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Kongress und Ausstellung
Übersicht der deutschen Bibliothekslandschaft

 Deutsche Nationalbibliothek
Das 1997 eingeweihte neue Gebäude der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt/Main (Hessen) hat eine Hauptnutzfläche von 77.000 qm und bietet Platz für 18. Mio. Publikationen. Den Besuchern stehen im Lesesaalbereich von 3.200 qm 350 Arbeitsplätze zur Verfügung. (Foto S. Jockel, Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt/Main) | © S. Jockel, Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt/Main

Freien Zugang zu Wissen und Information zu gewährleisten ist das oberste Ziel der öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland. Wie ist die deutsche Bibliothekslandschaft strukturiert und vor welchen Herausforderungen steht der Sektor?

Von Jürgen Seefeldt

Information gilt in Deutschland als Schlüsselfaktor für den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt. Informationsvermittelnde Einrichtungen, zu denen auch Bibliotheken gehören, spielen dabei mitunter eine zentrale Rolle. Wer einen Blick von außen auf die Bibliothekslandschaft wirft, wird rasch entdecken, dass es – und das historisch bedingt – zwei große Kategorien gibt: öffentliche und wissenschaftliche Bibliotheken. Ihr oberstes Ziel ist dasselbe: zur Verbreitung von Wissen beizutragen, um wissensbasierte Gesellschaften zu schaffen, denn allgemein und frei zugängliche Information wird als entscheidender Rohstoff für Wirtschaft, Politik und Demokratie gesehen.
 
Da sich beide Arten von Bibliotheken jedoch in vielerlei Hinsicht unterscheiden, ist es für das Verständnis ihrer Rolle und ihres bildungs- und kulturpolitischen Auftrags sinnvoll, sie mit Informationen zum politischen und rechtlichen Hintergrund separat vorzustellen.

Dezentral und vernetzt

Die Bundesrepublik Deutschland besteht aus 16 Bundesländern. Die Zuständigkeit für alle kulturellen Angelegenheiten, für Wissenschaft und Kunst sowie für das Schul- und Unterrichtswesen liegt – so bestimmt es das Grundgesetz, die deutsche Verfassung – im Wesentlichen bei den Bundesländern. An dieser „Kulturhoheit“ haben die rund 11.000 Städte und Gemeinden im Rahmen ihrer kommunalen Kulturautonomie einen nicht unerheblichen Anteil. Ein nationales Bibliotheksgesetz, das es in vielen europäischen und anglo-amerikanischen Staaten gibt, existiert in Deutschland nicht. Zwar haben in jüngerer Zeit die Parlamente von sechs der 16 Bundesländer recht allgemein und unverbindlich gehaltene Bibliotheksgesetze verabschiedet, die den Ist-Stand der regionalen Bibliotheksstrukturen beschreiben, dennoch aber keine verbindlichen Standards vorgeben oder den Förderrahmen der Unterhaltsträger genauer festlegen und bestimmte Leistungen einfordern.
 
Zu den prägenden Merkmalen des Bibliothekssektors in Deutschland gehören sowohl seine dezentrale Struktur und das Fehlen einer zentralen Planungs- und Steuerungsinstanz als auch die große Vielfalt der Bibliothekstypen und die breite Zahl unterschiedlicher Bibliotheksträger; sie lassen sich in öffentliche, kirchliche und private Träger unterscheiden. Diese Vielfalt eröffnet etliche Chancen für eigene Entwicklungen und kreative Wege, jedoch birgt die Individualisierung auch die Gefahr der Zersplitterung. Da aber keine Bibliothek ihre Aufgaben auf sich allein gestellt in vollem Umfang erfüllen kann, sind weitreichende Kooperationen zwischen den Bibliotheken und die Schaffung von Einrichtungen mit zentralen Funktionen und Dienstleistungen von großer Bedeutung. Vor allem macht diese Situation eine starke Interessenvertretung auf Bundesebene erforderlich. Solche bundesweiten Steuerungsmöglichkeiten ermöglichen vier wichtige Vereine, allen voran der Deutsche Bibliotheksverband e.V. (DBV, als Verband der Institutionen) sowie die beiden Personalverbände BIB (Berufsverband Information Bibliothek e.V.) und VDB (Verein deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare e.V.), die zusammen mit dem Goethe Institut e.V. und der ekz-Bibliotheksservice-Gruppe unter dem Dach der BID (Bibliothek und Information Deutschland e.V.) zusammengeschlossen sind. Wichtige Koordinierungsfunktionen in einigen zentralen Aufgaben erfüllt auch das Kompetenznetzwerk für Bibliotheken (knb), das beim DBV in Berlin organisatorisch angedockt ist und von der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) finanziert wird.

