9. Februar 2017: Die Berlinale wird eröffnet. Es ist ein klarer Tag bei Temperaturen von -3°C. Am gestrigen Abend wurden am Potsdamer Platz noch eifrig die letzten Vorbereitungen getroffen, heute wartet man hier in aller Ruhe auf die Eröffnung des Festivals. Für mich ist es das erste Mal, dass ich bei diesem internationalen Filmfestival in Berlin dabei bin, und ich möchte alle Eindrücke nur so in mich aufsaugen.
Im Sommer spielt sich das Leben in Berlin meist auf den Straßen ab, im Winter dagegen kommt einem die Stadt fast verlassen vor und man fragt sich, wo nur all die Menschen sind. Heute ist dies jedoch anders. Überall stehen Menschentrauben und trotzen der Kälte. Vor dem Kartenschalter steht eine lange Schlange und allerorts blättert man durch das Programmheft des Filmfestivals. Allerdings habe ich auch ein Paar im Vorbeigehen sagen hören, dass es das erste Mal das Festival besucht, obwohl es schon seit zehn Jahren in der Stadt lebt. Am Anfang konnte ich das gar nicht glauben, aber dann musste ich an die vielen Menschen in meiner Heimat denken, die nahe dem Kabuki-Theater wohnen, ihm aber noch nie einen Besuch abgestattet haben. Und sicherlich gibt es auch viele Leute, die ganz in der Nähe des berühmten Fischmarkts von Tsukiji wohnen und trotzdem lieber Fleisch essen.
In der klirrend kalten Nacht wird der Berlinale-Palast von unzähligen Pressevertretern belagert. Die Bilder vom roten Teppich gehen um die Welt und ich sehe alles quasi aus der ersten Reihe. Auch wenn ich mich wiederhole: Es ist wirklich sehr kalt, viel kälter als am Tag. Den Schauspielerinnen in ihren Abendkleidern scheint dies jedoch nichts auszumachen.
© Berlinale 2017
Während die Olympischen Spiele ein Fest des Friedens sind, das politische Aspekte bewusst ausklammert, will das Filmfestival dagegen eine klare politische Stellung beziehen. Im letzten Jahr spielte die Flüchtlingswelle eine große Rolle und ein Film über dieses Thema wurde sogar ausgezeichnet.
Seit Deutschland seine Willkommenskultur ausgeweitet hat, hat sich die Situation dramatisch geändert. Das Land, das aus humanitären Gründen so viele Flüchtlinge aufgenommen hat, steht mit dieser Entscheidung nun vor einem großen Dilemma. Zu Beginn des Filmfestivals stellte ich mir also die Frage, ob dieser Konflikt hier thematisch aufgegriffen und wenn ja, wie er filmisch umgesetzt wird. Zur Eröffnung waren nur 150 Gäste geladen, also habe ich mir die Veranstaltung als Übertragung im Kino angesehen.
Eröffnet wurde die Zeremonie von Anke Engelke, die das Ganze souverän moderiert und die Zuschauer bestens unterhielt. Der erste Name, den diese erwähnte, war der der Schauspielerin Meryl Streep, die im vergangenen Jahr Jury-Präsidentin des Festivals war. Sie wollte damit auf ihre jüngste Kritik an der Präsidentschaft Donald Trumps anspielen, die sie bei den Golden Globes geäußert hatte. Und dann fragte Anke einen Zuschauer: „Sind Sie wegen des Festivals hier? Oder hält Sie jemand davon ab, zurück in Ihre Heimat zu reisen?“ – Ein offenes politisches Statement gleich zu Anfang. Monika Grütters, die Staatsministerin für Kultur und Medien, nannte zwar nicht den Namen Trump, übte aber mit ihrem Zitat von Pablo Picasso und der Forderung „Artists First“ unverhohlen Kritik: „Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt“. In einer Zeit, in der Fake News so viel Macht hätten, so Grütters, könne die Kunst uns die Augen öffnen. Alle, die an diesem Abend zu Wort kamen, stellten klar, dass sie nicht an Mauern glaubten, keine Mauern bauen würden und bereit sind, diese Haltung zu verteidigen.
Picasso hat übrigens auch gesagt: „Kunst ist ein Kriegsinstrument, mit dem man den Feind angreifen und sich vor ihm verteidigen kann.“ Diese Berlinale hat ihren Widerstand gegen Trump sehr deutlich gezeigt und es scheint so, als ob sich das Festival in Jahr nach seiner klaren Haltung zum Thema Flüchtlinge nun eine Anti-Trump-Botschaft auf die Fahnen geschrieben hat.
Ich habe mir auch den Eröffnungsfilm angesehen, Django, ein Film des französischen Regisseurs Étienne Comar. Es ist das Porträt eines Jazzmusikers, der 1943 aus dem besetzten Paris flüchtet. Der Film beginnt mit einem Ausspruch von Django: „Lass uns ins Kino gehen und einen Traum ansehen“, womit der Zuschauer sich gleich die Frage stellt, ob das, was er nun sieht, eigentlich real ist oder nicht …
Mir persönlich gefällt jeder einzelne Film, egal, welche politische Botschaft er verfolgt. Jedes Werk hat seinen ganz eigenen Charme. Das Filmfestival geht vom 9. bis zum 19. Februar. Ich werde in dieser Zeit vor allem über japanische Filme berichten. Auch Interviews mit verschiedenen Regisseuren stehen auf meinem Programm.
© Shino Nagata