite Generation Techno, Underground Resistance. Da war dieser Beat und diese Inszenierung der Räume, diese alte Stahlkammer im Tresor. Und dann war da dieser Rauch, dieser Nebel, der den Raum einnahm. Da sah man nur noch Schatten, weil hin und wieder ein helles Licht aufblitzte. Diese ganzen Parameter, die Leute und das Schreien der Menschen, haben mich befreit.
Du hast ja vorher schon den Club „Ufo“ betrieben. Warum ist dir genau das dann erst im Tresor so passiert?
Im Ufo haben wir früher Schluss gemacht, weil wir immer Probleme mit den Nachbarn hatten. Es gab auch Abende, die schön waren, aber beim Tresor war ich der Mitbetreiber. Ich wollte das bis zum Ende kennen lernen, besonders wenn du so einen Raum aufbaust, irgendwie an fast jeder Schraube mitgedreht hast und die Wasserleitung gelegt hast. Du hast dieses alte Gemäuer, das seit 45 Jahre in so einem Dornröschenschlaf lag, noch mal mit einem neuen Auftrag wieder zum Leben erweckt und dann erfährst du die Geschichte, dass es ein jüdisches Bankhaus war, die Wertheim Bank. Plötzlich kommt da eine ganz neue Energie rein. Diese Stahlkammern, diese alten verrosteten Gitter und diese Schließfächer überall, das war sehr geheimnisvoll, sehr mystisch. Der Raum hat bestimmt mindestens 50 Prozent zu diesem Gefühl beigetragen. Ich hatte mich auch in das Objekt verliebt. Der Raum war so stark und hat uns alle in eine neue Parallelwelt gelockt: unten im Keller. Menschen unter Berlin!
Die Leute wollen ihre Grenzen spüren
…und die konnten immer weiter tanzen: In Berlin gibt es ja seit 1949 keine Sperrstunde.Der angesagteste Club damals war der Dschungel. Der machte um fünf oder so Schluss. Auch die Kneipen machten Schluss. Das hat man nicht so gelebt. Aber jetzt ist man in eine neue Zeit getanzt, auch mit der neuen Musik. Die ganze Stadt war in einer guten Stimmung. Die Party ging bis nachmittags. Abends um 23 Uhr hat man angefangen bis zum nächsten Tag. Nicht nur 24 Stunden, sondern vielleicht 30 Stunden. Im Berghain geht es manchmal zwei, drei Tage. Die Sets der DJs wurden dann von 2 auf 4 Stunden hochgesetzt. Die Leute wollen ihre Grenzen spüren, auch physische Grenzen.
Playlist Dimitri Hegemann
Diese Playliste ist der bei Spotify verfügbare Teil der von Dimitri Hegemann eingereichten „Top Ten“-Liste seiner liebsten Techno Tracks. Leider mussten aus Lizenzgründen einige Tracks wegfallen. Für die vollständige Liste schreibt bitte der Redaktion.
Ich hatte in diesem Raum immer dieses Gefühl, das ist die ganze Welt. Draußen gibt es nicht. Es gab nur diese Nischen, diesen Tresor. Es gab ja in dieser Zeit keine Kommunikationsmittel, wie wir sie heute kennen, kein Handy und keine E-Mails, sondern man hörte was von jemand und dann fuhr man da hin. Wir waren im Ostteil Berlins, wo es überhaupt keine Telefone gab. Also von dem Ost- in den Westteil zu telefonieren war schwierig mit den wenigen bestehenden Netzen und Telefonzellen. Ich erinnere zum Beispiel eine Geschichte, wie wir unsere Crew damals informiert haben. Regina Bear war die Managerin. Sie hat unseren Türsteher Mario Felsen, der in Ost-Berlin wohnte, so erreicht, dass sie seiner Mutter eine Postkarte geschickt hat, weil seine Mutter bei ihm einmal die Woche putzte. Und dann hat sie ihm die Postkarte mitgebracht. Da stand dann drauf: Mario, du musst um 22 Uhr am Freitag den so und so vielten im Tresor arbeiten. So haben wir die Leute erreicht.
Die coolen DJs hatten ihre Fächer
Wie war das denn mit den Clubs untereinander: Gab es Konkurrenz?Am Anfang der 90er Jahre hat man sich mit anderen Clubs die DJs ausgetauscht. Die spielten entweder am nächsten oder sogar selben Tag im anderen Club. Heute ist das unmöglich. Alles wird genau abgegrenzt. Es ist sehr kompliziert und ein sehr strenger Wettbewerb geworden. Man wird von den Ämtern beobachtet. Alls muss korrekt laufen. Dieses wilde Abenteuerleben der frühen 90er ist nicht mehr möglich. Aber es hat natürlich viel freigesetzt, ein Gedankengut, eine Philosophie, dass man gemeinsam aufbrechen kann, sich gemeinsam auf etwas einigen kann.
Tanzende im Tresor | © Angie Linder via Wikimedia Commons Wie habt ihr die DJs ausgesucht?