Öffentliche Bibliotheken: Anzahl, Struktur, Medienarten

Die öffentliche Bibliothek, die mit ihren Dienstleistungen und Medienangeboten einen zentralen Auftrag im Bildungswesen erfüllt und wesentlich zur Verwirklichung der Chancengleichheit des Einzelnen beiträgt, ist heute die am weitesten verbreitete Art von Bibliothek. Die Datenbank der Deutschen Bibliotheksstatistik (DBS) listet mehr als 9.000 öffentliche Bibliotheksstandorte auf. Ihre Unterhaltsträger sind in der Mehrzahl die Gebietskörperschaften Städte und Gemeinden, doch auch die katholische und evangelische Kirche unterhalten in ihren Kirchengemeinden für die breite Öffentlichkeit zugängliche Büchereien.
 
In größeren Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern verschmelzen die öffentlichen Bibliotheken häufig zu einem Bibliothekssystem mit einer Zentralbibliothek und Zweigbibliotheken in den Vororten. Dazu kommen Spezialeinheiten wie eine Kinder- und Jugendbibliothek, eine Musikbibliothek, eine Kunstsammlung oder mobile Bibliotheken und Schulbibliotheken mit Zweigbibliotheksfunktion. Zwar werden nach wie vor mehrheitlich noch gedruckte Sachbücher, Belletristik und Kinderbücher ausgeliehen, doch der Anteil von elektronischen Medien, die über die Webseiten der Bibliotheken elektronisch ausgeliehen werden, steigt seit zehn Jahren kontinuierlich an; inzwischen sind es 15-20 Prozent aller Entleihungen. Gemeint sind E-Books, E-Paper, E-Hörbücher und E-Journals, die auf mobile Endgeräte wie E-Book-Reader, Tablet oder Handy des Benutzers heruntergeladen werden und, durch ein spezielles IT-Rechte-Management geschützt, beim Benutzer und Leser bis zu vier Wochen verfügbar sind.
 
Solche Netzpublikationen sind derzeit in über 2.000 öffentlichen Bibliotheken (Stand 2019) für einen wach­senden Kundenkreis verfügbar. Der Service nennt sich „Onleihe“, ein Kunstwort, das sich aus den Begriffen „online“ und „ausleihen“ zusammensetzt. Zwei Anbieter, die Fir­ma DiViBib, eine Tochter der in Reutlingen ansässigen ekz-Gruppe und die Firma Ciando, bestimmen den Markt. Die E-Medien werden nur als Lizenzen erworben, die Bibliotheken sind damit nicht Eigentümer der Medien. Viele der teilnehmenden Bibliotheken haben zu „regionalen Verbünden“ zusammengeschlossen, oft bis zu 80, die unter einer gemeinsamen Entleihplattform, kombiniert mit einer kooperativ organisierter Medienauswahl- und Beschaffung, effektiv und kostengünstig einen wachsenden E-Medien-Pool für die Region bereitstellen. Damit können auch Benutzer aus ländlichen Zonen, wenn sie sich in einer teilnehmenden Bibliothek angemeldet haben, den Service der „Onleihe“ nutzen.

