Science-Fiction bei der Berlinale
Bügeleisen und Bleistiftspitzer

„Wir sind die Flut“ (2016) von Sebastian Hilger
„Wir sind die Flut“ (2016) von Sebastian Hilger | Foto (Ausschnitt): © derzian pictures

Dem Klassiker „Metropolis“ zum Trotz konnte sich der Science-Fiction-Film in Deutschland nie durchsetzen. Dennoch gab es interessante Versuche, mit der internationalen Entwicklung schrittzuhalten – in Ost und West.

Fritz Langs Stummfilmepos Metropolis (1927) gilt schon lange als Meilenstein des Genres – zitiert in späteren Klassikern wie Star Wars (George Lucas, USA 1977) und Blade Runner (Ridley Scott, USA, GB, HK 1982). Die einschüchternde Wolkenkratzerwelt einer rigorosen Zweiklassengesellschaft hat bis heute ihre ikonografische Wucht nicht verloren. Über die soziale Dystopie hinaus wird jedoch oft vergessen, wie viele andere Elemente heutiger Science-Fiction der Film vorwegnahm: prähistorische Bildtelefone dienen der totalen Überwachung; inmitten der Klassenkämpfe wird ein „künstlicher Mensch“ erschaffen, in dem wir die späteren Roboter und Cyborgs erkennen.


Oft als Solitär betrachtet, war Metropolis mit dieser Utopie nicht ganz allein. Auch andere Filme der Weimarer Republik (1918 bis 1933), etwa Paul Wegeners Golem-Filme oder die noch frühere Homunculus-Serie von Otto Rippert, experimentierten mit der Idee künstlichen Lebens. Das zerrissene Menschenbild des industriellen Zeitalters kam hier zum Ausdruck – mit der für den expressionistischen Film typischen „Angstlust“, der Mischung von Schrecken und Unterhaltung.

Doch mit Langs Frau im Mond (1929), einem von mehreren technisch-utopischen Abenteuern, war die Pionierrolle des deutschen Science-Fiction-Films erschöpft. Nationalsozialismus und Krieg trieben auch zahlreiche Filmleute ins Exil. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der kollektiven Erfahrung von Totalitarismus und Bombenkrieg war das Verlangen nach technologischen Zukunftsvisionen gering, ganz zu schweigen von Experimenten am „neuen Menschen“.

Ostdeutsche Utopien: der Sozialismus im Weltall

„Der schweigende Stern“ (Kurt Maetzig, 1960) Foto (Ausschnitt): © DEFA-Stiftung/Waltraut Pathenheimer Im geteilten Deutschland blieb lediglich im Weltall der Raum für gebremsten Zukunftsoptimismus offen. So produzierte die ostdeutsche Defa im Staatsauftrag ab Ende der 1950er-Jahre eine Handvoll Weltraumabenteuer. In Filmen wie Der schweigende Stern (Kurt Maetzig, 1960), entstanden in polnischer Koproduktion, spiegelt sich die Sputnik-Begeisterung des damaligen Ostblocks ebenso wie die neue deutsche Angst vor dem Missbrauch der Technik. Auf der Venus stößt eine internationale Kosmonauten-Crew auf die Reste einer nuklearen Katastrophe, die ursprünglich der Erde galt: „Die Aggressoren haben sich selbst vernichtet!“ Story und Set-Design zeigen amüsante Parallelen zum Hollywood-Klassiker Alarm im Weltall (Forbidden Planet, Fred M. Wilcox, 1956), freilich unter geänderten politischen Vorzeichen: Internationalismus und Pazifismus sind das unbestrittene Ideal einer sozialistischen Weltgemeinschaft, sogar ein US-Amerikaner ist Teil der Expedition.

Deutlich skeptischer gibt sich später Eolomea (1972) von Herrmann Zschoche. Ein desillusionierter Raumfahrtkapitän zweifelt am Sinn des kosmischen Abenteuers. Die Kritik an unproduktiven Diskussionen und undurchsichtigen Entscheidungsprozessen lässt sich auch als Kritik am System lesen. Der Stern Eolomea, visualisiert in psychedelischen Traumsequenzen, wird so zur fernen Utopie. Der reichlich esoterischen Handlung zum Trotz ist der Film heute ein nostalgisches Vergnügen, zu dem neben exotischen Schauplätzen auch die unerwartet beschwingte Musik beiträgt.

