Snezana Nešić im Gespräch
Positive Spuren
Die serbisch-deutsche Akkordeonistin und Komponistin Snezana Nešić war im Herbst 2017 auf Einladung des Goethe-Instituts, des Conseil des arts et des lettres du Québec und der Gruppe Le Vivier zu Gast in Montreal, um eine zweimonatige Musikresidenz zu absolvieren. Kurz vor ihrer Abreise in die deutsche Wahlheimat im Dezember 2017 in Montreal, hatten wir die Gelegenheit, Snezana Nešić zu ihren Erfahrungen während der Residenz und ihren Plänen für die Zukunft zu befragen.
Frau Nešić, wie kam es zu Ihrer Residenz in Montreal?
Ich habe über einen Kollegen, den in Hannover lebenden kanadischen Komponisten Gordon Williamson, von der Ausschreibung erfahren. Ich hatte Montreal zuvor bereits zwei Mal besucht, und hatte in Bezug auf die Stadt und die kulturelle Landschaft bereits sehr positive Erfahrungen gewinnen können. Daher habe ich nicht gezögert, mich für die Residenz zu bewerben.
Welche Erfahrungen haben Sie in Montreal gemacht? Wie war die Zusammenarbeit mit dem lokalen Partner Le Vivier?
Viele der involvierten Musiker kannte ich bereits von früheren gemeinsamen Kollaborationen in Montreal. Aber im Rahmen dieses zweimonatigen Aufenthaltes konnte ich noch viel intensiver mit hiesigen Musikern/Künstlern arbeiten, was sich auch in meiner musikalischen Produktion sehr deutlich und positiv niedergeschlagen hat. Insbesondere die Zusammenarbeit mit Dirigentin Veronique Lacroix hat mich inspiriert, aber auch der Austausch und die Zusammenarbeit mit Ana Sokolovic, Jean Lesage, Olga Ranzenhofer, Jonathan Goldmann, Marie-Chantal Leclair, Jean-Marc Bouchard, Jimme Leblanc und Symon Henry, um nur einige Kollegen zu nennen. Die Gruppe Le Vivier, eine der Partnerinnen der Residenz, verfügt über ein großes Netzwerk, so dass ich mühelosen Zugang zu allen wichtigen Informationen, und außerdem zu all den Konzerten der angeschlossenen Ensembles hatte.
Ich hatte mich außerordentlich darauf gefreut, das klassische Akkordeon hiesigen Komponisten vorzustellen, auch in Form eines Vortrags/Workshops am Konservatorium am Anfang Dezember 2017. Da das Akkordeon in Europa inzwischen einen sehr wichtigen Platz im zeitgenössischen Instrumentarium hat, habe ich viele Partituren und musikalische Beispiele vorgestellt und hoffe auf einen erhöhten Einsatz dieses Instruments auch in kanadischen Werken der nächsten Jahre. Ein eigenes Akkordeonstück habe ich bei dem Konzert VivierMix festiv am 13.12. vorstellen können, das sehr gut aufgenommen wurde.
Das allererste Stück eines kanadischen Komponisten für Solo-Akkordeon hat der sehr bedeutende Montrealer Komponist Jean Lesage im Rahmen meiner Residenz für mich geschrieben, was natürlich etwas ganz Besonderes für mich ist. Ich freue ich schon sehr darauf, dieses Werk bald dem europäischen Publikum vorstellen zu dürfen!