Mobile Bibliotheken, Schulbibliotheken, Kinder- und Jugendbibliotheken

In vielen Bundesländern werden in städtischen Randgemeinden und ländlichen Gebieten mobile Bibliotheken in Form von Bücherbussen als Ergänzung zu den stationären Bibliotheken eingesetzt. Es gibt rund 90 mobile Bibliotheken, die 110 Fahrzeuge betreiben, meistens als Teil eines größeren Bibliothekssystems. Ihr Ziel ist, die Kluft zwischen besser ausgebauten Bibliotheksdiensten der Städte und den schlechteren in ländlichen Gebieten zu verringern. Die mit Internetzugang und WLAN, Bordtoilette und Lesezone ausgestatteten Busse bieten auf ihren täglichen Touren mit bis zu sechs einstündigen Haltepunkten zwischen 3.000 und 5.000 Medien an. Gerade in ländlichen Gebieten kann eine mobile Bibliothek, die pro Woche 15 bis 20 Haltestellen versorgt, eine sehr effektive Lösung sein.
 
Leseförderung im bibliothekarischen Sinne, das heißt die Vermittlung von Lesespaß, Lesefähigkeit und Informationskompetenz, wird auch durch die Schulbibliotheken gewährleistet. Schulbibliotheken sind Lernorte, die eine gute Aufenthaltsqualität haben sollten. Allerdings ist ihre Situation in Deutschland immer noch unzureichend. Schulbibliotheken kommen in unterschiedlicher Organisationsform vor. Werden sie als selbstständige Einrichtung einer Schule betrieben, ist die Schule der verantwortliche Träger und die Dienstleistungen der Bibliothek werden aus Mitteln der Schule bzw. Spenden oder Zuwendungen eines Fördervereins finanziert. Daneben gibt es integrierte Formen, bei denen Schulbibliotheken und öffentliche Bibliotheken gemeinsame Räume bzw. Infrastruktur nutzen und oft Zweigstellen eines städtischen Bibliotheksystems sind; letzteres erweist sich meist als die effektivere Lösung. Schätzungen zufolge haben rund 20% der rund 44.000 Schulen in Deutschland eine Schulbibliothek integriert oder eine spezielle Leseecke eingerichtet. Objektiv gesehen besitzen jedoch nur maximal 5 Prozent der Schulen sächlich und personell gut ausgestattete Schulbibliotheken. Von entscheidender Bedeutung für das Gelingen schulbibliothekarischer Arbeit ist die Bereitstellung von ausreichend großen Räumen, regelmäßigem Medienetat und vor allem ausgebildetem Personal, das sowohl über bibliothekarische als auch pädagogische Fähigkeiten verfügt.

Aufgrund der besonderen sozialen, pädagogischen und politischen Bedeutung der Bibliotheksarbeit für Kinder und Jugendliche widmen alle öffentlichen Bibliotheken dieser Zielgruppe ihre besondere Aufmerksamkeit. In vielen Städten ist eine spezielle Kinder- und Jugendbibliothek oder eine entsprechende Abteilung Standard. Der Trend geht in Richtung separater Bibliotheken bzw. Bereiche für Kinder und für Jugendliche. Spezielle Zonen für alle Arten digitaler Medien, einschließlich Spielkonsolen für Gamer, zum Entspannen, Chatten, Arbeiten und Lernen ergänzen das Buchangebot. Heutzutage sind Möbel und Einrichtungsgegenstände in Bibliotheksbereichen für Kinder und Jugendliche viel bunter, individueller und moderner konzipiert als früher.
 
Die Ergebnisse der letztjährigen PISA-Studien haben dazu beigetragen, die Leseförderung als eine Kernaktivität der öffentlichen Bibliotheken mehr denn je auszubauen. Traditionelle Leseförderung (mit Bilderbuch-Vorlesestunden, Autorenlesungen u.a.) und moderne Förderaktionen gehören heute zum Standardrepertoire, letztere fokussiert sich verstärkt auf digitale und multimediale Programme. Beispiele sind hybride Bilderbücher, die mit Augmented Reality arbeiten. Sie lassen Kinder im Kindergartenalter das traditionelle Bilderbuch mit Text auf unterschiedliche Weise über verschiedene Apps auf ihrem Tablet oder Smartphone mit Ton und Videoclips erleben.
 