Wir hatten auch ein kleines Schallplattenlabel. Da haben wir natürlich Musik vorgestellt, für die wir sonst gar keine Bühne fanden, also unsere eigenen Labelproduktionen. Das war viel Musik aus Detroit, aber alles war noch ziemlich namenlos. Die ganze Bewegung war am Anfang so. Trotzdem haben wir auf ein sehr wechselndes Programm geachtet und hatten auch viele DJs aus Berlin. Wir hatten das Glück, dass wir in Berlin eng mit einem Schallplattenladen namens Hard Wax zusammengearbeitet haben. Dieser Store hatte elektronische Musik im Angebot, auch viel Dub, Reggae, Techno und House. Die hatten dann auch immer Kontakte zu den Labels und haben direkt bei den Labels in den USA, speziell Detroit, eingekauft. Der Betreiber erzählte mir mal, dass sie in Detroit zum Beispiel beim Label „Planet E“ von Carl Craig angerufen und gefragt haben: „Sag mal, was gibt es für neue Platten?“ Dann haben die die Platten dort gespielt und den Telefonhörer danebengelegt: „Aha, klingt interessant. Schick mal 20 Kopien!“ Die Platten kamen immer im Hard Wax an. Am Freitag stand dann schon eine ganze Schlange von DJs davor und wollte sich eindecken. Die coolen DJs hatten natürlich ihre Fächer. Und die eher Unbekannten waren froh, wenn sie noch von dem Rest was abbekamen.
Hat das dazu geführt, dass dann auch DJs von dort nach Berlin kamen?
Hard Wax hatte ein sehr gutes Netzwerk zu gewissen Labels und hat denen auch erzählt: „Wir haben hier einen Club in Berlin. Wir kennen die Leute von dem Tresor. Habt ihr nicht mal Lust hierher zu kommen und aufzulegen?“ So sind die ersten DJs durch Hard Wax gekommen. Das waren dann Blake Baxter, Jeff Mills, Underground Resistance Leute, Robert Hood, Juan Atkins und wie sie alle hießen. Die kamen alle angedüst und trugen die Kunde weiter: „Da ist ein völlig abgefahrener Club in Berlin, irgendwie an der Mauer. Ich weiß auch nicht wie das ist, aber das ist echt schräg. Dieses Soundsystem und die Leute sind alle am Durchdrehen. Die können aber nicht tanzen!“ (lacht) Jeff Mills sagte mir immer: „Sag mal Dimi, bin ich falsch?“ Der hat ein unglaublich ausgeprägtes Rhythmusgefühl. Die Deutschen konnten nicht tanzen. Die eierten da rum. Dann haben wir viel Nebel rein geblasen und man sah das Elend der Tanzenden nicht mehr.
Ideen und Inspirationen
Auch heute noch lässt dich der Techno und die Clubkultur nicht los. Du hast die „Initiative Clubs für Deutschland“ gestartet. Erzähl mal bitte mehr.Jungen Menschen, die nachts nicht schlafen können und Ideen mit sich herumschleppen, sollte man in jeder Stadt ab 100.000 Einwohnern Raum geben. Es geht um so kleine Clubs wie das „OHM“ hier in Berlin mit ungefähr 100 Quadratmeter. Ich hoffe, dass in diesen nächtlichen Sessions neue Ideen geboren werden, auch für die jeweiligen Kommunen bzw. Städte. Da entspringt eine Art alternative Mini-Infrastruktur. Das heißt, Besucher dieses Clubs, die sich da wohlfühlen, sagen: „Hey, ich mach auch mal was anderes. Ich gehe jetzt mal meinen Weg. Ich mache jetzt einfach mal eine Galerie in der Nähe auf. Es ist egal. Ich erwarte jetzt keine großen Umsätze. Ich hoffe, dass es einfach eine Zeit lang geht.“ Die Leute werden inspiriert durch den Clubbesuch. Der Club gilt als Inkubator für neue Wirtschaftszweige und vor allen Dingen als Anstifter, Leute zu motivieren, wirklich etwas zu machen, Mut zu spenden.
So wie damals…
Genau das ist in Berlin passiert. Das war ja eine richtige Bewegung. Da das immer in der Nacht stattfand, gab es Leute, die Ideen hatten. Die gingen ohne große Vorstellung in den Club, aber ab 3:30 Uhr entsprang ein Feuer in den Köpfen der Leute. Ideen und Inspirationen wurden geweckt. Das war eine richtige Bewegung. So sind Tausende von kleinen Start-Ups entstanden. Das hat Berlin verändert, seine Identität. Berlin war während der Loveparade plötzlich eine junge Stadt. Die Leute tanzten auf der Straße und das ging sogar durch CNN. Das war eine echte Erfrischung.
Dimitri Hegemann
Der Club- und Labelbetreiber und Veranstalter Dietmar-Maria „Dimitri“ Hegemann wurde bekannt als Organisator des Festivals Berlin Atonal (ab 1982) und später als Betreiber des Fischbüros, des Ufo und 1991 des legendären Clubs Tresor in Berlin. Heute engagiert er sich bei Happy Locals, einer Organisation zur Schaffung von Kulturangeboten für Jugendliche.
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