Flüchtlinge in Deutschland haben zahlreiche Organisationen gegründet, mit denen sie selbst um die Anerkennung ihrer Rechte kämpfen. Die Ideen fußen immer auf dem Ruf nach mehr Unabhängigkeit durch Vernetzung.
Chu Eben kann sich noch genau daran erinnern, wie frustrierend und bedrückend das Leben in den Asylunterkünften war – zu viert mit Fremden in einem zwölf Quadratmeter großen Zimmer, beschränkt in der Bewegungsfreiheit, ohne Geld für einen Sprachkurs, ohne die geringste Ahnung, wie und wann dieser „Zustand in völliger Schwebe“ enden würde. „Man kann niemanden jahrelang isoliert in einem Heim leben lassen, nur weil er in einem rechtlichen Schwebezustand ist“, sagt Chu heute.
Heute – das ist 17 Jahre, nachdem der Kameruner Deutschland erreichte. Hier kam er die erste Zeit in einem Flüchtlingsheim im brandenburgischen Eisenhüttenstadt unter, begrenzt wie alle Flüchtlinge durch die Residenzpflicht, die es den Betroffenen nur mit Erlaubnis der Ausländerbehörde gestattet, den ihnen zugewiesenen Landkreis zu verlassen. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR nennt die Regelung mit internationalen Rechten unvereinbar und appellierte bereits mehrfach an deutsche Behörden und Gerichte, die Residenzpflicht zu überprüfen – ohne Erfolg. Asylbewerber dürfen in den meisten Bundesländern außerdem nicht ohne zuvor eingeholte Erlaubnis der zuständigen Behörden oder der Flüchtlingseinrichtung direkt zum Arzt gehen oder einen Krankenwagen rufen. Eine ständige Belastung für Körper und Psyche, wie Chu sagt.
Also beschlossen er und einige Freunde, die Situation selbst zu verbessern. „Wir merkten bald, dass wir ein Konzept brauchen, mit dem wir in den Heimen Informationen austauschen und uns vernetzen können“, sagt Chu. Die Idee zu PC-Kursen für Flüchtlinge entstand. Chu und seine Mitstreiter riefen die Flüchtlingsorganisation Refugees Emancipation ins Leben, fanden Unterstützer bei Studierenden der Technischen Universität Berlin und in einem Laden für Computerkurse. Inzwischen betreibt Refugees Emancipation ein Internetcafé in Potsdamer Büroräumen und weitere in Asylunterkünften, unter anderem in Luckenwalde, Prenzlau und Eisenhüttenstadt. Problemfrei läuft das allerdings nicht: Technik fehlt, aber auch Kontinuität, weil viele der freiwilligen Helfer Wege und Zeit für ihre Unterstützung nicht langfristig auf sich nehmen können. Geld gibt der Staat für die Kurse nicht, manche Heime wollen nicht einmal einen leeren Raum zur Verfügung stellen. „Die Zivilgesellschaft“, sagt Chu, „muss erst noch verstehen, wie wichtig es ist, dass Flüchtlinge Strukturen aufbauen, um ihre Lebensqualität zu verbessern.“
Leben in der Warteschleife
Rund 73.000 Asylerstanträge gingen nach Angaben des UNHCR 2014 bei den deutschen Behörden ein. Zwischen 20.000 und 30.000 Menschen erhielten von den Behörden nur provisorische Papiere, bis ein Asylverfahren überhaupt anlief.
Chu hat heute eine Aufenthaltserlaubnis, aber manchmal, so sagt er, fühlt er sich noch immer unsicher und ungenügend integriert. „Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ist wichtig. Wenn die Regierung den Asylbewerbern ein größeres Gefühl von Freiheit geben würde, hätten viele Flüchtlinge mehr Kraft, um vorwärts zu gehen.“
Grenzen aufheben wollen inzwischen zahlreiche von Flüchtlingen initiierte Projekte. Der Berliner Oranienplatz etwa, den Flüchtlinge aus ganz Deutschland über eineinhalb Jahre hinweg mit einem Zeltlager aus Protest gegen die Asylpolitik besetzt hielten, ist zwar inzwischen geräumt. Die Bewegung dahinter aber geht weiter. „Wir haben mit dem Oranienplatz den Flüchtlingen in Europa gezeigt, dass man kämpfen kann“, sagt der 33-jährige Adam Bahar, der 2012 aus dem Sudan über acht Länder bis nach Berlin floh und in einem der Zelte wohnte. Noch immer engagiert er sich politisch, organisiert Infoveranstaltungen und Protestmärsche.
Flüchtlinge organisieren sich zunehmend
Auch Mbolo Yufanyi macht sich seit vielen Jahren gegen soziale Ausgrenzung von Schutzsuchenden stark. Da sein Leben in Kamerun in Gefahr war, floh er 1998 nach Deutschland, wurde 1999 Teil der Flüchtlingsorganisation The Voice Refugee Forum Deutschland. „Für uns war damals klar: Wir haben keine Wahl, aber eine Stimme“, sagt Mbolo Yufanyi. Vom thüringischen Mühlhausen weiteten er und weitere engagierte Flüchtlinge die Bewegung auf weitere Bundesländer aus, organisierten große Kampagnen gegen Residenzpflicht, Abschiebung, Polizeibrutalität.
Hauptziel von The Voice ist nach wie vor, Flüchtlinge beim Kampf für ihre Rechte zu unterstützen und ihnen nahezubringen, dass sie selbst kämpfen müssen, sagt der promovierte Forstwissenschaftler. „Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir jeden Tag erfahren, dass wir nicht erwünscht sind. Flüchtlinge haben den niedrigsten gesellschaftlichen Status überhaupt. Inzwischen gibt es keine innerdeutsche Grenze mehr, aber es gibt noch viele Grenzen für Ausländer.“ Erkennbar sei trotzdem auch, dass Flüchtlinge sich immer mehr organisieren und für ihre Rechte kämpfen. „Damit sie zukünftig bessere Chancen bekommen, ist Vernetzung das A und O“, sagt Mbolo.