In den Städten kann der Anteil der Einwohner*innen mit Migrationshintergrund bis zu 25 Prozent betragen, darunter 50 verschiedene Nationalitäten und Sprachgruppen. Viele öffentliche Bibliotheken haben auf die große Zahl von Geflüchteten und Asylsuchenden reagiert und sie als wichtige neue Zielgruppe erkannt. Um sie als Bibliotheksbenutzer*innen einzubinden, sind neue Ideen für interkulturelle Bibliotheksarbeit entwickelt worden. Neben speziellen Führungen durch die Bibliothek und Geschichtenstunden für Kinder und Jugendliche ist es vielerorts üblich geworden, unter anderem günstige Bibliotheksausweise für Geflüchtete oder mehrsprachige Buchpakete und Medienboxen für Eltern und Kinder bereit zu stellen. Bibliotheken fungieren als öffentliche Räume für den sozialen Austausch, damit ihre Benutzer Internet-Workstations und WLAN-Netzwerke nutzen können, um den Kontakt zu Familie und Freunden im Ausland zu pflegen. Bilderbücher, zwei- und mehrsprachige Literatur für Jugendliche und Erwachsene, Geschichten und Sachbücher in einfacher Sprache, Wörterbücher, englischsprachige Titel und ausländische Zeitungen haben sich zum Kennenlernen von deutscher Sprache und Gesellschaft als hilfreich erwiesen.

Was gibt es Neues? Makerspaces, Library of Things, Bibliotheken als Dritte Orte

Vermehrt erklären Bibliotheken ihre Bereitschaft, neue und experimentelle Ideen aufzugreifen und der Öffentlichkeit ein Forum für praktische Erfahrungen zu bieten. Raumkonzepte wie Maker Spaces dienen dazu, Menschen zum Mitmachen und Experimentieren zu animieren. Erste humanoide Roboter, 3D-Drucker und Virtual-Reality-Headsets kommen zum Einsatz – allesamt Versuche, die Bevölkerung mit neuen und wichtigen Entwicklungen vertraut zu machen und neue Nutzergruppen für die Bibliothek zu erschließen.
 
Ein neuartiger Trend ist auch die „Bibliothek der Dinge“, bei denen neben den üblichen book- und non-book-Medien nützliche Gegenstände wie Werkzeuge, Instrumente, Küchengeräte, Spiele, Skateboards, Nähmaschinen oder Kindersitze unter dem Motto „Leihen statt Kaufen“ mit wachsender Akzeptanz für die Benutzer verfügbar gehalten werden.
 
Moderne, architektonisch oft gewagte Bibliotheksgebäude, die in den letzten 12 bis 15 Jahren in Großstädten und Mittelzentren entstanden, dominieren nicht selten die innerstädtische Skyline. Sie zu sogenannten „dritten Orten“ zu entwickeln, ist vielerorts ein bibliothekspolitisches Anliegen geworden: Bibliotheken wollen sich auch optisch zeigen und damit bewusster von der Öffentlichkeit gesehen werden. Neben dem Zuhause als „erstem Ort“, dem Arbeitsplatz als „zweitem Ort“ soll der „dritte Ort“ dazu dienen, Freizeit und Begegnung, Kommunikation und Informationsvermittlung auf kreative Weise miteinander zu verknüpfen. Durchzusetzen beginnt, dass sich Bibliotheken hier als kommerzfreie Foren und selbstverständliche Partner zu verorten beginnen, indem sie attraktive, stilvoll ausgestattete Räumlichkeiten zur Interaktion und freiem Diskurs bereitstellen und über eine breite Palette an Lern- und Bildungsangeboten und Medien aller Art verfügen.