„Eolomea“ (Herrmann Zschoche, 1972) Foto (Ausschnitt): © DEFA-Stiftung/Alexander Kühn

Mit Lichtgeschwindigkeit ins Fernsehen

In den wenigen Science-Fiction-Filmen der Bundesrepublik – zumeist Fernsehproduktionen – zeigt sich eine ähnliche Entwicklung. Bei der legendären siebenteiligen „Weltraumoper“ Raumpatrouille Orion (Theo Mezger, Michael Braun, 1965) handelte es sich immerhin um die bis dahin aufwendigste deutsche TV-Serie. Die Abenteuer um den pfiffigen Commander McLane wurden zum Kult, auch dank der Mischung aus avantgardistischem Sixties-Design und teils billigstem Material – ein umgedrehtes Bügeleisen und Bleistiftspitzer als Schaltknöpfe zierten die Kommandobrücke. Damalige Kommentare sprachen von „pseudowissenschaftlichem Quatsch“, doch die Serie wurde zum Publikumserfolg. Heute ein prächtiges Beispiel für das Phänomen des Retrofuturismus, startete sie nahezu zeitgleich mit dem US-Pendant Raumschiff Enterprise (Star Trek, 1966–69).

Die Rückkehr der „German Angst“

Wenige Jahre später war auch diese kurzzeitige Sci-Fi-Euphorie verflogen. Operation Ganymed (1977) ist einer von vielen Science-Fiction-Filmen Rainer Erlers, die sich extrem kritisch mit unreflektiertem Fortschrittsglauben auseinandersetzen. Das existenzialistische Drama um eine gescheiterte Weltraumexpedition gleicht eher osteuropäischen Filmen wie Andrei Tarkowskis Solaris (1972) als den Hochglanzprodukten Hollywoods. In halluzinatorischen Bildern einer nuklearen Endzeit zeigen sich, fast spiegelhaft zu Eolomea, die Ängste der beginnenden Öko- und Friedensbewegung.

Fassbinders Visionen und harte Realität

Einen Schritt weiter war da bereits Rainer Werner Fassbinder. In seinem Fernsehzweiteiler Welt am Draht (1973), nach dem Roman Simulacron-3 von Daniel F. Galouye, stellt er die Frage nach den bewusstseinsverändernden Auswirkungen von Zukunftstechnologien. Im überspannten Interieur der Siebzigerjahre zeigt das Regiegenie eine beklemmend sterile Welt, die der Wissenschaftler Fred Stiller als Simulation erkennt. Welt am Draht nahm die Idee von Virtual Reality und Cyberspace vorweg, die in späteren Filmen wie Matrix (Larry und Andy Wachowski, USA 1999) aufgegriffen wurde. Es war das vorerst letzte Mal, dass sich deutsche Science-Fiction als wegweisend erwies.


Der schwäbische „Master of Desaster“ Roland Emmerich produzierte nach seinen deutschen Anfängen mit Das Arche Noah Prinzip (1984) bald in Hollywood. Neuere, durchaus innovative Produktionen wie Tim Fehlbaums Endzeit-Thriller Hell (2011) oder Sebastian Hilgers Mystery-Drama Wir sind die Flut (2016) ringen mit bescheidenen finanziellen Mitteln um Aufmerksamkeit. Die unendlichen Möglichkeiten des Genres, die ökonomischen Möglichkeiten der deutschen Filmförderung und die immer weiter gesteigerten Publikumserwartungen liegen zu weit auseinander.

Lars Kraumes politische Dystopie Die kommenden Tage (2010) wirkt heute allerdings ziemlich aktuell. Sein Bild des Jahres 2020 zeigt ein von Rohstoffknappheit, Terrorismus und Flüchtlingsströmen geplagtes Europa, das gegen den Ansturm aus dem Süden eine Mauer quer über die Alpen errichtet. Manchmal kommen die Visionen der Science-Fiction der Realität schneller nah, als man dachte.
 

Die Retrospektive der 67. Internationalen Filmfestspiele Berlin widmet sich dem Science-Fiction-Film in der Reihe „Future Imperfect. Science – Fiction – Film“.