In den Medien werden Flüchtlinge häufig zu einer Bedrohung des Status Quo stilisiert. Einige engagierte Dokumentarfilme hingegen werfen einen differenzierteren Blick auf jene Menschen, für die die Flucht in die Fremde oft die einzige Alternative zu Marginalisierung, Gewalt oder Tod in der eigenen Heimat ist.
Eine knappe Zeitungsmeldung steht am Anfang von Philip Scheffners Dokumentarfilm Revision (2012) Zwei rumänische Männer werden 1992 auf einem Getreidefeld in Mecklenburg-Vorpommern nahe der deutsch-polnischen Grenzen von deutschen Jägern erschossen. Man habe die Rumänen in der Dämmerung für Wildschweine gehalten, so die Erklärung der Täter, die beide nach kurzen Ermittlungen freigesprochen werden. Ihr Tod bleibt ungesühnt, der Fall landet bei den Akten.
Zwanzig Jahre später unterzieht Scheffner die Ermittlungen einer gründlichen Untersuchung. In seiner Rekonstruktion des Falls kontaktiert er Familien und Bekannte der Opfer. Zu seiner Überraschung stellt er fest, dass sich nie jemand die Mühe gemacht hat, diese über das Gerichtsverfahren zu informieren, geschweige denn, sie als Zeugen zu vernehmen. Dabei entwickelt er eine ungewöhnliche Methode, um die Familien der Toten zu Wort kommen zu lassen. Sie hören ihre eigenen Aussagen vor laufender Kamera ein zweites Mal an und können so die eigene mediale Wirkung einschätzen. Der Zuschauer erlebt keine in Tränen aufgelösten Hinterbliebenen, sondern souveräne Gesprächspartner, die sich ihrer medialen Wirkung sehr bewusst sind. So bietet Revision auch ungewohnte Einsichten in die Konventionen des dokumentarischen Arbeitens.
Abbau gängiger Stereotypen
Sie suchen Freiheit, haben oft idealisierte Vorstellungen von der neuen Heimat und landen im Aufnahmelager: Wer in Deutschland Asyl beantragt, muss im Normalfall über Monate, manchmal Jahre in einem Asylbewerberheim leben und darf sich nicht frei innerhalb des Landes bewegen. Gegen diese Bedingungen regt sich in den letzten Jahren verstärkt politischer und gesellschaftlicher Protest. Auch die Filmemacherinnen Antje Kruska und Judith Keil haben sich dieses Themas angenommen. Sie porträtieren in
Land in Sicht (2013) drei Flüchtlinge, die bis zur Klärung des Asylverfahrens in einer unfreiwilligen Warteschleife leben, weil sie keine Arbeitserlaubnis bekommen.
Abdul aus dem Jemen, der Kameruner Brian und der Iraner Farid kamen mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen vom Leben in Deutschland in die neue Heimat. Doch zunächst finden sich alle drei im Asylbewerberheim in der brandenburgischen Kleinstadt Bad Belzig wieder.
Sie werden konfrontiert mit Behördenwillkür, treffen aber auch Menschen, die ihnen Türen in den deutschen Alltag öffnen. Diese Begegnungen bleiben nicht ohne – mal komische, mal tragische – interkulturelle Missverständnisse, beispielsweise wenn sie versuchen, die Sprachregelungen der deutschen Arbeitsagentur zu verstehen. Doch gerade solche Momente sind es, in denen deutlich wird, wie mächtig auch Klischees und Vorurteile sind – auf allen Seiten. Und dass dennoch eine Chance besteht, sie zu überwinden. Für ihr ebenso einfühlsames wie differenziertes filmisches Porträt wurden Antje Kruska und Judith Keil 2013 mit dem Dokumentarfilmpreis des Goethe-Instituts ausgezeichnet.
Unfreiwillige Komik der verordneten Integration
Britt Beyer wiederum hat für ihren Film
Werden Sie Deutscher (2013) zehn Monate lang die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Integrationskurses in Berlin-Neukölln begleitet – im Unterricht und Alltag. Ausländer, die dauerhaft in Deutschland leben wollen, können durch das deutsche Zuwanderungsgesetz zu solchen Kursen verpflichtet werden. Auf dem Lehrplan steht nicht nur der Spracherwerb, sondern auch ein sehr viel komplexeres Ziel: die Integration in die deutsche Gesellschaft.
Werden Sie Deutscher bleibt in Augenhöhe mit den Protagonisten, die Kamera registriert Stimmungen, Irritationen und kleinste Gesten. Durch die gelungene Montage offenbart sich die Absurdität des Versuchs, Deutsch-Sein im Crashkurs zu lernen. Beyer verzichtet auf einen erklärenden Kommentar. So können und müssen die Zuschauenden Zusammenhänge selbst herstellen. Dieses „mündige“ Sehen nimmt kein Urteil vorweg und lässt bewusst Platz für die eigene Einschätzung des Gesehenen.
Die Zuschauer spüren die Absurdität der Situation
Auch Julia Oelkers hat sich in
Can’t be Silent (2013) gegen einen Kommentar entschieden. Sie dokumentiert die Tour der Band „Strom & Wasser feat. The Refugees“, die aus deutschen Musikern und nach Deutschland geflüchteten Musikern aus aller Welt besteht. Der Film zeigt deutlich, wie begrenzt der Bewegungsradius der Flüchtlinge ist – räumlich und emotional. Stehen sie auf der Bühne, sind sie umjubelte Stars, doch danach bleibt nur der Weg zurück ins umzäunte Lager und die Furcht vor der Abschiebung. Oelkers lässt diese Absurdität auf die Zuschauer wirken – sie weiß, wer Nuri, Revelino und den anderen einmal zugehört hat, wird das Thema „Asyl“ ab sofort mit anderen Augen sehen.