Wissenschaftliche Bibliotheken: Typen, Träger, Medien

Zur großen Gruppe der wissenschaftlichen Bibliotheken gehören auf Länderebene die rund 100 Universitäts- und mehr als 200 Hochschulbibliotheken in den 16 Bundesländern, die Staats- und Landesbibliotheken mit vornehmlich regionalen (teils aber auch nationalen) Zuständigkeiten, die über 2.500 Spezialbibliotheken von Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Kirchen, Kliniken und wissenschaftlichen Verbänden, die Fachbibliotheken von Landesparlamenten, -ministerien und oberen Gerichten sowie auf Bundesebene die als nationale Pflichtexemplarbibliothek tätige Deutsche Nationalbibliothek (mit Standorten in Frankfurt am Main und Leipzig), die drei Zentralen Fachbibliotheken (für Wirtschaft, Technik und Naturwissenschaften sowie Medizin, Umwelt und Agrarwissenschaften) und diverse Forschungsbibliotheken, ferner Bundestags-, Behörden- und Gerichtsbibliotheken auf oberster Stufe. Die Länder bzw. der Bund treten hier als Unterhaltsträger auf, gelegentlich kommt es zu Mischformen der Förderung.  Die Universitäts- und Hochschulbibliotheken dienen in erster Linie der Literatur- und Informationsversorgung der Hochschulangehörigen, können aber auch für wissenschaftliche Zwecke von Nicht-Hochschulangehörigen benutzt werden, wenngleich nicht immer kostenlos. Die meist universal ausgerichteten Staats- und Landesbibliotheken dienen als Regionalbibliotheken der überörtlichen wissenschaftlichen Informationsversorgung, sie sammeln und erschließen aufgrund der länderspezifischen Pflichtexemplarregelungen vor allem auch alle Formen regional publizierter Medienwerke.
 
Obwohl aus den Bibliotheksstatistiken hervorgeht, dass gedruckte Medien immer noch in großen Mengen erworben werden, steigt der Anteil digitaler Medien – ob E-Journals, E-Books, retrokatalogisierte Bibliotheksbestände, Datenbanken oder andere elektronische Ressourcen. Ihre Beschaffung bzw. den Erwerb von National- und Allianzlizenzen erfolgt meist durch den Zusammenschluss zu Konsortien mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), wodurch der finanzielle Spielraum der einzelnen Bibliothek erweitert wird. Instrumente wie das bislang mehr als 12.000 Datenbanken umfassende Datenbank-Infosystem (DBIS) oder die Elektronische Zeitschriftenbibliothek (EZB) erleichtern den Bibliotheksbenutzern den Zugang zu E-Medien.
 
Es besteht eine deutliche Tendenz, dass Wissenschaftliche Bibliotheken zu intensiv genutzten Lernräumen werden. Landes-, Regional- und Universitätsbibliotheken verzeichnen eine Zunahme der Zahl der Benutzer*innen, die ihre Lesesäle bevölkern und vermehrt Open-Access-Sammlungen nutzen. Oft ist der Arbeitsplatz knapp, was zu kurzfristigen Regulierungsmaßnahmen führt und eine langfristige Erhöhung der Kapazität erforderlich macht. Die auch baulich notwendige Einrichtung von Lernzentren oder Lernumgebungen muss daher konsequent weiterbetrieben werden. Trotz zunehmender Digitalisierung bleibt die Bibliothek immer noch ein physischer Raum. Bauplanung und Platzbedarf werden auch künftig zu den dringlichsten Themen gehören, mit denen Bibliotheken auf Jahre hinaus konfrontiert bleiben.

Digitale Bibliotheken, national und international

In den letzten 10 Jahren lag der Schwerpunkt des wissenschaftlichen Bibliothekssektors auf der beschleunigten Entwicklung von digitalen Bibliotheken, hier vornehmlich zur Schaffung von Zentren digitaler Information und Publikationen. Die Förderprogramme der Deutschen Forschungsgemeinschaft richteten sich auf den intensiven Ausbau elektronischer Ressourcen aus. Deutschland hat mit der Digitalisierung seiner historischen Bestände gemäß den Anforderungen der UNESCO begonnen, um das kulturelle Erbe allgemein zugänglich zu machen und die Nation in ein Land der digitalen Kultur zu verwandeln. Viele Wissenschaftliche Bibliotheken errichteten hochproduktive Digitalisierungszentren und bieten weltweit kostenlosen Online-Zugriff auf zahlreiche mittelalterliche Handschriften und andere wertvolle Altbestände in ihren Sammlungen an.
 
