Moderne Raumbilder
Der Architekt Mies van der Rohe als Künstler

„Ich mache mir niemals ein Bild, wenn ich ein Haus bauen will“, sagte Mies van der Rohe im Interview mit der Bauwelt 1964. Dennoch schuf er eine Vielzahl von Collagen und Montagen. Diese Raumbilder gehören zu den interessantesten und schönsten Werken der Moderne.
Ludwig Mies van der Rohe (1886–1969) ist einer der herausragenden Architekten der Moderne. In seiner Heimatstadt Aachen erarbeitete sich Mies die Grundlagen des Bauhandwerks. Bei Peter Behrens in Berlin lernte der junge Architekt alles über die „große Form“. Als die handwerklich-bürgerlich geprägte Gesellschaft des deutschen Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg zerbrach, veränderten sich auch das Bauen und Kunstschaffen grundlegend. Experiment und Optimismus inspirierten bahnbrechende Entwürfe. Im fließenden Raum von Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon kam die neue Offenheit der Weimarer Republik zum Ausdruck, aber auch das Verlangen nach Ordnung und Maß.
Mies van der Rohe, Ludwig (1886-1969) | Georg Schaefer Museum Project, Schweinfurt, Germany, Interior perspective with view of site, 1960-1963. New York, Museum of Modern Art (MoMA) Mies van der Rohe Archive.
| © The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence / VG Bild-Kunst, Bonn, 2016
Als dessen letzter Direktor etablierte Mies van der Rohe am Bauhaus eine systematische Architekturlehre. Mit Klarheit im Aufbau sollte die neue Baukunst dem Chaos der modernen Welt entgegentreten. Erst spät verließ Mies van der Rohe das von den Nationalsozialisten regierte Deutschland und entwickelte in Chicago seine Idee einer Architekturausbildung weiter. Gebäude von abstrakter Eleganz machten Mies van der Rohe endgültig weltweit bekannt. Als letzter großer Bau entstand in Berlin seine 1968 eröffnete Neue Nationalgalerie. Zeit seines Lebens entwickelte der Architekt seine Entwürfe aus einer Überlagerung konkreter Bedingungen und allgemeiner Einsichten. Selten zeigt sich das deutlicher als in seinen zahlreichen Montagen und Collagen. Besonders in den Zeiten der Neuorientierung entstanden Bildarchitekturen, deren Faszination bis heute nicht nachgelassen hat.
Unbestimmtheit von Raum und Zeit
Die Collagen und Montagen offenbaren ein Neben- und Miteinander von Kontinuität und Neuanfang. Mies van der Rohe orientierte sich früh an den fantasievollen Collagen der künstlerischen Avantgarde. Reklame und zeitgenössische Experimente mit Film präsentierten die moderne Metropole als Ort der Bewegung. 1922 entstanden die suggestiven Fotomontagen für sein Hochhaus an der Berliner Friedrichstrasse. Sie wirken wie eingefrorene Kamerafahrten und vermitteln so ein dynamisches Bild der Stadt sowie der Gesellschaft als Ganzes. Mit der Emigration nach Amerika wichen die stadträumlichen Darstellungen zunehmend innenräumlichen Abbildungen. Diese großformatigen Perspektiven beziehen den Betrachter unmittelbar mit ein. In zahlreichen Collagen Mies van der Rohes finden sich Reproduktionen von Kunstwerken.
Innovativ und enigmatisch
Im Detail und aus großer Nähe betrachtet, zeigt sich bei den Collagen und Montagen folgendes Wechselspiel: Einerseits wird mit technischer Präzision eine moderne Zukunft angekündigt, während andererseits die Spuren der handwerklichen Bildproduktion noch deutlich sichtbar bleiben. Hin und wieder sind sorgfältig zugeschnittene Furnierstücke in exakte Strichzeichnungen eingefügt.

Zur Ausstellung „Mies van der Rohe: Die Collagen aus dem Museum of Modern Art, New York“ im Ludwig Forum in Aachen und im Museum Georg Schäfer in Schweinfurt vom 26. Februar bis 28. Mai 2017 ist ein reich illustrierter und sorgfältig kommentierter Katalog erschienen. MIES VAN DER ROHE: MONTAGE. COLLAGE, Aachen, Ludwig Forum. Andreas Beitin, Wolf Eiermann & Brigitte Franzen (Hg.). Aachen/Schweinfurt 2016/17.