Veronique Lacroix und Snezana Nešić am 7. Dezember 2017 bei „MusiquAvenir“ im Conservatoire de musique de Montréal
| © Almut Klotz
Sie sind gemeinsam mit dem Ensemble MusiquAvenir aufgetreten? Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Zu diesem Auftritt kam es durch direkte Initiative von Veronique Lacroix, mit der ich bereits 2015 in Montreal an meiner Oper gearbeitet habe. Sie hat von meiner Residenz erfahren und mir vorgeschlagen, eines meiner Werke im Dezember zu dirigieren, was mich außerordentlich gefreut hat. So kam es zur Uraufführung von Equilibrion 4, das ich extra für ihr Ensemble MusiquAvenir arrangiert habe. Überraschend für mich war das sehr hohe technische Niveau der größtenteils noch studentischen Musiker, was sicherlich der Arbeit von Frau Lacroix geschuldet ist, die nicht nur eine der wichtigsten kanadischen Dirigentinnen für neue Musik ist, sondern auch außerordentliche organisatorische und pädagogische Fähigkeiten besitzt. Sie hat es durch Ihre gute Vorbereitung ermöglicht, dieses komplexe Werk im Rahmen eines Hochschulkonzertes auf hohem Niveau und sehr erfolgreich uraufzuführen. Es war mir ein großes Vergnügen, in dem Ensemble die die Akkordeonstimme zu übernehmen, da es in Montreal keine Akkordeonistinnen oder Akkordeonisten gibt, die eine klassische Ausbildung oder Erfahrung haben bzw. professionelles Instrument besitzen.
ETERNAL LIGHT
Erzählen Sie uns ein bisschen von Ihrer Arbeit – im Rahmen der Residenz entsteht ein neues Stück, Eternal Light. Welche Rolle spielt die Stadt Montreal und die Residenz bei der Entstehung des Stücks?Während meines Aufenthalts habe ich an dem Musiktheater Eternal Light gearbeitet. Die ruhige Zeit in Montreal hat mir erlaubt, nicht nur am Libretto, sondern auch an der Komposition des ersten Aktes, dem 25-minütigen und musikalisch komplexesten Teil des (insgesamt 2-stündigen) Musiktheaters zu arbeiten. Ich habe in den 2 Monaten ein Arbeitsvolumen geschafft, das normalerweise viele Monate mehr in Anspruch nehmen würde.
Haben sich Ihre Erwartungen an die Residenz erfüllt? Was würden Sie neuen Teilnehmerinnen oder Teilnehmern raten?
Meine Erwartungen haben sich mehr als erfüllt: sowohl kompositorisch als auch bezüglich des Austausches mit meinen kanadischen Kollegen. Es ist ratsam, im Rahmen einer solchen Residenz möglichst viele Konzerte zu besuchen, und von Anfang an den Kontakt mit lokalen Künstlern zu suchen. Das ist nicht nur wegen des Erfahrungsaustausches sinnvoll, sondern auch für die Planung zukünftiger Projekte und natürlich auch für die gegenseitige Inspiration. Die Montrealer Musiker und Künstler sind sehr gut informiert und neugierig - ihre Offenheit und Professionalität, vereinigt mit ihrer ungezwungenen Kontaktfreudigkeit sind ideale Voraussetzungen für eine künstlerische Zusammenarbeit und ideenreichen Austausch.
Was sind Ihre nächsten Pläne?
Ich werde zunächst weiter an dem Musiktheater Eternal Light arbeiten. Was Montreal betrifft, gibt es schon einige Pläne zur weiteren Zusammenarbeit mit Ensembles und Montrealer Komponisten, und zu gemeinsamen Konzerten und Präsentationen sowohl in Deutschland als auch in Montreal in den Jahren 2019/2020) - wir alle arbeiten schon dran, damit diese Pläne realisiert werden und freuen uns auf baldiges Wiedersehen!
SNEZANA NEŠIĆ
Snezana Nešić | © Snezana Nešić Snezana Nešić hat Akkordeon-und Kompositionsstudium in Kiew und Hannover studiert, wo sie seit 2007 als Dozentin für Neue Musik beschäftigt ist. Sie hat Kompositionsaufträge unter anderem für die Staatsoper Hannover, die Philarmonie Luxemburg und die Kammeroper Köln erledigt und hat als Solistin mit dem NDR Sinfonieorchester Hamburg sowie der Staatsoper Hannover gespielt. 2015 wurde ihre Oper „The Rain Passed Over“ im Rahmen des Festivals „Oper’Actuel-Work in Progress“ ausgezeichnet. Vor der Residenz in Montreal war sie Stipendiatin des Goethe-Hauses in Rom.