Zwar haben Staats- und Landesbibliotheken kaum die Hoffnung, gegen kommerziell finanzielle Schwergewichte wie etwa Google Books bestehen können, die Stärke von digital erzeugten Bibliotheksprodukten liegt daher nicht in ihrer Quantität, sondern in ihrer Qualität und in ihrem Engagement für die Gewährleistung der freien Erreichbarkeit und langfristigen Verfügbarkeit. Erkennbar ist, dass ein leichter Zugang zu diesen Beständen das Interesse an den Kulturschätzen steigert und dazu führt, mehr Menschen für Museen, Bibliotheken, Archive und andere Kultureinrichtungen zu interessieren.
 
Die Idee der Deutschen Digitalen Bibliothek (DBB) besteht darin, das gesamte Spektrum der kulturellen und wissenschaftlichen Schätze Deutschlands zu präsentieren. Ihre Zielgruppe sind nicht nur Wissenschaftler*innen und Forscher*innen, sondern auch alle Bürger*innen. Perspektivisch bietet es einen einfachen und kostenlosen Zugang zu Millionen (von derzeit mehr als 24 Millionen) Büchern, Archivmaterialien, gedruckten Musikalien, Bildern, Skulpturen, Musikwerken, Ton- und Filmdokumenten. Dabei ist die Deutsche Digitale Bibliothek nicht nur auf nationaler Ebene von hoher Relevanz. Als Bestandteil der European Digital Library „Europeana“, die von der Europäischen Kommission finanziert wird, leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Bewusstseinsbildung und zur Verbesserung der Sichtbarkeit des deutschen Kulturerbes auf europäischer Ebene.

Die Implementierung von Open Access und Langzeitarchivierung

Die deutschen Bibliotheksverbände stimmen mit Forschungseinrichtungen und zahlreichen wissenschaftlichen Organisationen darin überein, einen offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen und zum kulturellen Erbe zu fordern. Die Open-Access-Bewegung propagiert eine neue Strategie für wissenschaftliche Kommunikation, die parallel zu bestehenden traditionellen Kanälen verfügbar ist und die Möglichkeiten nutzt, die das Internet für den Austausch von Forschungsergebnissen bietet. Mit dieser Form der Veröffentlichung sollen Autoren allen Benutzer*innen Freizügigkeits- und Nutzungsrechte gewähren und eine Kopie ihrer Arbeit auf dem Archivserver einer vertrauenswürdigen Institution aufbewahren, um deren langfristige Zugänglichkeit zu gewährleisten. Da das alternative Publikationsmodell mit der bisherigen verbreitungsform Verbreitung traditioneller Verlage konkurriert, ist es verständlich, dass diese Verlage das von den Bibliotheken proklamierte Open-Access-Publishing kritisch betrachten.
 
Zweifellos stellt die Langzeitarchivierung auch aufgrund des hohen Volumens elektronischer Publikationen für alle hier tätigen Wissenschaftlichen Bibliotheken eine enorme Herausforderung dar. Mit dem Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Sammlung und Aufbewahrung von Hinterlegungskopien aller in Deutschland veröffentlichten „Medienwerke in nicht physischer Form“ geschaffen, um die allgemeine Verfügbarkeit sicherzustellen. Angesichts des rasant wachsenden Umfangs suchen Bibliotheken, Archive und andere Gedächtnisinstitutionen nach praktischen Lösungen. Dies gilt insbesondere für diejenigen Bibliotheken, für die elektronische Ressourcen die Hauptquelle für die Bereitstellung von Informationen darstellen. In Deutschland ist die DNB für die Archivierung von Webseiten in der Domäne "de" zuständig, eine kaum zu bewältigende Herkulesaufgabe. Letztlich gilt, dass die Langzeitarchivierung von Webseiten jeder einzelnen Institution überlassen wird, und die jeweiligen Landesbibliotheken mit ihrer regionalen Sammlungsverpflichtung stehen vor der Notwendigkeit, dies mit bislang sehr begrenzten Mitteln bewältigen zu müssen. Angesichts der raschen Veränderungen in den Medien und der Gesellschaft hat die Erhaltung des physischen und nicht-physischen kulturellen Erbes international eine hohe Priorität erlangt. Deutschlands Kulturgut ist Teil des kollektiven menschlichen Gedächtnisses und als solches von globaler Bedeutung und universellem Wert. Es liegt in der Verantwortung von Politik und Gesellschaft, um sicherzustellen, dass es erhalten bleibt und an kommende Generationen weitergegeben werden kann.
 
Die Digitalisierung wertvoller Bestände und deren globaler digitaler Zugang haben nicht nur aus Anwender*innen-, sondern auch aus konservatorischer Sicht enorme Vorteile. Doch auch in einer zunehmend digitaler werdenden Welt hat das gedruckte Original seinen Wert und muss langfristig erhalten werden. Um das zu gewährleisten, sind geeignete klimatische Bedingungen und andere effektive Schutzmechanismen erforderlich, die sie vor Zerstörung bewahren. Auf Vorschlag von Bibliothekaren wurde mit Unterstützung des Staates eine Koordinierungsstelle für die Bewahrung des schriftlichen Kulturerbes an der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz eingerichtet. Ziel der Einrichtung ist es, Informationen über den Erhalt von gedruckten Kulturgütern zu sammeln und auszuwerten, Netzwerke aufzubauen, um die Zusammenarbeit zwischen den Institutionen zu fördern, die Öffentlichkeit auf die Gefahren aufmerksam zu machen, mit denen das gedruckte Kulturerbe konfrontiert ist, und landesweite Unterstützung für Modellprojekte bereitzustellen. Einige Millionen Druckwerke und Regalmeter Papier in Archiven und Bibliotheken bedürfen so einer Massenentsäuerung, da für ihr Drucken Säuerungsmittel und Holzpapier verwendet wurden. 

Zwischen Gegenwart und Zukunft – die Bibliothek im digitalen Zeitalter

Das Vertrauen in die Bedeutung und Aufgabe der Bibliotheken und ihre zukünftige Rolle im Bildungs- und Kulturgefüge eines Industriestaates ist in den letzten zehn Jahren in Deutschland nicht unbedingt gewachsen. Wird die neue Technologie dazu führen, dass Bibliotheken künftig nur noch in einem virtuellen Raum arbeiten oder durch cloud-basierte Bibliotheken ersetzt werden? Je nach Standpunkt des Betrachtenden bleiben die Herausforderungen enorm, den richtigen Weg zur Weiterentwicklung einer ehrwürdigen Kultur- und Bildungseinrichtung zu beschreiten. Unter dem Einfluss von Internet, Smartphones und digitalen Medien ist das Lesen gedruckter Bücher nicht mehr selbstverständlich. Zugleich schrecken immer wieder auch Meldungen über eine wachsende Zahl funktionaler Analphabet*innen in Deutschland auf. Lesefähigkeit und Leseförderung bleiben demnach neben (digitaler) Medienkompetenz unabdingbar notwendig – und dies ein Leben lang.
 
Es gilt deutlich zu machen, nicht allein gegenüber den politisch Verantwortlichen, sondern auch gegenüber den Medien und der Bevölkerung, dass Bibliotheken in der Informationsgesellschaft eine Schlüsselrolle zufällt. Dieser Rolle und den daran anknüpfenden Erwartungen können die Bibliotheken nur dann gerecht werden, wenn sie die Herausforderungen der Informationsgesellschaft erkennen und annehmen, wenn sie die Spielräume für technologische Innovationen und organisatorische Verbesserungen konsequent nutzen und den politischen, finanziellen und strukturellen Schwachstellen des deutschen Bibliothekswesens mit Ideen und Kreativität und selbstbewussten Vertrauen in ihre Aufgabe und gesamtgesellschaftliche und demokratische Verantwortung begegnen.

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